Patrick Breyer
Patrick Breyer
Bildquelle: Oliver Franke

MdEP Patrick Breyer im Interview über Chatkontrolle und Demokratie

Der Europaabgeordnete Patrick Breyer von der Piratenpartei steht Tarnkappe.info im Interview Rede und Antwort.

Der MdEP Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei) war bei Tarnkappe.info zu Gespräch über Demokratie, Chatkontrolle und zukünftigem politischen Geschehen in Deutschland.

Nackt im Netz, weil jeder Klick nachvollziehbar und identifizierbar wird

Tarnkappe.info: Nach außen kommuniziert die EU ein großes Interesse an Datenschutz, Demokratie und Sicherheit. Wie passen die Pläne zur Umgehung der E2E-Verschlüsselung, Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene und automatisierter Chatkontrolle zu einem solchen Anspruch?

Patrick Breyer: Das passt überhaupt nicht zusammen, denn da sind die Bekenntnisse zu Grundrechten oft Lippenbekenntnisse und man glaubt, dass man den Behörden total vertrauen könnte und dass man in einem Überwachungsstaat sicherer leben würde, was ein fataler Irrtum ist.

Tarnkappe.info: Und es ist halt die Frage, warum die das immer wieder aufwärmen. Der EuGH hat dazu geurteilt, dass es illegal ist. Ich habe auch die EU-Ratssprecherin dazu befragt, aber die Antwort war wenig hilfreich.

Patrick Breyer: In den geleakten EU-Plänen steht schon drin, dass man versuchen will, die Urteile des Europäischen Gerichtshofes zu respektieren. Aber es ist ja eine politische Frage: Wollen wir die Grundrechte zum maximal möglichen Maß einschränken, soweit es eben noch vom Gericht zugelassen ist oder verstehen wir, dass eine Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen, was ja der EuGH leider zuletzt zugelassen hat, bedeutet, dass wir eigentlich nackt im Netz sind, weil jeder unserer Klicks und unserer Eingaben dadurch nachvollziehbar und dadurch identifizierbar wird. Deswegen müssen wir verhindern, dass so eine totale Vorratsdatenspeicherung wieder über den Umweg Brüssel uns auferlegt wird.

„Bekenntnisse zu Grundrechten oft Lippenbekenntnis“

Tarnkappe.info: Nun kann man das TMG ergänzen, was Diensteanbieter teilweise dazu verpflichtet, die Daten der Nutzer aufzuzeichnen. Geht das nicht in eine ähnliche Richtung?

Patrick Breyer: Die Große Koalition hat leider immer wiederholt neue Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen, die in krassem Widerspruch stehen zu den Urteilen des Europäischen Gerichtshofes und unseren Grundrechten. Deswegen haben Gerichte das auch ausgesetzt. Es wird in Deutschland zurzeit nicht auf Vorrat gespeichert und es wurde gerade vor einer Woche von verschiedenen Datenschutz- und Journalistinnenorganisationen ein Brief an die Ampelkoalition geschickt, dass die VDS die schädlichste Altlast der alten Koalition ist und im Zuge der Koalitionsverhandlungen endlich vom Tisch muss.

Tarnkappe.info: Haben Sie da Zuversicht, dass die neue vorraussichtliche Regierung sich dessen annimmt oder ob sie vielleicht die alten Fehler wiederholt?

Patrick Breyer: Zwei der drei Parteien, Grüne und FDP, wollen die Vorratsdatenspeicherung abschaffen und es ist jetzt ihre Verantwortung, das gegen die SPD durchzusetzen.

Breyer: Vorratsdatenspeicherung nicht entscheidend über Aufklärungsquote oder Kriminalitätsquote

Tarnkappe.info: Warum ist das Interesse der christdemokratischen Parteien an der Vorratsdatenspeicherung so hoch?

Patrick Breyer: Ermittler wünschen sich im Einzelfall, dass sie bestimmte Daten nachverfolgen und identifizieren können, die jetzt teilweise auch zeitnah gelöscht werden. Sie vergessen jedoch, dass eine totale Rückverfolgbarkeit zu einer Gegenbewegung führt. also zu einem verstärkten Einsatz von Anonymisierungsdiensten oder Darknet-Plattformen. Dieser Verdrängungseffekt gefährdet Ermittlungen in anderen Fällen.

Wir haben statistisch gesehen, dass in keinem europäischen Land mit Vorratsdatenspeicherung die Aufklärungsquote oder gar die Kriminalitätsquote sich darin unterscheidet, ob eine Vorratsdatenspeicherung in Kraft ist oder nicht. Es ist überhaupt nicht nachweisbar, dass eine so eine breitflächige Erfassung der kompletten Bevölkerung wirklich einen statistisch signifikanten Effekt auf die Kriminalität hätte.

Patrick Breyer (Bildquelle: Pressefotos)

Tarnkappe.info: Auf die christdemokratischen Parteien angesprochen, ist es aus Ihrer Sicht vielleicht eine Unwissenheit, Übereifrigkeit oder ist es vielleicht böswillig?

Patrick Breyer: Die CDU ist schon seit Jahren ein Fall für den Verfassungsschutz, weil sie Grundrechte abbaut und aushöhlt und zeitweise darüber nachgedacht hatte, das Bundesverfassungsgericht zu entmachten, als ihnen die Urteile zu unangenehm geworden sind. Man hat es stattdessen so gemacht, dass man einfach bei der Besetzung der Richter direkt ehemalige Politiker ins Gericht gesetzt hat, was leider einen ähnlich schädlichen Effekt hat.

Breyer: CDU seit Jahren ein Fall für den Verfassungsschutz

Tarnkappe.info: Polen hat kürzlich eine Rüge der fehlenden Unabhängigkeit ihrer Justiz. Die zeigten im Gegenzug auf unsere Justiz und quasi gesagt haben „also eure Richter, alles Politiker, das geht auch nicht“. Wie stehen Sie dazu?

Patrick Breyer: Dass in Deutschland Ernennungen politisiert werden und vor allem auch, dass die Staatsanwaltschaft bis heute dem Weisungsrecht von Politikern unterworfen ist, statt unabhängig zu sein, das ist in der Tat eine inakzeptable Situation in Deutschland. Aber es ist überhaupt nicht vergleichbar zu dem, was in Polen läuft, wo gegen jegliche grundrechtliche Standards verstoßen wurde, gegen die Unabhängigkeit der Justiz, wo man Richter abgesetzt, versetzt, pensioniert hat, ein neues Verfassungsgericht eingesetzt hat, was jetzt Urteile im Sinne der Partei fällt, wo man gegen unabhängige Medien vorgeht.

Das was da passiert, wo gar keine rechtsstaatlichen Mechanismen mehr respektiert werden von der polnischen Regierung, das hat eine völlig andere Qualität als die Defizite in Deutschland, so schwierig sie auch sind. Aber man macht sich natürlich unglaubwürdig dadurch. Wenn Deutschland selbst solche Leichen im Keller hat, fällt es dadurch schwer, die viel krasseren Verstöße in Polen glaubwürdig zu kritisieren.

Deutsche Regierung macht sich unglaubwürdig

Tarnkappe.info: Proteste scheinen auf deutscher oder EU-Ebene zunehmend ignoriert. Das deutsche NetzDG oder der kürzlich hinzugekommene § 188 StGB, was der Majestätsbeleidigung für Politiker ähnelt, all die Sachen bewirken eine Schere im Kopf. Wohin entwickeln sich Deutschland und die EU in dem Hinblick und kann man überhaupt etwas dagegen machen als Normalsterblicher?

Patrick Breyer: Gerade in Deutschland hat man wirklich nichts zu befürchten, wenn man für seine Grundrechte eintritt und sich Grundrechtsverletzungen nicht bieten lässt. Man kann sich da gut zur Wehr setzen. Es werden immer wieder Sachen einkassiert oder wie zum Beispiel im Fall des NetzDG, das wird wahrscheinlich abgelöst, weil wir auf europäischer Ebene eine neue einheitlichere Gesetzgebung verhandeln, die hoffentlich auch deutlich besser ausfallen wird.

„NetzDG wird wahrscheinlich abgelöst“

Tarnkappe.info: Das sind erfreuliche Nachrichten. Aber wohin entwickeln sich Deutschland und die EU; immer mehr Überwachung und Zensur?

Patrick Breyer: Das digitale Zeitalter hat uns eigentlich einen Freiraum versprochen, in dem man gleichberechtigt miteinander kommunizieren und sich informieren kann. Tatsächlich sehen wir aber, dass die technischen Möglichkeiten zur totalen Erfassung, Überwachung und auch Manipulation von Menschen wie auch zur Zensur von Informationen leider immer weiter genutzt und ausgeschöpft werden, auch bei uns in Europa.

Selbst wenn man der jetzigen Regierung vertraut, müssen wir damit rechnen und wir haben es auch immer wieder gesehen in Europa, dass eine rechtspopulistische Partei mit an die Macht kommt und dann diese Möglichkeiten für ihre politischen Zwecke einsetzt. Polen zerstört dadurch die unabhängige Justiz, Ungarn will eine illiberale Demokratie aufbauen, zerstört gerade die letzten kritischen Medien, die werden von Orbán ausgelöscht.

Das zeigt ganz klar, wir müssen allen Anfängen und dieser falschen Entwicklungen vor allem seit den Anschlägen auf die USA entschieden entgegentreten, wenn wir unseren Kindern auch das Maß an Freiheit und offener Gesellschaft und freier Entfaltung auch im Digitalen bewahren wollen.

Patrick Breyer (Bildquelle: Pressefotos)

Facebook-Filter löschen massenhaft Kritik an Terrorismus

Tarnkappe.info: Die EU sagt, wir legen großen Wert auf Demokratie, möchten aber keine Redefreiheit. Ohne kann aber eine Demokratie nicht funktionieren.

Patrick Breyer: Wir haben nicht nur mit dem Problem zu tun, dass die EU das Kommunikationsverhalten der kompletten Bevölkerung auf Vorrat speichern will, und dass sie auch sogar den Inhalt privater Korrespondenz durchleuchten will mit fehlerhaften Algorithmen, die dann automatisch Anzeige erstatten soll, oft gegen Unschuldige. Wir haben auch ganz direkt das Problem, dass die EU auch ganz direkt Uploadfilter vorschreibt, um Urheberrechtsverstößen vorzubeugen, obwohl wir wissen, dass da sehr viele legale und auch wichtige und nützliche Informationen diesen fehlerhaften Filtern zum Opfer fallen.

Montag hatten wir die Facebook-Whistleblowerin Francis Haugen zu Besuch im Europaparlament und die hat genau das noch mal bestätigt als Expertin, dass zum Beispiel die Facebook-Filter massenhaft Kritik an Terrorismus löschen, weil sie sie nicht auseinanderhalten können von Propaganda für Terrorismus. Und das ist ja geraden eine Gefahr für unsere Gesellschaft, wenn man nicht mehr Gegenhalten kann im Netz, wo ja oft leider Rekrutierung und Propaganda stattfindet. Insofern kämpfen wir gegen diese Zensurmaschine.

Fehlerhafte Algorithmen sollen automatisiert Anzeige erstatten und zumeist Unschuldige treffen

Tarnkappe.info: In den Dokumenten zur Chatkontrolle liest man, dass die Behörden weitere Daten bräuchten. Weiter liest man, dass sie so viele Daten hätten, dass sie schon mit Big Data arbeiten müssten, um dieser Geschichte noch Herr zu werden. Ist es dann überhaupt sinnvoll, eine Chatkontrolle einzuführen?

Patrick Breyer: Das vermeintliche Ziel dieser verdachtslosen und flächendeckenden Chatkontrolle ist, gegen Kinderpornographie im Netz vorzugehen. Fakt ist aber erstens, die Dienste, die diese Durchleuchtung bereits einsetzen, nämlich die US-Dienste von Google, Facebook, Microsoft, dort ist die Zahl des gemeldeten Materials ja nicht zurückgegangen, sondern sogar angestiegen. Das heißt, es führt gar nicht dazu, dass weniger Material dort zirkulieren würde.

Und zweitens, wir haben die Situation, dass unsere Strafverfolgungsbehörden überlastet sind schon heute mit den Hinweisen, die sie haben. Es dauert teilweise Monate, bis Wohnungen selbst bei konkretem Verdacht und Durchsuchungsbeschluss auch wirklich durchsucht werden und dann dauert’s nochmal Monate bis Jahre, bis die Datenträger ausgewertet werden. Es kann also sein, dass missbrauchte Kinder sehr lange nicht gerettet werden wegen dieser Verzögerung.

86 % der Meldungen nicht strafrechtlich relevant

In dieser Situation den Heuhaufen noch zu vergrößern, indem man sich weitere Verdachtsmeldungen von anderen Anbietern auch noch zuschicken lässt, die so fehlerhaft sind, dass nach Angaben der Schweizer Bundespolizei 86 % dieser Meldungen sich als überhaupt nicht strafrechtlich relevant herausstellen. Das ist unverantwortlich, denn es kostet Arbeitskraft der Polizei, die besser und wirksamer zum Kinderschutz investiert wäre, wenn man zum Beispiel gegen Kinderpornoringe verstärkt verdeckt ermitteln würde, denn dort werden Kinder missbraucht und dort wird dieses Material hergestellt. Wer etwas gegen die Zirkulation tun will, muss das an der Quelle machen, denn wenn das Material einmal hergestellt wurde, lässt es sich nicht mehr aus dem Internet entfernen.

Tarnkappe.info: Sind die Mitglieder des LIBE-Ausschusses (Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, Anm.) informiert über die technische Durchsetzbarkeit und Möglichkeiten der Anbieter?

Patrick Breyer: Die Experten sind informiert, aber standen leider unter politischem Druck und sahen sich nicht in der Lage, es öffentlich begründen zu können, was vorgeblich dem Schutz der Kinder dient, tatsächlich ihnen aber schadet, indem sie kriminalisiert werden, indem auch einvernehmlich verschickte Bilder von Minderjährigen in falsche Hände geraten können.

Tarnkappe.info: Wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch!