Laut einem Vorschlag von Dänemark soll es weiterhin eine EU-weite freiwillige Chatkontrolle geben. Doch es gibt dabei mehrere Probleme.
Dänemark, das derzeit den Vorsitz im EU-Rat innehat, schlägt eine wichtige Änderung des viel kritisierten EU-Vorschlags zur Chatkontrolle vor. Anstatt den Betreibergesellschaften der Messenger die massenhafte Durchsuchung privater Chats vorzuschreiben soll es weiterhin eine freiwillige Chatkontrolle geben. Doch es gibt gleich zwei Haken. Bislang ist die richterlich angeordnete Überwachung der Chats auf Personen beschränkt, bei denen es tatsächlich Indizien für Kindesmissbrauch gibt. Diese wichtige Einschränkung soll wegfallen. Zudem will man EU-Bürgern unter 16 Jahren anonyme E-Mails und Chats grundsätzlich verbieten. Sie müssten sich zunächst identifizieren, um solche Programme nutzen zu können.
Die freiwillige Chatkontrolle wäre ein Schritt in die richtige Richtung, der Entwurf ist noch nicht ausgereift!
Ein entsprechendes Diskussionspapier hat Dänemark am gestrigen Donnerstag an die Vertreter der EU-Länder verteilt. Sie wollten damit ihre Ansichten zu dem Vorschlag einholen.
“Der neue Vorschlag ist ein Triumph der digitalen Freiheitsbewegung und ein großer Sprung nach vorn zur Verteidigung unseres digitalen Briefgeheimnisses”. Dies kommentiert Patrick Breyer von der Piratenpartei. Breyer ist Jurist, ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments und digitaler Freiheitskämpfer. “Der Vorschlag würde sichere Verschlüsselung schützen und damit die Sicherheit unserer Smartphones. Allerdings blieben drei grundlegende Probleme ungelöst, sollten die anderen EU-Länder den Vorschlag annehmen:
75% der gemeldeten Chats sind nicht strafrechtlich relevant!
- Massenüberwachung: Selbst wenn Anbieter wie Meta (Instagram, Facebook), Microsoft oder Google (GMail) die Chatkontrolle “freiwillig” praktizieren, ist sie immer noch eine völlig ungezielte und wahllose Massenüberwachung aller unverschlüsselten privaten Nachrichten über diese Dienste. Nach Angaben der EU-Kommission sind etwa 75 % der Millionen privater Chats, Fotos und Videos, die jedes Jahr von den unzuverlässigen Chatkontrollalgorithmen der Industrie geleakt werden, nicht strafrechtlich relevant und lassen unsere intime Kommunikation in die Hände Unbekannter gelangen, bei denen sie nicht sicher ist und bei denen sie nichts zu suchen hat. Eine ehemalige Richterin des Europäischen Gerichtshofs, Ninon Colneric (S. 34 f.), und der Europäische Datenschutzbeauftragte (Abs. 11) haben gewarnt, dass diese wahllose Überwachung gegen unsere Grundrechte verstößt, selbst wenn die Anbieter sie eigenmächtig praktizieren dürfen. In Bayern ist bereits eine Klage gegen diese Praxis anhängig.
Das Europäische Parlament schlägt einen anderen Ansatz vor. Die Telekommunikations-Überwachung soll von einem Richter angeordnet werden können, aber auf Personen oder Gruppen beschränkt werden, die mit sexuellem Kindesmissbrauch in Verbindung stehen. Dem dänischen Vorschlag fehlt bei der geplanten Chatkontrolle eine solche Beschränkung auf Verdächtige bisher.
Kinder unter 16 Jahren sollen keine relevanten Apps mehr installieren dürfen
- Digitaler Hausarrest: Nach dem von Dänemark nahezu unverändert vorgeschlagenen Artikel 6 könnten Nutzer unter 16 Jahren künftig zum Schutz vor sexueller Annäherung alltägliche Apps aus dem App-Store nicht mehr installieren. Dazu gehören Messenger-Apps wie WhatsApp, Snapchat, Telegram oder X (Twitter), Social-Media-Apps wie Instagram, TikTok oder Facebook, Spiele wie FIFA, Minecraft, GTA, Call of Duty, Roblox, Dating-Apps, Videokonferenz-Apps wie Zoom, Skype, Facetime. Ein solches Mindestalter wäre leicht zu umgehen und würde Jugendliche bevormunden und isolieren, anstatt sie zu stärken.
- Verbot anonymer Kommunikation: Nach dem von Dänemark unverändert vorgeschlagenen Artikel 4 (3) wäre es Nutzern künftig nicht mehr möglich, anonyme E-Mail- oder Messenger-Konten einzurichten oder anonym zu chatten, ohne einen Ausweis oder ihr Gesicht vorzeigen zu müssen, wodurch sie identifizierbar würden und das Risiko von Datenlecks entstünde. Dies würde z. B. sensible Chats zum Thema Sexualität, anonyme Pressekommunikation mit Quellen (z. B. Whistleblowern) sowie politische Aktivitäten einschränken.“
Dänemarks Entwurf bedarf der Bearbeitung
Alles in allem ist der neueste dänische Vorschlag im Vergleich zu den bisherigen Texten ein großer Fortschritt in Bezug auf unsere Sicherheit im Internet. Aber der Gesetzentwurf erfordert noch gravierende Nachbesserungen. Gleichzeitig geht der Vorschlag wahrscheinlich schon zu weit für die Hardliner-Mehrheit der EU-Regierungen. Und auch für die EU-Kommission, deren Überwachungshunger bisher stets so extrem war, dass sie die Opfer lieber ohne Einigung ganz im Stich lassen als eine verhältnismäßige, gerichtsfeste und politisch mehrheitsfähige Alternative zur Chatkontrolle zu akzeptieren.
Freiwillige Chatkontrolle: Signal, Threema & Co. würden bleiben
Die freiwillige Chatkontrolle hätte immerhin den positiven Effekt, dass Messenger-Anbieter wie Signal nicht, wie mehrfach angekündigt, ihre Tore innerhalb Europas schließen würden.
















