Die Wahrheit über kino.to. Ein Fliesenleger realisierte seine Vision von einer perfekten Webseite und trat dabei eine Revolition los.
Als ich sah, dass der Ghostwriter Peter L. Dojo dem kino.to-Gründer Dirk Böttcher dabei half, sein Buch*: „Die Wahrheit über kino.to: Was wirklich geschah“ zu verfassen, dachte ich: „Na ja, da möchte offenbar noch jemand eine schnelle Mark machen, bevor das Thema in Vergessenheit gerät„. Doch weit gefehlt, ich habe die knapp 200 Seiten innerhalb von zwei Tagen durchgesuchtet. Ehrlich gesagt, ich konnte gar nicht mehr aufhören, die Geschichte rund um die Entstehung, den Verlauf und späteren Fall der weltweit ersten groß angelegten Streaming-Plattform zu lesen.
Die Wahrheit über Kino.to – Ein Leipziger Fliesenleger realisierte seine Vision von einer perfekten Webseite …
Dirk Böttcher ist jemand, der zwar selbst kein begnadeter Programmierer sein mag. Aber er versteht die Zusammenhänge der Technik, besitzt Organisationstalent und Mut. Als er kino.to realisieren wollte und selbst etwas nicht konnte, suchte er sich einfach geeignete Mitstreiter. Außerdem hielt er die Fäden dauerhaft fest in der Hand. Ich weiß aus eigener Erfahrung sehr gut, wie schwer es ist, langerfristig eine Handvoll unterschiedlicher Charaktere nur per Chat und Telefon unter einen Hut zu bringen – und zu halten. Doch genau so jemanden hat es gebraucht, um den eDonkey2000-Indexer (eD2K) saugstube.to und später das Streaming-Portal kino.to hochzuziehen.

… und legte sich dabei mit der Filmindustrie in aller Welt an.
Einer muss die Courage haben und vorangehen. Wenn deine Mitstreiter an dich glauben, werden sie dir folgen – fast überall hin. Außerdem hatte Dirk B. eine ganz genaue Vorstellung davon, wie kino.to aussehen und funktionieren sollte, damit es die Besucher gerne benutzen würden. Und mit dieser Vision lag er goldrichtig.
Er bot dem Publikum etwas an, was die Fernseh- und Filmbranche bis heute nicht auf die Reihe bekommt: eine unglaublich umfassende Filmbibliothek, die jeder Depp bedienen kann, weil sie selbsterklärend ist.
Dirk Böttcher bricht sich keinen Zacken aus der Krone, wenn er im Buch zugibt, worin seine Fähigkeiten bestehen und an welchen Punkten er an seine Grenzen kommt. Das macht ihn menschlich, lässt ihn sympathisch wirken.
Das gleiche gilt für seine Ängste und psychische Stabilität. Die uralte Ausstattung, die tägliche Langeweile im Gefängnis nebst der miesen Behandlung der meisten JVA-Mitarbeiter beschreibt er so, wie sie wirken soll: als Einschüchterungsversuch. Und nach dem Urteil als Teil der Strafe. Wie sehr das Ganze an seinen Nerven gezerrt hat, kann man beim Lesen des Buches* sehr gut nachvollziehen.
Kino.to war keine Suchmaschine – hier kann man das Buch bestellen!*
Ist die Ansammlung von eD2K-Links wirklich eine Suchmaschine, so wie Böttcher sein Baby saugstube.to in seinem Buch beschreibt? Nein, das war sie nicht. Bei einer echten Suchmaschine bekomme ich Resultate für alle möglichen Suchanfragen. Dieses Warez-Portal spuckte jedoch nur Dateien aus, die eMule verwenden kann, um damit Urheberrechtsverletzungen zu begehen. Eine Wegbeschreibung innerhalb von Leipzig oder eine Anleitung, wie man Fliesen fachmännisch auf einem Fußboden verlegt, konnte mir diese auf Warez spezialisierte „Suchmaschine“ nicht liefern. Nicht einmal die aktuelle Uhrzeit!
Doch genau das ist der Vergleich, den viele Online-Piraten so gerne als Beispiel nehmen, wenn sie in Gesprächen ihre moralische Verantwortung und Haftung ausschließen wollen. Die Macher von Bing, Google & Yandex müssen für das, was ihre Suchmaschinen als Ergebnis anzeigen, schließlich auch nicht ins Gefängnis. Warum sollte das bei ihnen anders sein, argumentieren sie bei solchen Diskussionen gerne. Aber lassen wir diese juristischen Spitzfindigkeiten.
Wobei – so absurd sind manche Suchanfragen nicht. Schließlich lebte Dirk Böttcher lange Zeit in Leipzig und verdiente seinen Lebensunterhalt tatsächlich mit dem Verlegen von Fußböden. Zumindest, bis kino.to so aufwändig wie lukrativ wurde, dass er seinen Job an den Nagel hing und mit seiner Lebensgefährtin in eine Villa auf Mallorca zog. Doch so schnell dieser Phoenix aus der Asche stieg, so viele Nutznießer wollten später daran teilhaben.
So innovativ wie einst Napster, RapidShare und The Pirate Bay
Das Phänomen kino.to ist aus mehreren Gründen faszinierend. Dieses Streaming-Portal hat die Art und Weise, wie die junge Generation das Internet nutzt, regelrecht revolutioniert. Plötzlich war es für sie mit den unterschiedlichsten Geräten möglich, sich Episoden aktueller Fernsehserien und Kinofilme anzuschauen. Das Streaming funktionierte zu jeder Tages- und Nachtzeit und ganz ohne Anmeldung oder Registrierung.
Genau das war der Grund für den ganzen Ärger: Die Filmwerke waren plötzlich für die breite Bevölkerung verfügbar. Kostenlos, versteht sich. Zwar lag in den Jahren kein einziger Film auf ihren Servern. Doch als digitaler Torwächter begleitete man die Kinofans bis zu ihrem Ziel und profitierte eifrig davon.
Böttcher und sein Team konnten die Erfahrungen von saugstube.to mühelos auf ihr neues Baby übertragen. Sie hatten viel Erfahrung beim Aufbau einer Community gesammelt. Sie ahnten, worauf sie achten mussten. Später wurden sie von ihrem Erfolg überrascht. Dabei war ihr Projekt ähnlich innovativ wie damals die erste P2P-Tauschbörse Napster oder der Online-Speicherdienst RapidShare. The Pirate Bay (TPB) war nicht so einfallsreich, schon weil es fast ein Jahr nach Suprnova.org ans Netz ging. Allerdings ist es in Anbetracht des enormen Drucks der Rechteinhaber nahezu ein Wunder, dass es diese Seite noch immer gibt.
Keine Privatinsolvenz nach Verurteilung!
Doch es gibt auch Unterschiede. Während sich der RapidShare-Gründer Christian Schmid mit seinem Filehoster eine goldene Nase verdiente, stand Böttcher von kino.to am Ende mit vielen Schulden da. Privatinsolvenz? Ausgeschlossen! Trotz mehrerer schriftlicher Vereinbarungen, an die sich die Vertreter der Justiz später nicht mehr erinnern oder sie einhalten wollten, nahm man ihm alles bis auf den letzten Cent weg.
Man solle sich besser gut überlegen, ob man Deals nicht lieber mit der Mafia vereinbart, weil dabei die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass diese eingehalten werden, mutmaßt der Autor zu Beginn seines Werkes. Das klingt unvorstellbar. Doch wer selbst schon mal mit derartigen Behörden zu tun hatte, weiß, dass auch dort nur Menschen arbeiten und dass mitunter nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Traurig, aber wahr!
Kein Paradies ohne Fehler
Das Buch* „Die Wahrheit über kino.to: Was wirklich geschah“ springt inhaltlich permanent von der Entstehungsgeschichte des Portals zu der Zeit, als man die Tatverdächtigen verhaftet hat. Doch das tut der Spannung keinen Abbruch, im Gegenteil.
Man will als Leser wissen, wie es zum Siegeszug von kino.to kam und welche Probleme das Team im Laufe der Monate überwinden musste. Schließlich wollten sie dauerhaft am Ball bleiben. Es tauchten immer neue Hindernisse auf, für die man eine Lösung finden musste. Rechtlicher Ärger, Wechsel der Webhoster, DDoS-Angriffe, Hacker, Online-Werbung, die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU), Verrat in den eigenen Reihen, mehrere Klone und noch mehr Nachahmer, die alle ein bisschen vom Erfolg und somit vom Kuchen abhaben wollten.
Irgendwann wurde es für den kino.to-Gründer und Chef einfach zu viel. Dirk gab das Projekt genervt ab, um seine Nerven zu schonen. Ausgerechnet sein ehemals bester Freund, der Grafiker der Seite, und ein Ehepaar, was er über viele Jahre hinweg finanziell unterstützt hatte, haben ihn später an die GVU verraten. Ob er den Bauarbeiter Bernd N. und seine Gattin, die beiden Freischalter aus Ostfriesland, so schlecht bezahlt hat, wie es die Medien behaupten, wissen am Ende wohl nur die Beteiligten.
GVU & die Generalstaatsanwaltschaft Dresden handelten im luftleeren Raum!
Streaming war zum Zeitpunkt der Festnahme noch gar nicht illegal. Verboten war der Transfer (Download bzw. Upload), also die öffentliche Verbreitung der Werke. Bis zur finalen Entscheidung der höchsten richterlichen Instanz zum Thema Streaming verging noch viel Zeit. Das Filmspeler-Urteil des Europäischen Gerichtshofs wurde am 26. April 2017 gefällt – also fast sechs Jahre nach der Verhaftung des kino.to-Gründers am 8. Juni 2011! Bis dahin stellte kino.to rechtlich gesehen eine Grauzone dar. Nicht weniger aber auch nicht mehr!
Und wenn es stimmt, was Böttcher schreibt, versteuerte er seine Einnahmen ausnahmslos. Dies geschah aber in seiner Wahlheimat Spanien und nicht in Deutschland. Trotzdem wollte man ihn hier auch wegen des Verdachts auf Geldwäsche und Steuerhinterziehung verklagen.
Fakt ist, dass die Justiz auf sehr detaillierte Informationen zurückgreifen konnte, als im Juni 2011 rund 250 Polizeibeamte zeitgleich in mehreren Bundesländern aktiv wurden. Entweder Konkurrenten oder enttäuschte Ex-Partner hatten den Behörden sehr umfangreiche Informationen geliefert, auf dessen Basis eine sofortige Ausschaltung des gesamten Netzwerkes gelang. Das war alles kein Zufall.
Neid und Missgunst. Das sind wahrscheinlich mit die stärksten Motive, die ein Mensch haben kann. Für Böttcher muss sich das alles wie ein wiederkehrender Tritt in die Magengrube angefühlt haben. Erst verraten ihn ehemalige Mitstreiter und später sogar die Behörden.
Die Wahrheit über Kino.to – unser Fazit
Ist das, was im Buch steht*, wirklich die „Wahrheit über kino.to“? Schwer zu sagen. Natürlich war für den Autor und Ghostwriter die Versuchung groß, die Dinge im Nachhinein ein bisschen aufzuhübschen. Doch wie gesagt, Böttcher ist sich an keiner Stelle des Buches zu schade, öffentlich eigene Schwächen und gemachte Fehler einzugestehen.
Dazu kommt: Wer das Buch liest, wird sehr viel näher am wahren Geschehen dran sein, als bei dieser Podcast-Reihe zu kino.to, bei der ausschließlich Kritiker des Projekts zu Wort kommen durften.
Um es kurz zu machen: Der Kauf des Buches „Die Wahrheit über kino.to: Was wirklich geschah“ lohnt sich! Zugegeben, fast 25 Euro für das Taschenbuch sind schon eine Ansage*. Doch Langeweile wird beim Lesen keine aufkommen. Vor allem nicht für solche Menschen, die sich für Technik im Allgemeinen und die deutschsprachige Warez-Szene im Besonderen interessieren. Vorkenntnisse sind auch keine erforderlich, um alles zu verstehen. Von daher: Daumen hoch! Bei dem Inhalt und Popularität von kino.to hätte sicher ein Verlag zugeschlagen. Doch Dirk Böttcher war es wahrscheinlich wichtiger, alles so zu formulieren, wie es ihm gefiel. So gar keine Zensur ist nur bei einem Selbstverlag möglich, schließlich waren auch einige Verlage zahlende GVU-Mitglieder.
Nicht nur für kino.to ging es steil bergab
Und die GVU? In den Folgejahren konnte man nur noch wenige Erfolge wie die Abschaltung von boerse.bz nebst share-online.biz verbuchen. Das war in den Augen des US-Filmverbands MPA in Anbetracht der laufenden Kosten einfach nicht genug! Nachdem der Hauptsponsor den Stecker zog, konnte die GVU das Insolvenzverfahren nicht mehr lange hinauszögern. Im August 2020 war dann auch für die Piratenjäger alles vorbei.
Tja, das Streaming, was kino.to eingeführt hatte, blieb. Es wurde massentauglich. Doch die Unternehmen der Filmbranche haben es bis heute nicht geschafft, eine einheitliche Plattform auf die Beine zu stellen, wo man all ihre Werke bewundern kann. Stattdessen sind in den letzten Jahren immer mehr Streaming-Portale entstanden, die dafür sorgen, dass der Markt in viel zu viele kleine Kuchenstücke aufgeteilt wurde.
„Die haben nach so vielen Jahren immer noch nichts gelernt“, würde Böttcher das Marktversagen wahrscheinlich kommentieren, könnte man ihn irgendwie für ein Statement erreichen. Man darf gespannt sein, ob sich dies jemals ändern wird.
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