UNO-Menschenrechtskommissar Türk warnt eindringlich vor der EU-Chatkontrolle. Andere drohen mit der Ausweitung auf Suchmaschinen-Ergebnisse.
In einer aktuell veröffentlichten Stellungnahme geht UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk auf die von der EU geplante Kontrolle aller Chat-Inhalte auf Smartphones ein. Das Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR) warnt eindringlich vor den Plänen der Europäischen Union.
UNO-Menschenrechtskommissar: Freiheitsrechte in Gefahr!
Die damit verbundene anlasslose Überwachung und Einschränkung der Freiheitsrechte aller EU-Bürgerinnen und Bürger steht in Anbetracht der zu erwartenden hohen Fehlerrate in keinem Verhältnis.
„Bei einer allgemeinen Durchsuchung der Kommunikation lassen sich häufige Fehlalarme nicht vermeiden, selbst wenn die Trefferquote hoch ist, so dass zahlreiche unschuldige Personen davon betroffen sind. In Anbetracht [dessen] dürfte eine wahllose Überwachung die freie Meinungsäußerung und die Vereinigungsfreiheit erheblich einschränken, so dass die Menschen die Art und Weise ihrer Kommunikation und Interaktion mit anderen einschränken und zur Selbstzensur greifen.“
Report of the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights.
Das Scannen macht Sicherheitsverletzungen wahrscheinlicher
Insbesondere die geplante Nachrichtendurchleuchtung auf privaten Smartphones zur Aushebelung sicherer Nachrichtenverschlüsselung, auch bekannt als client-side scanning, kritisiert der UNO-Menschenrechtskommissar:
„Das clientseitige Scannen bringt auch neue Herausforderungen für die Sicherheit mit sich und macht Sicherheitsverletzungen wahrscheinlicher. Der Screening-Prozess kann auch manipuliert werden, so dass es möglich ist, künstlich falsch positive oder falsch negative Profile zu erstellen. Selbst wenn das clientseitige Screening für aktuelle Zwecke eng zugeschnitten ist, wird die Öffnung von Geräten für staatlich angeordnete Screenings wahrscheinlich zu zukünftigen Versuchen führen, den Umfang der Inhalte, die Ziel solcher Maßnahmen sind, zu erweitern.
Insbesondere dort, wo die Rechtsstaatlichkeit schwach ist und die Menschenrechte bedroht sind, könnten die Auswirkungen der client-seitigen Überprüfung viel umfassender sein, z. B. könnten sie zur Unterdrückung der politischen Debatte oder zur gezielten Bekämpfung von Oppositionellen, Journalisten und Menschenrechtsverteidigern eingesetzt werden.“
Insgesamt kommen die Menschenrechtsexperten zu dem Schluss: „Ohne eine eingehende Untersuchung und Analyse scheint es unwahrscheinlich, dass solche Beschränkungen nach den internationalen Menschenrechtsvorschriften als verhältnismäßig angesehen werden können, selbst wenn sie in Verfolgung legitimer Ziele auferlegt werden, angesichts der Schwere ihrer möglichen Folgen.“ Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs „untermauern diese Schlussfolgerung“. Danach sei eine automatische Analyse nur bei Bedrohung der nationalen Sicherheit denkbar. „Das Gericht lehnt jede andere Rechtfertigung ab.“ Die Rechtsprechung zeige „eine noch stärkere Skepsis gegenüber dem Screening von Inhaltsdaten“. Der UNO-Menschenrechtskommissar empfiehlt Nachrichtendurchsuchungen nur gezielt bei verdächtigen Einzelpersonen vorzunehmen.
Kaum Kritik aus den Reihen der Abgeordneten zu erwarten
Der Europaabgeordnete der Piratenpartei Dr. Patrick Breyer kommentiert die Einschätzungen von Volker Türk:
„Die Menschenrechtsexperten sprechen aus, was in Brüssel totgeschwiegen wird: Wahllose Massenüberwachung unserer privaten Kommunikation ist nicht nur ineffektiv, sondern auch eindeutig illegal. Die Wölfe im Kinderschutzpelz in Brüssel sind aber in einer so klaren Mehrheit, dass es massive Proteste brauchen wird, um das digitale Briefgeheimnis und digitale Sicherheit im Netz zu retten. Alle werden gebraucht!“
Das EU-Parlament hat letzte Woche den Startschuss zu den Verhandlungen gegeben. Berichterstatter und Chefverhandler wird der konservative Abgeordnete Javier Zarzalejos sein. Zarzalejos hat bereits die umstrittene Europol-Reform verhandelt. Er ist allgemein bekannt als ein starker Befürworter der Chatkontrolle. Auch für die liberale Fraktion verhandelt mit Hilde Vautmans eine starke Befürworterin. In der Folge wird die Mitte-Rechts-Mehrheit im Parlament die Pläne wahrscheinlich unterstützen. Für die Fraktion Grüne/Europäische Freie Allianz sitzt mit Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei) ein klarer Gegner mit am Verhandlungstisch.
Doch damit nicht genug. Wie Breyer berichtet, hat die tschechische Ratspräsidentschaft zwischenzeitlich vorgeschlagen, die Verordnung zur Chatkontrolle zu erweitern. Sie fordern neben der Kontrolle aller Chat-Inhalte auf Smartphones die Löschung von Suchmaschinen-Ergebnissen.
Wer sich mit dem Thema eingehend beschäftigen möchte, kann sich die Fakten ausführlich auf Breyers Seite Chatkontrolle.de anschauen. Ob die Warnung des UNO-Menschenrechtskommissars bei den Verhandlungen etwas bringen wird, darf man hingegen ernsthaft bezweifeln.