Ein geleakter Gesetzentwurf zur Chatkontrolle deutet darauf hin, dass Sicherheitsbehörden von der geplanten Chatkontrolle ausgenommen sind.
Offenbar wollen sich die EU-Innenminister selbst sowie die Sicherheitsbehörden nicht der geplanten Chatkontrolle, einem Ende privater Nachrichten und sicherer Verschlüsselung, aussetzen.
Die EU-Kommission hat bereits am 11. Mai 2022 einen Vorschlag zu der Verordnung zur Bekämpfung sexueller Gewalt an Kindern vorgestellt. Ursprünglich will man damit Kinder besser schützen und die Täter trotz Anonymität des Internets aufspüren. Im Wesentlichen sollten die Unternehmen verpflichtet werden, sexualisierte Gewalt gegen Kinder auf ihren Plattformen zu erkennen und schließlich zu entfernen. Kritiker merkten an, dass eine Chatkontrolle als Maßnahme dabei allerdings deutlich übers Ziel hinausschießt.
Aufgrund des Widerstands mehrerer Länder war die Chatkontrolle im Oktober 2023 dann vorübergehend auf Eis gelegt. Damals fand die umstrittene Verordnung nicht die erforderliche Mehrheit. Dass das Thema damit nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben war, konnte man da allerdings schon absehen.
EU-Regierungen wollen Chatkontrolle doch noch durchdrücken
Bereits Anfang April 2024 wurde bekannt, dass die EU einen neuen Vorstoß bezüglich Chatkontrolle unternahm. Dabei will man einen bereits beschlussfertigen Vorschlag nun schon im Juni 2024 umsetzen. Gemäß Pressemitteilung von Europaabgeordneten Dr. Patrick Breyer „wollen die EU-Innenminister Accounts der Angehörigen von Sicherheitsbehörden wie Geheimdienste, Polizei und Militär von der geplanten Chatkontrolle ausnehmen (Artikel 1 Absatz 2a).“
Die Information basiert auf einem vom Informationsdienst Contexte geleakten Gesetzentwurf zur Chatkontrolle. Demnach soll die Verordnung zudem auch „vertrauliche Informationen“ wie Berufsgeheimnisse von der Überwachung ausnehmen. Ferner würden die EU-Regierungen auf eine Unterstützung des geplanten EU-Kinderschutzzentrums bei der Prävention sexuellen Kindesmissbrauchs verzichten (Artikel 43 Absatz 8). Diese waren mit einer Ausarbeitung von Best Practices für Präventionsinitiativen beauftragt.
Kritiker bringen Proteste zum Ausdruck
Europaabgeordneter der Piratenpartei Dr. Patrick Breyer kommentiert:
„Dass die EU-Innenminister Polizisten, Soldaten, Geheimdienstler und auch sich selbst von der Chatkontrolle ausnehmen wollen beweist, dass sie wissen, wie unzuverlässig und gefährlich die Schnüffelalgorithmen sind, die sie auf uns Bürger loslassen wollen. Offensichtlich rechnen sie damit, dass selbst Militärgeheimnisse ohne jeglichen Bezug zu Kindesmissbrauch jederzeit in den USA landen könnten. Die Vertraulichkeit der Regierungskommunikation ist natürlich wichtig, aber dasselbe muss für den Schutz der Wirtschaft und natürlich der Bürgerinnen und Bürger gelten, einschließlich der Räume, die Missbrauchsopfer selbst für einen geschützten Austausch und Therapie brauchen. Wir wissen, dass die meisten von den heute noch freiwilligen Schnüffelalgorithmen geleakten Chats ohne jede Bedeutung für die Polizei sind, zum Beispiel Familienfotos oder einvernehmliches Sexting. Es ist eine Unverschämtheit, dass die EU-Innenminister die Folgen der Zerstörung des digitalen Briefgeheimnisses und sicherer Verschlüsselung, die sie uns zumuten, selbst nicht ausbaden wollen.“
„Dem offiziellen Ziel des Kinderschutzes spricht es Hohn, dass die EU-Innenminister ausgerechnet bei der Vorbeugung von Kindesmissbrauch die Ausarbeitung von Best Practices ablehnen. Deutlicher kann man nicht machen, dass Ziel der Chatkontrolle Massenüberwachung mit chinesischen Methoden ist und nicht ein besserer Schutz unserer Kinder. Wer echten Kinderschutz will, würde eine systematische wissenschaftliche Evaluierung und Umsetzung multidisziplinärer Präventionsprogramme auf den Weg bringen, ebenso wie europaweite Standards und Leitlinien für strafrechtliche Ermittlungen wegen Kindesmissbrauchs, einschließlich der Identifikation von Opfern und der nötigen technischen Mittel. Nichts davon planen die EU-Innenminister.“
Einstufung von Chatkontrolle als Unsicherheitsfaktor
Die Informatikerin und Spitzenkandidatin der Piratenpartei zur Europawahl Anja Hirschel ergänzt:
„Die weitere Formulierung, dass Berufsgeheimnisse von der Chatkontrolle nicht betroffen sein sollen, ist eine in Paragrafen gegossene Lüge. Kein Anbieter und kein Algorithmus kann wissen oder feststellen, ob ein Chat mit Ärzten, Therapeuten, Anwälten, Strafverteidigern usw. geführt wird, um ihn von der Chatkontrolle auszunehmen. Die Chatkontrolle droht unweigerlich auch Intimfotos für Behandlungszwecke und Prozessunterlagen zur Verteidigung von Missbrauchsopfern an Personen zu leaken, bei denen sie nichts zu suchen haben und bei denen sie nicht sicher sind.“