Abtreibungsverbot
Abtreibungsverbot
Bildquelle: Gayatri Malhotra, Lizenz

Abtreibungsverbot in den USA: Daten können Frauen verraten

US-Frauen fürchten beim Verstoß gegen das Abtreibungsverbot eine mögliche Strafverfolgung aufgrund der Daten auf ihrem Smartphone.

Seit dem US-Abtreibungsverbot ist es für Frauen gefährlich geworden, die eigene Periode mit dem Smartphone zu überwachen. Nachdem der Oberste Gerichtshof letzten Freitag das in der US-Verfassung verankerte Recht auf Abtreibung gekippt hat, gibt es Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes.

Abtreibungsverbot als reale Gefahr für Frauen

Facebook, Psychiaterin

Das gilt insbesondere in den 13 Bundesstaaten der USA, die den Schwangerschaftsabbruch bereits für illegal erklärt haben. Hier und dort lassen viele Frauen ihre Periode von Apps tracken, die ihre Daten auswerten und langfristig aufbewahren. Solche Apps können Frauen dazu verwenden, eine Schwangerschaft zu erreichen oder eben auch auf natürlichem Weg zu verhindern.

Neben der monatlichen Blutung erfassen solche Apps auch Daten wie den Geschlechtsverkehr, Stimmungsschwankungen, Libido, Konsistenz des Ausflusses, Gewicht, Alter, Standort etc. Diese Angaben sind wertvoll für die Frauen. Doch die Werbetreibenden freuen sich darüber nicht minder. Sie können so gezielt ihre Werbung ausspielen.

App-Anbieter behaupten, alles sei sicher!

Natural Cycles und andere Hersteller für eine digitale Empfängnisverhütung versuchen die Frauen nach Bekanntwerden des Abtreibungsverbots zu beruhigen. Sie behaupten, dass man alle gespeicherten Daten sicher aufbewahrt, weil man diese schützt. Gestern erklärte das Unternehmen jedoch gegenüber der BBC, man arbeite daran, „eine völlig anonyme Erfahrung für die Nutzer zu schaffen“. Ziel sei es, dass niemand, nicht einmal sie selbst, die Nutzerin identifizieren kann. Offenbar will Natural Cycles eine effektive Verschlüsselung der Daten und Anonymisierung der Anwender in die App implementieren.

Auszug aus dem Google Play Store: Manche Frauen kontrollieren damit ihre Periode. Die App-Anbieter kontrollieren ihre Daten.

IT-Konzerne kooperieren häufig bei gerichtlichen Vorladungen

Die Strafverfolgungsbehörden könnten aber nicht nur die Smartphones beschlagnahmen, um sie auszuwerten. Sie können auch Cloud-Dienste, App-Hersteller und Suchmaschinen-Anbieter juristisch dazu drängen, zu kooperieren. Google gab selbst bekannt, einen Teil der Nutzerdaten würde man aufbewahren, „um gesetzlichen oder behördlichen Anforderungen zu entsprechen“. Das klingt nicht unbedingt vertrauenserweckend.

Apple

Besonders viel Mühe bei der Abwehr solcher Anfragen gaben sich die Tech-Riesen nicht. Laut der New York Times haben die IT-Konzerne in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 nur 4 % der Anfragen nach Kundenkontodaten angefochten. Den Vorladungen kam man allgemein zwischen 80 bis 85 % aller Fälle nach. Dem Transparenzbericht von Google zufolge lieferte das Unternehmen in 82 % der Fälle, in denen in den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 Informationen angefordert wurden, „einige Daten“. Von fast 51.000 Fällen waren 20.701 Vorladungen und 25.077 Durchsuchungsbefehle.

Abtreibungsverbot – Was helfen würde: weniger Daten sammeln!

Die US-Kongress-Mitglieder Elizabeth Warren, Bernie Sanders etc. forderten Google in einem offenen Brief dazu auf, von der Speicherung der Standortdaten abzusehen, um die Frauen in Anbetracht der neuen Rechtslage zu schützen. Anderenfalls könne man die Daten zur Strafverfolgung von Abtreibungen verwenden, befürchten sie. Zwar haben einige große US-Firmen angegeben, die Reisekosten für ihre weiblichen Mitarbeiter zu tragen, so auch für Schwangerschaftsabbrüche in Ländern, wo dies erlaubt ist. Doch davon abgesehen kam bisher kein Statement von den Datenkraken, ob sie ihre Datensammel-Leidenschaft zum Schutz der weiblichen Nutzer in Zukunft freiwillig einschränken wollen.

Unverschlüsselte E-Mails & Chats hilfreich für die Polizei

Auswerten könnte die Polizei auch die Informationen, die aus unverschlüsselten Chats und E-Mails hervorgehen. Ungefährlich sind nur die Messaging-Apps, die wie Signal oder WhatsApp per Voreinstellung eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung durchführen. Völlig unsicher ist somit beispielsweise der Facebook Messenger, weil dieser rein gar nichts verschlüsselt überträgt.

Abtreibungsverbot: bei Verdacht darf beschlagnahmt werden!

eticas Foundation

Eigentlich benötigt die Polizei für eine Durchsuchung bzw. Beschlagnahmung einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss. Nach Angaben der EFF können sich die Polizisten allerdings davor drücken, indem sie behaupten, sie haben den Verdacht, dass sich belastendes Beweismaterial im Haus oder auf einem elektronischen Gerät befindet, das unmittelbar von der Zerstörung bedroht ist. Die Urteile der Gerichte seien sogar unterschiedlich in der Frage ausgegangen, ob man jemanden dazu zwingen kann, das Gerät zu entsperren. Beispielsweise mit dem eigenen Fingerabdruck oder der Gesichtserkennung des Smartphones.

Fast alle Tracking-Apps speichern mehr, als sie brauchen

Prof. Alan Woodward von der University of Surrey hält es für unwahrscheinlich, dass die Strafverfolgungsbehörden Frauen verfolgen, die lediglich über eine Abtreibung nachdenken. Sollte es jedoch konkrete Hinweise für eine Verletzung des Abtreibungsverbots geben, werden sie digitale Beweise wie den Browserverlauf der Frau, E-Mails, Chat-Nachrichten oder die Daten ihrer Apps beschlagnahmen, um sie auszuwerten.

Die eticas Foundation hat kürzlich zwölf bekannte Apps zur Kontrolle der Periode überprüft. Fast alle erheben personenbezogene Daten der Frauen und verkaufen diese oft sogar an andere Firmen weiter. Wer das vermeiden will, muss auf datensparsame Alternativen wie drip umsteigen. Die recht neue Open Source Software gibt es aber leider noch nicht für iOS.

Was können Frauen tun, um sich zu schützen?

Als Betroffene kann man ansonsten nicht sonderlich viel zum eigenen Schutz tun. Die Daten auf dem eigenen Gerät kann man versuchen zu minimieren und die Standortfunktionen, so oft es geht, auszuschalten. Doch was die IT-Konzerne schon an Daten haben, darüber hat man keine Gewalt mehr. Ob sich an deren Leidenschaft Daten zu sammeln etwas ändern wird, darf ebenfalls ernsthaft bezweifelt werden. Daran wird auch das Abtreibungsverbot in der gesamten USA wohl nichts ändern.

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Außerdem brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, seit 2014 an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert.