elektronische Patientenakte, Notebook, Stetoskop
elektronische Patientenakte, Notebook, Stetoskop
Bildquelle: piqsels

Bundestag widerspricht nicht der elektronischen Patientenakte für alle

Kritikern geht der aktuelle Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur elektronischen Patientenakte nicht weit genug. Kommt der EU-weite Zwang?

Gestern ging es auch im Bundestag um die Einführung der elektronischen Patientenakte. Zur ersten Bundestagsanhörung überhaupt zum Thema „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ waren zahlreiche Experten geladen. Dazu weist der Europaabgeordnete Dr. Patrick Breyer darauf hin, dass der von der EU geplante „Europäische Raum für Gesundheitsdaten“ (EHDS) die deutschen Reformpläne zur „Makulatur“ zu machen droht.

Denn während die Bundesregierung die elektronische Patientenakte (ePA) für diejenigen Bürger einführen will, die dem nicht widersprechen, hat die EU ganz andere Pläne. Sie verlangt eine Zwangs-ePA für alle, ohne jedes Widerspruchsrecht. Das Europäische Parlament will sich in zwei Wochen entsprechend positionieren und damit einem Gesetzentwurf der EU-Kommission folgen.

Kommt die zwangsweise Einführung der elektronischen Patientenakte für alle EU-Bürger?

Sollte die Zwangs-ePA EU-Gesetz werden, droht auch Deutschland das umsetzen zu müssen. Patienten könnten dann nur noch Datenabfragen einschränken. Sie könnten aber nicht mehr die elektronische Sammlung von Zusammenfassungen jeder ärztlichen Behandlung verhindern.

Die von der EU geplante Zwangs-elektronische Patientenakte mit europaweiter Zugriffsmöglichkeit zieht unverantwortliche Risiken eines Diebstahls oder Verlustes persönlichster Behandlungsdaten nach sich und droht Patienten jeder Kontrolle über die Digitalisierung ihrer Gesundheitsdaten zu berauben“, kritisiert Dr. Patrick Breyer, Europaabgeordneter der Piratenpartei. Breyer ist zudem Verhandlungsführer der Fraktion Grüne/Europäische Freie Allianz im Innenausschuss des EU-Parlaments.

Viele sensible Daten wären gefährdet

Haben wir nichts aus den internationalen Hackerangriffen auf Krankenhäuser und andere Gesundheitsdaten gelernt? Wenn jede psychische Krankheit, Suchttherapie, jede Potenzschwäche und alle Schwangerschaftsabbrüche zwangserfasst werden, drohen besorgte Patienten von dringender medizinischer Behandlung abgeschreckt zu werden – das kann Menschen krank machen! Deutschland müsste längst auf den Barrikaden stehen gegen diese drohende Entmündigung der Bürger und Aushebelung des geplanten Widerspruchsrechts – aber bisher herrscht nichts als ohrenbetäubendes Schweigen.

Quelle, (CC0 1.0)

EU bisher ohne Mehrheit gegen zwangsweise ePA-Einführung

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung betont: „Im Rahmen ihrer Patientensouveränität und als Ausdruck ihres Selbstbestimmungsrechts steht es den Versicherten frei, die Bereitstellung der elektronischen Patientenakte abzulehnen.“ Im EU-Parlament gibt es bisher jedoch keine Mehrheit dafür, Patienten ein Widerspruchsrecht zu geben. Am 28. November sollen die zuständigen Ausschüsse die Parlamentsposition festlegen.

Im Dezember soll das Plenum abstimmen und kann letzte Änderungen vornehmen. Sollte die Zwangs-ePA im weiteren Verlauf EU-Gesetz werden, müsste auch Deutschland das geplante Widerspruchsrecht streichen. Eine Umfrage der Europäischen Verbraucherzentralen (BEUC) ergab, dass 44% der Bürger Sorgen vor Diebstahl ihrer Gesundheitsdaten haben. 40% befürchten zudem unbefugte Datenzugriffe.

Hintergrund

Was ist die elektronische Patientenakte überhaupt? Welche Daten sollen dort erfasst werden? Viele weiterführende Erklärungen und Details kann man der Website der Verbraucherzentrale Bundesverband entnehmen. Der vzbv fordert, dass wir die Hoheit über unsere Daten nicht verlieren dürfen. Gesundheitsdaten sollen nur für solche Zwecke freigegeben werden, die tatsächlich dem Gemeinwohl dienen. Auch fordert der Verband, dass Krankenkassen nicht wahllos die Daten der Patientenakte nutzen dürfen, um damit bei den Versicherten Werbung in eigener Sache zu machen.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte weist zudem darauf hin, dass die Vielzahl der Menschen, die keine eigene Hardware besitzen oder nutzen wollen, auf Dauer keinen Einblick in ihre eigene, von ihnen selbst zu führende ePA haben werden. Somit wären im Fall einer Einführung davon komplett ausgeschlossen.

Diese gravierenden Einschränkungen der Patientensouveränität stehen in Widerspruch zu elementaren Vorgaben der DSGVO und verstoßen damit gegen in Deutschland unmittelbar geltendes europäisches Recht. Hierauf hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) frühzeitig und wiederholt – auch im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens – hingewiesen. Seine Lösungsvorschläge wurden nicht berücksichtigt.“ 

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Früher brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert. In seiner Freizeit geht er am liebsten mit seinem Hund spazieren.