EU Gebäude
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Bildquelle: piqsels

EU: NGO Thorn steckt hinter der geplanten Chatkontrolle

Wie nun bekannt wurde, stammten die Pläne der EU-Kommission von der NGO Thorn. Man schlug der EU einen breiten Einsatz der Chatkontrolle vor.

Ein aktueller Bericht von „Follow The Money“ zeigt, dass Thorn aktive Lobbyarbeit in den höchsten Kreisen getätigt hat. Thorn hat unter anderem der US-Schauspieler und Unternehmer Ashton Kutcher gegründet. Die Organisation zeigte der EU-Kommission auf, dass man die geplante Chatkontrolle für vielseitige Zwecke nutzen kann.

Von Anfang an ging es nicht nur um den Kampf gegen Kindesmissbrauch. Die Aktivitäten der als wohltätig geltenden NGO erinnern mehr an ein Unternehmen als an einen Verein.

Thorn unterhält wertvolle Kontakte zur EU-Spitze

Im Vorstand von Thorn sitzt unter anderem die ehemalige EU-Politikerin Neelie Kroes. Es besteht auch ein guter Draht von der NGO zur EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. Darüber wollte man offenkundig Einfluss auf die Politik in ganz Europa nehmen. Problematisch ist nicht nur, dass man die Verschlüsselung für viele Zwecke aufbrechen wollte. Hinderlich ist, dass die bislang eingesetzte Software überaus fehlerhaft arbeitet. Sie erkennt zahlreiche Medien als schädlich und schlägt oftmals an, obwohl der Inhalt harmlos ist.

Chatkontrolle: Polizeibehörden verlangen Zugriff auf die Daten

Auch die europäische Polizeibehörde Europol forderte bereits den Zugang zu den Daten, die man im Rahmen der Chatkontrolle erheben will. Dies dürfte nicht die letzte Forderung einer Behörde sein, die laut wird. Die EU-Kommission gab die nun veröffentlichten Dokumente mit dem Verweis auf Geschäftsgeheimnisse von Thorn nicht frei. Ans Tageslicht kamen sie mittels einer Anfrage über den Umweg über das schwedische Informationsfreiheitsgesetz.

thorn

Dokumente enthalten keine Geschäftsgeheimnisse von Thorn

Dr. Patrick Breyer, Mitglied des Europäischen Parlaments für die Piratenpartei und prominentester Gegner der Chatkontrolle, kommentiert den Leak.

“Im Zuge des Chatcontrolgate wurde aufgedeckt, dass hinter dem Angriff der von der Leyen-Kommission auf Briefgeheimnis und sichere Verschlüsselung ein internationaler überwachungsbehördlich-industrieller Komplex steckt. Bis heute behindert die Kommission die Rekonstruktion der Wahrheit über diesen Skandal, indem sie Beweisdokumente zurückhält. Aus den heutigen Enthüllungen geht hervor, dass die Lobbydokumente von Thorn entgegen den Verschleierungsversuchen der Kommission mitnichten Geschäftsgeheimnisse enthalten, sondern wegen ihres für die Überwachungspläne der Kommission unbequemen Inhalts vertuscht werden sollten. Ich weiß von weiteren, bis heute zurückgehaltenen Dokumenten. Der LIBE-Ausschuss fordert gerade auf unsere Initiative Einsicht.

Bis zu 75% falsche Ergebnisse

Es ist völlig unrealistisch, die Chatkontrolle-KI auf eine Genauigkeit von 99,9 % einzustellen, wie Thorn der Politik einzuflüstern versucht. Erst im Dezember hat Innenkommissarin Johansson öffentlich eingeräumt, dass nur jedes vierte durch die Chatkontrolle geleakte intime Foto und Video polizeilich relevant ist. Wir beobachten also in der Praxis zu 75 % falsch-positive Ergebnisse, nicht zu 0,1%. Auch der Gesetzentwurf der EU-Kommission zur Chatkontrolle verlangt in keiner Weise eine Zuverlässigkeit der Überwachungsalgorithmen von 99,9 %. Der Industrie stünde es frei, die derzeitigen Algorithmen zu verwenden, die unsere Polizei mit meist legalen intimen Fotos überschwemmen.

Verdachtsunabhängige Überwachung kriminalisiert alle EU-Bürger

Follow the money

Wir wissen jetzt, dass Thorn Lobbyarbeit gegen demokratische Auflagen an seine unzuverlässige Überwachungstechnologie lobbyiert und sie als “übermäßig präskriptiv” diskreditiert. Im Europäischen Parlament setzen wir uns dafür ein, dass unabhängige und öffentlich zugängliche Audits für jede verwendete Technologie vorgeschrieben werden. Klar ist aber: Keine Technologie kann zuverlässig zwischen einvernehmlichem Sexting und dem Austausch strafrechtlich relevanten Materials unterscheiden, was zu einer massiven Kriminalisierung von Teenagern durch die Chatkontrolle führt.

Sicherheit der Daten gefährdet

Thorn lobbyiert ebenso wie die EU-Kommission für ein Aushebeln sicherer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung privater Nachrichten mithilfe von Überwachungsalgorithmen auf jedem Smartphone (client-side scanning). Das widerspricht den Feststellungen der eigenen Experten der EU-Kommission, die in der Folgenabschätzung zum Gesetzentwurf (S. 296) wie folgt zitiert werden:

Die Experten stufen den Datenschutz der empfohlenen Methode “geräteinternes Hashing mit serverseitigem Abgleich” als “mittelmäßig bis gering” ein. Sie warnen, dass die Methode “Schwachstellen einführen könnte, die den Datenschutz der Kommunikation beeinträchtigen könnten”. Auch die Sicherheit dieses Ansatzes wird als “mittelmäßig bis gering” eingestuft, wobei davor gewarnt wird, dass technisch versierte Straftäter wie die organisierten Kriminellen, die Missbrauchsmaterial produzieren und Missbrauch begehen, einfach zu einem anderen Messenger wechseln könnten.

Nach was will man noch unsere Nachrichten überwachen?

Die Öffentlichkeit wird entsetzt sein zu erfahren, dass Thorn vorschlägt, Anti-Verschlüsselungsgesetze über den sexuellen Missbrauch von Kindern hinaus anzuwenden, da der Zweck des Scannens verschlüsselter Nachrichten “viel breiter als ein einziges Verbrechen” sein könnte. Dafür setzt sich auch Europol ein – zwei ehemalige Europol-Beamte haben sich Thorn nicht ohne Grund angeschlossen.

Wenn es dem internationalen überwachungsbehördlich-industriellen Komplex einmal gelingt, sichere Verschlüsselung auszuhebeln, werden sie unsere persönlichen Nachrichten schon bald auch nach Terrorismus, Filesharing und politischen Inhalten scannen wollen. Diese Enthüllung gibt unserem Kampf um das digitale Briefgeheimnis und sichere Verschlüsselung neuen Auftrieb.”

Sucht Thorn demnächst auch nach Raubmordkopierern und politischen Aktivisten?

Aktuell fordert das überwachungsbehördlich-industrielle Netzwerk einschließlich der Dachorganisation WeProtect, in der auch Thorn Mitglied ist, die Verlängerung der verdachtslosen Chatkontrolle auf freiwilliger Basis durch US-Internetkonzerne, die eigentlich Mitte des Jahres auslaufen sollte. Der LIBE-Innenausschuss des Europäischen Parlaments soll nächsten Montag darüber abstimmen.

Wer sich weitergehend informieren möchte: Patrick Breyer hat auf einer Informationsseite zahlreiche Details zur geplanten Chatkontrolle zusammengetragen.

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Früher brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert. In seiner Freizeit geht er am liebsten mit seinem Hund spazieren.