Dystopia, Dystopie
Bitte nicht alles glauben, was einem auf dem Smartphone angezeigt wird!
Bildquelle: Baianna

Medienkompetenz leben, heißt kritisch zu sein!

Statt der üblichen satirischen Zusammenfassung der Ereignisse des letzten Monats, präsentieren wir einen Kommentar zum Thema Medienkompetenz.

Ein hochmodernes Fernsehgerät für unter 200 Euro?

Vor vier Monaten fluteten gleich mehrere Videos die sozialen Netzwerke und Videoportale. Bei Facebook, Instagram, YouTube (YT) und TikTok wurde das Gerücht gestreut, Elon Musk, der Geschäftsführer von Tesla, plane im Jahr 2025 die Veröffentlichung eines 80-Zoll-Smart-TV-Geräts für unter 160 US-Dollar. „Was? Ein Autohersteller, der allen Ernstes einen Billigfernseher produzieren will?“ Das dürften sich wohl so manche gedacht haben.

Doch wir haben uns an Fake-News über den Tesla-CEO ja schon ein Stück weit gewöhnt. Auf dem Thumbnail des Videos ist ein mit KI generiertes Bild von Musk zu sehen, das ihn so zeigen soll, als würde er gerade einen riesigen Fernseher präsentieren. Das Ganze ist von vorne bis hinten gelogen. Fernsehgeräte dieser Größe sind in Deutschland derzeit ab etwas unter 900 Euro erhältlich. Das gute Stück von Tesla kündigte man für den Kampfpreis von umgerechnet 139 Euro an! Jeder Mensch mit ein bisschen Verstand müsste direkt einsehen, dass an der Geschichte nichts dran sein kann, oder?

Bitte keine Inhalte ungeprüft übernehmen!

Tja, das sollte man eigentlich glauben. Fakt ist: Dieser Fake erntete bei YouTube 157 Kommentare. Viele Zuschauer haben den Inhalt dabei einfach ungeprüft übernommen. Sie glaubten die dünne Story, obwohl das angekündigte Smart-TV zum Schleuderpreis kein einziges Mal zu sehen ist. In 25 Minuten haben die Ersteller es geschafft, um den heißen Brei zu reden, ohne etwas von der revolutionären Technik zu zeigen, die unseren Markt umkrempeln soll. CEO Musk spricht bei verschiedenen Gelegenheiten hier und dort, vieles über den innovativen Geschäftsmann aus den USA kommt zur Sprache. Doch Details vom neuartigen Fernseher bleiben gänzlich ungenannt.

Warum? Ganz einfach: Weil es keine gibt! Das Unternehmen Tesla würde niemals auf die Idee kommen, plötzlich statt Luxusautos irgendwelche spottbillige Unterhaltungselektronik herzustellen. Weshalb sollten sie das bitteschön tun? Schon in Anbetracht der winzigen Gewinnmarge, die man erwarten kann, bietet sich das für eine Firma nicht an, die mit dem Vertrieb hochpreisiger Elektroautos viel Geld verdient und einen ganz anderen Fokus hat.

Ein von der KI generierter Elon Musk vor dem Smart-TV, das er angeblich verkaufen wird.
Technik zum EK von ca. 400 Euro zum Verkaufspreis von 157 US-Dollar, aber wie?

Kein Wunder, dass ich von den Tesla-Sprechern in den letzten Monaten keine Antwort auf meine Presseanfrage erhalten habe. Die haben sich deswegen wahrscheinlich schon längst schlapp gelacht …

Kein Impressum, keine Haftung?

Ein Bekannter schrieb mich im Frühjahr an. Er bat mich, herauszufinden, was es damit auf sich hat. Also habe ich mir den YouTube-Kanal „Das Tagebuch von Kleopatra“ angesehen, um mir einen ersten Eindruck zu verschaffen. Der „Geschichtskanal“, wie er sich selbst nennt, konnte in weniger als zwei Jahren 39.100 Abonnenten gewinnen. Insgesamt verzeichnet die Google-Tochter für diesen Kanal bald unglaubliche 20 Millionen Videoaufrufe! Ja, ernsthaft, 20 Millionen Video-Views! So viel Erfolg mit Desinformationen ist einfach unfassbar!

Als rechtschaffener Journalist suchte ich vergeblich nach einem Impressum. Gemäß § 5 des Digitale-Dienste-Gesetzes (DDG) ist ein Impressum jedoch zwingend erforderlich, wenn ein Kanal geschäftsmäßige oder journalistisch-redaktionelle Inhalte bereitstellt. Und das tut dieser Video-Kanal in Masse. Dabei reiht sich ein Lügenmärchen an das nächste. Und was tut YouTube beziehungsweise Google? Gar nichts – die freuen sich wahrscheinlich über die vielen Zugriffe. Der anonyme Kanalbetreiber hat nämlich seine 999 Videos monetarisiert, indem er YouTube erlaubt, Werbung einzuspielen.

Natürlich wird man nichts tun, denn die Google-Tochter würde ihr eigenes Geschäftsmodell kaputt machen, würde man auf die Angabe eines Impressums bestehen. Oder darauf, dass alle Videos gelöscht werden, bei denen schon auf den ersten Blick erkennbar ist, dass es sich dabei schlichtweg um groben Unsinn handelt. In den Videos ist die Rede von geheimen Gängen unterhalb Roms, von allerlei seltsamen Entdeckungen, Aliens – und eben auch von dieser und jener innovativer Technologie, die den Weltmarkt für immer verändern soll.

Warum erzähle ich das?

Ich möchte, dass Sie bzw. du bei nächster Gelegenheit erst den eigenen Kopf einschaltest, bevor du derartige Inhalte ungeprüft als Wahrheit hinnimmst. Das klingt so einfach und ist für viele doch so schwierig.

Anderes Beispiel. Ich bekomme über einen Messenger von einem Nachbarn immer wieder Links zu aktuellen Videointerviews geschickt. Das hat glücklicherweise ein wenig nachgelassen, denn ich frage dann immer als Antwort zurück: „Wer ist denn der Experte?” Oder auch: „Welchen beruflichen Hintergrund hat sie oder er? Gibt der Lebenslauf des Gesprächspartners überhaupt derartige Einschätzungen her?“ Dann ist meist Ruhe, der Nachbar schweigt, weil er die Antwort nicht kennt. In der Videobeschreibung findet man zumeist auch keine weiterführenden Informationen.

Ich frage mich häufig bei der Gelegenheit, mit welcher Motivation sich jemand filmen lässt. Und warum stuft die Person öffentlichkeitswirksam Partei A oder Politiker B als unfähig ein? Kaum jemand tut etwas ohne Motiv. Möchte jemand einfach gerne mal im Mittelpunkt stehen, auch etwas Wichtiges zu sagen haben? Man müsste nur lange genug danach suchen, um die Motivation des Sprechers herauszufinden.

An dem Punkt können wir den Faden zurück zu Kleopatra und ihren smarten Fernsehern spinnen. Das Dumme ist nämlich: Viele Menschen stehen auf so einen Mist! Ja, wirklich. Und das hat nicht zwingend etwas mit dem Geschmack der Zuschauer zu tun, wie wir gleich sehen werden.

Medienkompetenz, Fake News
Medienkompetenz ist immer wichtig, egal ob online, beim Hörfunk, Print oder TV.

Sachlich formulierte Inhalte werden oft übersehen

Sachliche Inhalte werden häufig ignoriert. Doch wenn der Titel des Videos so richtig skandalös oder provokant klingt, bringt das Quote. Mit mehr Video-Views gibt es bei jedem Social-Media-Kanal auch mehr Aufmerksamkeit und automatisch höhere Werbeeinnahmen. Und die Betreiber von Insta, TikTok & Co.? Ihr Ziel ist es doch, die Besucherinnen und Besucher so lange wie möglich auf ihrer eigenen Plattform zu halten. Deshalb werden mit Absicht besonders brisante Beiträge oder Videos hervorgehoben, da die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sich viele Personen diesen „Müll” anschauen, ihn liken und im Idealfall sogar kommentieren oder teilen. Umso mehr aggressive Diskussionen bei derartigen Themen entstehen, weil die Meinungen so weit auseinander gehen, umso mehr verdient Facebook & Co. daran. Hurra! Das Problem ist also sowohl gewollt als auch hausgemacht.

Juristisch lässt sich das Phänomen nicht so einfach bekämpfen. In Deutschland wäre es wohl nur schwerlich möglich, die Plattformbetreiber für die Falschaussagen ihrer Nutzer verantwortlich zu machen.

In den USA erst recht nicht, denn dort schützt die Meinungsfreiheit sogar Hetze und antidemokratisches Gedankengut. Nach dem DMCA kann man versuchen, Inhalte löschen zu lassen. Doch die sind mitunter innerhalb weniger Stunden wieder online, nur eben unter einer anderen Internetadresse. Das ist leider auch keine Lösung. YouTube ist fein raus, die sind ihren Pflichten mit der Löschung vollumfänglich nachgekommen. Und die Wahrheit? Die bleibt dabei auf der Strecke.

Was können wir tun?

Es ist eigentlich ganz einfach. Am besten muss man wirklich alles kritisch hinterfragen, was man liest oder sieht. Wenn Sie / dich das Thema wirklich reizt, solltest du einfach mal nach dem Impressum des Kanals suchen. Ach, es gibt gar keins? Interessant! Oder die Betreiber verstecken sich hinter einer Briefkastenadresse weit weg im Ausland? Okay, dann weiß man leider auch Bescheid!

Medienkompetenz, Fake News
Fake News als Paket frisch aus der Druckerpresse?

Klar, Recherche kostet Zeit und Energie. Wer hat die schon übrig, wenn man Feierabend hat und sich eigentlich nur ein bisschen berieseln lassen wollte? Trotzdem lohnt sich der Einsatz.

Wichtig: Medienkompetenz an Minderjährige vermitteln!

Noch entscheidender ist es jedoch, der nächsten Generation diesen kritischen Blick regelrecht in die Wiege zu legen. Die Botschaft an die Kinder muss lauten: „Bitte glaube nicht alles, was man dir erzählen will.” Für die Faker ist es simpel, in Texten oder Videos Zusammenhänge zu verdrehen. Jetzt kommt auch noch der Einsatz künstlicher Intelligenz dazu, mit der angebliche „Videobeweise” ohne großen Aufwand täuschend echt aussehen können.

Ach so, übrigens. Auch von den traditionellen Medien sollte man nicht alles automatisch für bare Münze nehmen. Das fängt schon damit an, dass bestimmte Themen ausgegrenzt oder Fakten der Gegenseite einfach ungenannt bleiben. Ein simples Beispiel gefällig?

„Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.”

Kein Problem! Immer wieder ist die Rede davon, welche Kriegsverbrechen die russischen Armee in der Ukraine verübt. Ja, das tut sie zweifellos. Doch wann wurden wir bei heute.de oder in der Tagesschau schon einmal ausführlich darüber aufgeklärt, welche Schweinereien sich die ukrainische Armee in all den Monaten geleistet hat? Eine ausgeglichene Berichterstattung wäre es aber nur, wenn man regelmäßig über die Opfer und Fehltritte beider Seiten berichten würde. Aber das geschieht im Fernsehen so gut wie nie. Leider hört man davon auch viel zu selten in den Zeitungen, Zeitschriften oder in den Online-Medien.

in every war the first victim is the truth
Grafik von KayshaCC BY-NC-ND 2.0.

Es bewahrheitet sich leider erneut die Aussage, die Winston Churchill gesagt hat, wenn auch nicht als Erster: „Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.” Wie wahr!

Und heute, so viele Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, was gilt aktuell? Nun, heutzutage ist es fast unmöglich, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden. Doch die Lage ist nicht aussichtslos. Halten wir noch kurz am Schluss fest: Medienkompetenz hat nichts mit Intelligenz oder Wissen zu tun, es ist eine Frage der Einstellung.

Deswegen liebes Publikum, bleibt skeptisch und hinterfragt lieber zu viel als zu wenig – damit tut ihr euch und euren Kindern einen Gefallen!

Grüße aus der Provinz!

Lars Sobiraj, Gründer und Chefredakteur von Tarnkappe.info.

Lars Sobiraj
Selbstporträt. Lars Sobiraj in Glasgow im Jahr 2022.

Über den Autor: Lars Sobiraj ist seit fast 20 Jahren als Journalist und Medienexperte mit Fokus auf digitale Themen wie Datenschutz, Netzpolitik und Urheberrecht sowie die Grauzonen der digitalen Gesellschaft tätig. Vor der Gründung seines Blogs „Tarnkappe.info” im Jahr 2014 war er Chefredakteur von „Gulli.com”, einem der ehemals bekanntesten deutschsprachigen IT-Newsportale und Online-Communities.

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Früher brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert. In seiner Freizeit geht er am liebsten mit seinem Hund spazieren.