foxconn, amazon
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Bildquelle: China Labor Watch

Amazon-Whistleblower Tang Mingfang verbrachte zwei Jahre in Haft

Der Amazon-Whistleblower Mingfang wollte die Zustände für junge Helfer verbessern, was ihm zwei Jahre Gefängnis einbrachte.

Der Amazon-Whistleblower Tang Mingfang war Manager bei einem der weltweit größten Produzenten namens Foxconn. Junge Chinesen ab 16 Jahren wurden und werden bis heute ohne Gegenleistung in die Fabriken gefahren, um dort bei der Produktion zu helfen. In der Amazon-Zuliefererfabrik in Südchina wurden zu dem Zeitpunkt Kindle-Ebook-Reader und Echo-Lautsprecher hergestellt.

Wer sich von den Heranwachsenden geweigert hätte, 10 Stunden täglich den „freiwilligen“ Dienst in der Hengyang-Fabrik zu verrichten, musste befürchten, dass man ihnen den Abschluss verweigert hätte. Dem Amazon-Whistleblower missfiel die Schichtarbeit auch in der Nacht und die Art und Weise, wie man die jungen Menschen dort behandelt hat.

Eigentlich war er ein belesener und angepasster Mitarbeiter

Im Gespräch mit der Financial Times bezeichnet er sich selbst als „angepasst„. Als er Misshandlungen von Fließbandarbeitern mitbekam, die mit der Arbeit der Studenten unzufrieden waren, dachte er an seinen eigenen Sohn. Er wollte es für die nächste Generation besser haben. Deswegen beschloss der Amazon-Whistleblower im Frühjahr 2019 auszupacken. Die NGO China Labor Watch und der Guardian berichteten darüber, woraufhin Foxconn und Amazon Untersuchungen einleiteten und einige leitende Angestellte entließen. Geändert hat sich aber nichts.

Amazon-Whistleblower, Tang Mingfang
Tang Mingfang

Mingfang hatte das Studium zur Automobiltechnik abgeschlossen und war ins Management von Foxconn aufgestiegen. Er lebte im Foxconn-Werk in Hengyang und konnte seine Frau und seinen Sohn häufiger sehen als jeder andere Wanderarbeiter. Man setzte ihn als Lagerverwalter für die Herstellung von Amazon-Produkten ein.

Schnell erkannte er, dass sowohl die Materialien als auch die Mitarbeiter just in dem Moment bestellt wurden, wenn man sie brauchte. Man stellte Saisonarbeiter ein und entließ sie, wenn der Arbeitsaufwand rückläufig war. Während der Hauptsaison beschäftigte das Werk rund 10.000 Personen, danach nur noch 2.000.

Amazon-Whistleblower deckte Fehlverhalten von Foxconn auf

Hon Hai Technology Group
Hon Hai Technology Group

Darüber hinaus sparten sie das ganze Jahr über Geld, indem sie keine Sozial-, Kranken- oder Rentenversicherung für Gelegenheitsarbeiter ohne festen Arbeitsvertrag zahlten. Eine große Gruppe Wanderarbeiter entstand. Sie ziehen von Fabrik zu Fabrik, um dort je nach Bedarf nur wenige Tage bleiben zu dürfen. Eigentlich hätte die Verwaltung mindestens 90 Prozent der Mitarbeiter fest anstellen müssen. Foxconn gehört zur Hon Hai Technology Group, siehe Grafik links.

So steht es in China im Gesetz. Doch diese Vorgabe wurde und wird bis heute nicht kontrolliert. Die Fabriken leisten einen erheblichen Beitrag zu den Steuereinnahmen, weswegen die Behörden gerne wegsehen.

Außerdem kamen immer mehr studentische „Praktikanten“, die man gar nicht bezahlen musste, um die Lücken im Sommerproduktionszyklus zu füllen. Der Amazon-Whistleblower und seine Kollegen hatten zeitweise das Gefühl, dass überhaupt keine Festangestellten mehr übrig waren. Als im Juni 2018 die NGO China Labor Watch zusammen mit dem Observer die schrecklichen Zustände in einer Fabrik in Hengyang Foxconn berichtet haben, gab die Geschäftsleitung bekannt, dass jetzt alles besser werden soll. Doch das tat es nicht.

Trotz mehrerer Enthüllungen hat sich nichts geändert

Schüler zur Zwangsarbeit verpflichtet

Tang Mingfang überprüfte die Statistiken im hauseigenen Computersystem und stellte fest, dass der Anteil der Leiharbeiter und unfreiwilligen Studenten weiterhin sehr hoch war. Anfang 2019 schickte er eine E-Mail an China Labor Watch und teilte ihnen mit, dass sich bei Hengyang Foxconn nichts unter dem Strich verändert hat. Da die Nichtregierungsorganisation Beweise brauchte, schickte er Kopien der Arbeitsberichte nach New York, wo die NGO sitzt. Er übermittelte ihnen auch eine Liste von Weiterbildungseinrichtungen, die zur Verleihung ihrer Schüler/Studenten bereit waren.

Im September sollten sie 1.200 freiwillige Helfer von sechs Schulen zur Unterstützung erhalten, damit Amazon die Produkte zu Weihnachten pünktlich verkaufen und ausliefern konnte. Die Manager wollten noch mehr studentische Helfer haben, um intelligente Lautsprecher von Amazon herzustellen.

Im August 2019 kam der Bericht des Amazon-Whistleblowers heraus. Wieder ertönten von Seiten von Amazon und Foxconn großspurige Ankündigungen, die für eine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse sorgen sollten. Doch unter dem Strich tat sich bis heute gar nichts. Außer für Tang. Eine Woche nach der Veröffentlichung des Artikels schickte die örtliche Polizeistation einen Beamten in Begleitung von zwei Foxconn-Managern, um Tang Mingfang zum Verhör abzuholen. Tang unterschrieb ein umfangreiches Geständnis, nachdem man ihn dort beim Verhör misshandelt hatte.

Der Amazon-Whistleblower musste für zwei Jahre ins Gefängnis

In der Folge wurde er festgenommen und wegen Diebstahls von Geschäftsgeheimnissen angeklagt. In den folgenden neun Monaten wartete er in einem Haftzentrum auf die Eröffnung seines Prozesses. Foxconn gab im Verfahren an, man müsse enorme Kosten aufwenden, weil die Gehälter in Folge der Offenlegung gestiegen seien. Doch eigentlich wurde die Produktion nur teurer, weil man die Kosten mit illegalen Mitteln gedrosselt hatte und bis heute drosselt.

Alle Fotos: China Labor Watch, thx!

Die Richter wollten das illegale Fehlverhalten des Unternehmens gar nicht diskutieren und auch keine Einreden des Anwalts zulassen. Aufgrund des entstandenen „Schadens“ von Foxconn verurteilte man ihn am 01. Juli 2020 formell zu zwei Jahren Freiheitsentzug wegen der Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen. Während der Untersuchungshaft und auch später musste er im Gefängnis Zwangsarbeiten verrichten. So stellte er Blumenarrangements aus Plastik für Walmart zusammen, obwohl der Export von Gütern, die im Gefängnis entstanden sind, in China verboten ist. Soweit zumindest die Theorie, Walmart wollte sich gegen über der FT nicht dazu äußern.

im Jahr 2022 erfuhr der Amazon-Whistleblower von China Labor Watch, die weiterhin verdeckte Ermittler nach Hengyang geschickt hatten, dass immer noch Zwangsarbeit von Studenten und Gelegenheitsarbeit über das gesetzliche Maß hinaus eingesetzt wurde. Die Situation hatte sich nur für ihn verändert. Er konnte mit seiner Enthüllung leider nichts bewegen.

Harte Konsequenzen für ihn und seine Großfamilie sollen Nachahmer abschrecken!

Dafür konnte er an der Beerdigung seines Vaters nicht teilnehmen. Seine Verwandten müssen befürchten, bei Bewerbungen abgelehnt zu werden, weil er bereit war, die Wahrheit auszusprechen. Er sucht noch immer nach einem Anwalt, der bereit ist, seinen Fall erneut aufzurollen. Auf der Suche nach Wiedergutmachung nahm Tang den Vorschlag von Li von China Labor Watch auf, einen offenen Brief an den Vorstandsvorsitzenden von Amazon, Jeff Bezos, zu schreiben, den die NGO im Januar 2022 online veröffentlichte. Er erhielt von Bezos keine Reaktion. Amazon bekräftige auf Anfrage der Kollegen, man habe sich völlig korrekt verhalten.

Foxconn-Arbeiter bei der Pause.

Anfang des Jahres stellte Amazon eine neue Reihe von Echo-Lautsprechern vor, die ebenfalls in Foxconn Hengyang produziert werden. Das Unternehmen ist stolz darauf, dass die Nutzung der in den Lautsprechern integrierten persönlichen Assistentin Alexa bis 2022 um 35 Prozent steigen wird. Für das letzte Quartal dieses Jahres erwartet man einen Nettoumsatz von 160 Milliarden Dollar. Geld, was man mit unrechtmäßigen Mitteln erwirtschaftet. Doch mehrere amerikanische Anwälte haben Tang schon mitgeteilt, wie schwierig es sein würde, Amazon dafür haftbar zu machen.

Der Amazon-Whistleblower bekommt keine Führungsposition mehr, weil er bei jedem Hintergrundcheck durchfällt. Er ist selbst zum heimatlosen Wanderarbeiter verkommen, deren Rechte er stärken wollte. Alle paar Monate wechselt er zwischen der Südküste und der Ostküste Chinas, um Arbeit zu finden und sich zu fragen, ob er dieselbe Entscheidung noch einmal treffen würde.

Seine Aufrichtigkeit hat ihm regelrecht den Kopf gekostet. Wer ihm in der Vorweihnachtszeit ein paar Euro spenden möchte, kann dies hier tun.

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Außerdem brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, seit 2014 an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert.