Ein Siebenjähriger zockt für 33.748 € im Google Play Store. Das LG Karlsruhe urteilt, Eltern haften für unautorisierte In-App-Käufe.
In einem aktuell verhandelten Rechtsfall nutzt ein Siebenjähriger 1.210 Mal die In-App-Käufe im Google Play Store. Sein Vater schaut monatelang nicht hin und muss am Ende 33.748 Euro zahlen. Das LG Karlsruhe zieht in seinem Urteil eine klare Grenze. Digitale Nachlässigkeit kann Eltern folglich teuer zu stehen kommen.
Digitale Realität: Wenn Klicks teuer werden
Das Urteil des Landgerichts (LG) Karlsruhe (Az. 2 O 64/23) vom 24. September 2025 eignet sich gut als Weckruf für alle Eltern. Ein Kind tippt sich per In-App-Käufe durch digitale Zusatzinhalte, während der Vater weder Kreditkartenabrechnungen noch E-Mails prüft. Nach fast zwei Jahren summiert sich die Schadenssumme auf knapp 34.000 Euro. Der Vater klagt gegen den App-Store und verliert auf ganzer Linie. Das Gericht sieht ihn klar in der Pflicht, denn wer seinem Kind ein Gerät mit aktivem Nutzerkonto und hinterlegtem Zahlungsmittel überlässt, setzt dabei selbst den zurechenbaren Rechtsschein, dass alle Transaktionen autorisiert sind.
Der Rechtsfall: 1.210 Käufe in 20 Monaten
Zwischen Februar 2021 und September 2022 erfolgten durch einen Siebenjährigen insgesamt 1.210 Transaktionen über das Nutzerkonto des Vaters. Die einzelnen Käufe bewegten sich dabei in einer Preisspanne von 0,99 Euro bis 109,99 Euro pro Transaktion. Sämtliche Zahlungen wurden über das Google-Play-Konto des Vaters abgewickelt, auf dem seine Kreditkarte als Zahlungsmittel hinterlegt war. Der Vater hatte weder Schutzmaßnahmen aktiviert, noch ein Kinderkonto eingerichtet oder Ausgabenlimits festgelegt, um unautorisierte Käufe zu verhindern.
Die Sicht des Klägers: Unwissen, Vertrauen und ein folgenschwerer Irrtum
Der Kläger, ein erfahrener Softwareunternehmer, hatte das Konto ursprünglich zu geschäftlichen Testzwecken unter einer E-Mail-Adresse seines Unternehmens eröffnet. Damit wollte er eigene digitale Produkte in der Praxis erproben. Nach einiger Zeit überführte er das Tablet, auf dem das Konto genutzt wurde, in seinen privaten Besitz. Seine hinterlegte private Kreditkarte nutzte er sowohl für private Zwecke als auch gelegentlich geschäftlich, etwa für Google-Werbeanzeigen seines Unternehmens.
Zwischen August 2019 und Juli 2020 kaufte er selbst über das Konto einige kostenpflichtige Lern-Apps und Spielinhalte für seinen Sohn im Wert von rund 47,92 Euro. Anschließend überließ er dem Kind das Tablet mit klarer mündlicher Anweisung, keine eigenständigen Käufe durchzuführen. Der Sohn durfte das Gerät nur zu festgelegten Zeiten nutzen, im Rahmen der „Medienerziehung“, wie der Vater betonte.
Doch zwischen Februar 2021 und September 2022 tätigte der damals siebenjährige Sohn 1.210 weitere In-App-Käufe für insgesamt 33.748 Euro. Der Vater erklärte, er habe davon keine Kenntnis gehabt und niemals zugestimmt. Er sei außerdem davon ausgegangen, dass vor jedem Kauf eine Sicherheitsabfrage erfolgen würde. Die betroffenen Apps hätten sich laut seiner Einschätzung hauptsächlich an Kinder gerichtet.
Erst im September 2022, beim Blick auf die Kreditkartenabrechnung, bemerkte der Vater die hohen Beträge und forderte die Rückzahlung von der Beklagten.

Die Gegenposition der Beklagten: Verantwortung liegt beim Kontoinhaber
Das Unternehmen der Beklagten hat seinen Sitz in Irland. Sie betreibt den sogenannten „Google Play Store“, eine Online-Vertriebsplattform für digitale Inhalte. Über diese Plattform können Nutzer Apps, Spiele, Filme, Bücher sowie andere digitale Produkte für ihre Endgeräte erwerben und herunterladen.
Die Beklagte widersprach der Darstellung entschieden. Nach ihrer Auffassung trage der Kläger allein die Verantwortung für die Transaktionen, da er sein Nutzerkonto nicht ausreichend gesichert habe. Er habe zwei Kreditkarten hinterlegt und es versäumt, technische Schutzmaßnahmen zu aktivieren oder ein Kinderkonto mit Kaufgenehmigungen einzurichten.
Die Beklagte argumentierte weiter, dass der Vater keine realistische Kontrolle über das Konto ausgeübt habe. Angesichts des Alters seines Sohnes sei es nicht glaubhaft, dass dieser sich an mündliche Absprachen über Kontonutzung gehalten habe. Auch die Uhrzeiten der Käufe, teils zu später Stunde, sprächen dagegen, dass ausschließlich das Kind gehandelt habe. Zudem hätten sich viele der gekauften Spiele und Zusatzinhalte nicht an Minderjährige, sondern an ein älteres Publikum gerichtet.
Darüber hinaus erklärte die Beklagte hilfsweise die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch über 40.928 Euro, gestützt auf eine angebliche Aufsichtspflichtverletzung nach § 832 BGB.
Gerichtliche Bewertung der In-App-Käufe durch Minderjährige: Vertrauen ersetzt keine Sicherung
Das Gericht musste also entscheiden zwischen einem Vater, der sich auf Vertrauen und Annahmen berief, und einem Konzern, der auf technische Eigenverantwortung pochte. Im Ergebnis folgte die Kammer der Linie der Beklagten. Das Verhalten des Klägers habe über Monate hinweg den Rechtsschein einer autorisierten Nutzung gesetzt und sei damit zurechenbar.
Anscheinsvollmacht – Rechtsschein im digitalen Raum
Das LG Karlsruhe überträgt dabei klassische zivilrechtliche Grundsätze in die Online-Welt. Nach den Regeln der Anscheinsvollmacht haftet, wer den Anschein erweckt, ein Dritter handele in seinem Namen. Im Klartext heißt das, lässt jemand über längere Zeit Käufe über sein Konto zu, entsteht ein zurechenbarer Rechtsschein der Autorisierung.
Die Plattform darf darauf vertrauen, dass der Kontoinhaber die Transaktionen gebilligt hat. Eine bloß kurzzeitige Fremdnutzung hätte hingegen nicht gereicht, 20 Monate Dauer aber sehr wohl. Selbst die Minderjährigkeit des Kindes half nicht. Mit sieben Jahren sei es beschränkt geschäftsfähig (§ 104 BGB), die Zurechnung treffe dennoch den volljährigen Vater (§ 165 BGB). Zudem kam das Gericht zu der Auffassung, dass Eltern digitale Schutzmechanismen nutzen müssen. Das Urteil nennt eine ganze Reihe versäumter Pflichten:
- Kein Kinderkonto eingerichtet, obwohl die Plattform es anbietet.
- Kein Budgetlimit oder Guthaben statt Kreditkarte.
- E-Mail-Benachrichtigungen und Kreditkartenabrechnungen monatelang ignoriert.
- Keine Sicherheitsabfragen oder Zwei-Faktor-Kontrolle aktiviert.
Das Gericht betonte, dass diese Schutzfunktionen bekannt und zudem leicht zugänglich sind. Ihre Nichtnutzung gilt als schuldhafte Sorglosigkeit.
Obwohl der App-Store-Betreiber in Irland sitzt, wendete das LG Karlsruhe deutsches Recht an. Nach Art. 6 Rom-I-VO ist maßgeblich, dass der Kläger als Verbraucher in Deutschland handelt und der Anbieter den hiesigen Markt aktiv bedient. Damit ist das Urteil auch präzedenzrelevant für alle europäischen Plattformgeschäfte mit deutschen Nutzern.
Rechtsfall In-App-Käufe: Kritik & Einordnung
Gemäß Rechtsanwalt Jens Ferner ist das Urteil juristisch sauber, aber gesellschaftlich unbequem. Es verschiebt die Verantwortung klar zu den Nutzern und lässt Anbieter relativ unberührt. Er kommentiert treffend, der falsche Streit sei geführt worden:
„Man muss fragen, ob den Store-Anbieter nicht besondere Hinweispflichten bei solchen Käufen treffen.“
Trotzdem bleibt das Signal eindeutig. Eltern müssen proaktiv handeln, bevor der Schaden entsteht, nicht erst danach.
Checkliste: Wie Eltern sich absichern können
Das Urteil zeigt, dass die Verantwortung klar bei den Kontoinhabern liegt. Wer sich absichern will, muss technische und organisatorische Schutzmaßnahmen ergreifen wie:
- Eigenes Kinderkonto mit Kaufgenehmigungspflicht aktivieren
- Zahlungswege trennen: Guthaben statt Kreditkarte
- Kaufbenachrichtigungen aktivieren, E-Mails prüfen
- Kreditkartenabrechnung monatlich kontrollieren
- Sicherheitsabfragen (PIN, 2FA) einschalten
- App-Inhalte und Altersfreigaben regelmäßig prüfen
So lassen sich teure Überraschungen vermeiden und Kinder lernen zugleich einen bewussteren Umgang mit digitalen Angeboten.
In-App-Käufe: Digitale Nachlässigkeit bei hat ihren Preis
Das LG Karlsruhe hat mit seinem Urteil ein deutliches Signal gesetzt. Wer In-App-Käufe nicht absichert, trägt das Risiko, auch wenn Kinder die Klicks auslösen. Die Entscheidung steht für einen Trend in der Rechtsprechung: Verbraucherschutz endet nicht, wo Sorgfalt beginnt.
Eltern, die Technik vertrauen, ohne sie zu kontrollieren, riskieren hohe Rechnungen und juristische Ohrfeigen.