Nach einem Urteil des EuGH dürfen gelesene E-Books nicht ohne Weiteres als "gebrauchte" Exemplare über eine Webseite weiterverkauft werden.
Mit dem gestrigen Urteil (Urt. v. 19.12.2019, Az. C-263/18) hat der EuGH entschieden, dass der Verkauf „gebrauchter“ E-Books zur dauerhaften Nutzung an die Öffentlichkeit über eine Website, eine öffentliche Wiedergabe im Sinne der Richtlinie 2001/291 darstellt. Das schließt zugleich die Anwendung der Erschöpfungsregel aus. Der Verkauf „gebrauchter“ E-Books bedarf grundsätzlich der Erlaubnis des Urhebers, bzw. des Rechteinhabers.
Streitfall „Tom Kabinet“ ist Ausgangslage
Hintergrund des Falls ist der nun bereits seit Jahren währende Rechtsstreit der örtlichen Verlage mit den Betreibern der Plattform „Tom Kabinet“ in den Niederlanden. Mit TomKabinet.nl hatte seit dem Jahre 2014 eine Second-Hand-Plattform für „gebrauchte“ E-Books ihren Betrieb aufgenommen. Der Verkauf der dort angebotenen digitalen Bücher sollte rechtlich einwandfrei sein.
Deshalb hat man sich beim Verkauf auf einige Regeln geeinigt: Verkäufer und Käufer müssen sich registrieren, um ein E-Book (ver-)kaufen zu können. Weiterhin dürfen nur E-Books im epub-Format verkauft werden, die man bei den holländischen Händlern E-Book.nl und BOL.com legal erworben hat. Eine spezielle Software soll dazu noch sicherstellen, dass die E-Books bei den Verkäufern von der Festplatte komplett gelöscht werden. Die E-Books werden mit einem neuen Wasserzeichen versehen, welches ein illegales Kopieren verhindern soll. Fraglich wäre jedoch, wie realistisch solche Maßnahmen sind, denn ein Missbrauch wäre keineswegs ausgeschlossen. Auch wenn man die E-Books auf der Festplatte des Verkäufers löscht, könnten sie ja noch auf einem anderen Datenträger bei ihm gespeichert sein.
Niederländische Verlegerverbände klagten gegen Verkaufspraxis gebrauchter E-Books
Die niederländischen Verlegerverbände Nederlands Uitgeversverbond (NUV) und Groep Algemene Uitgevers (GAU), zwei Verbände, die die Interessen der niederländischen Verleger vertreten, klagten gleich unmittelbar nach der Eröffnung besagter Plattform bei der Rechtbank Den Haag. Sie beantragten die Untersagung, E-Books auf der Website zugänglich zu machen sowie deren Vervielfältigung. Für sie stelle das eine unbefugte öffentliche Wiedergabe der E-Books dar. Es verletze die Urheberrechte ihrer Mitglieder, wobei der Verkauf gebrauchter E-Books durch den Leseclub einer unbefugten öffentlichen Wiedergabe gleichkäme.
Tom Kabinet hält dagegen
Tom Kabinet berief sich auf ein EU-Urteil aus dem Jahr 2012, nach dem der Weiterverkauf von Software legal sei. Zudem machte Tom Kabinet geltend, dass auf seinen Fall das Verbreitungsrecht anwendbar wäre. Das würde einer Erschöpfungsregel unterliegen, wenn man die E-Books vom Rechteinhaber oder mit dessen Zustimmung in der Union verkauft. Das hätte zur Folge, dass die Verbände nach dem Verkauf der E-Books nicht mehr das ausschließliche Recht hätten, deren öffentliche Verbreitung zu gestatten oder zu verbieten.
Niederländisches Gericht befragte EuGH
Der Verlegerverband hingegen verwies auf ein Urteil des Landgerichts Bielefeld aus dem Jahr 2013, gemäß dem sich dieses EU-Urteil wirklich nur auf Software beziehe. Geklagt hatte damals die Verbraucherzentrale gegen einen deutschen Store. Das Amsterdamer Gericht hat diese Klage gegen Tom Kabinet abgewiesen, der Wiederverkauf von E-Books sei unter bestimmten Umständen legal. Das EU-Urteil sei nicht eindeutig, argumentierten die Richter. Der Chef des Verlegerverbandes zeigte sich in einer Pressemitteilung “überrascht” von dem Urteil und kündigten daraufhin weitere Schritte an. Das niederländische Gericht rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an und bat um Auslegung der Urherberrechtsrichtlinie 2001/29/EG.
EuGH: E-Book-Wiederverkauf gleicht öffentlicher Wiedergabe
Der EuGH hat entschieden, dass „gebrauchte“ E-Books nicht ohne Erlaubnis des Urhebers im Internet weiterverkauft werden dürfen. Die Überlassung eines E-Books zur dauerhaften Nutzung durch Herunterladen falle nicht unter das Recht der „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ im Sinn von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG, sondern vielmehr unter das in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehene Recht der „öffentlichen Wiedergabe“. Dafür ist eine Erschöpfung gemäß Art. 3 Abs. 3 ausgeschlossen.
Anwendung der Erschöpfungsregel wird ausgeschlossen
Der EuGH führt aus, dass aus dem Urheberrechtsvertrag der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), der dieser Richtlinie zugrunde liegt, hervorginge, dass die Anwendung der Erschöpfungsregel einer ausschließlichen Verbreitung von körperlichen Gegenständen, wie Büchern auf einem materiellen Träger, vorbehalten wäre. Ansonsten könne der Verkauf gebrauchter E-Books die Interessen der Rechteinhaber, für ihre Werke angemessen entlohnt zu werden, weitaus stärker beeinträchtigen, als im Fall von materiellen Büchern. Die digitale Kopien nutzten sich nicht ab, anders als gedruckte Bücher, und stellten deshalb auf einem Second-Hand-Markt einen perfekten Ersatz für neue Kopien dar.
„Öffentliche Wiedergabe“ erfährt weite Auslegung
Der EuGH legt dar, der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ wäre weit auszulegen. Er umfasse zwei kumulative (sich summierende) Tatbestandsmerkmale: eine Handlung der Wiedergabe eines Werkes und seine öffentliche Wiedergabe. Die kritische Handlung läge bereits in der Zugänglichmachung des Werkes für die Öffentlichkeit. Somit wäre die Zugänglichmachung der E-Books für jede Person, die sich auf der Website des Leseklubs registriere, als „Wiedergabe“ eines Werks anzusehen. Es sei hierfür nicht erforderlich, dass die betreffende Person diese Möglichkeit auch ergreift, indem sie das E-Book tatsächlich von dieser Website herunterlädt.
Für eine öffentliche Wiedergabe sei auch zu berücksichtigen, wie viele Mitglieder über die Plattform des Leseklubs parallel oder nacheinander Zugang zu demselben Werk haben könnten. Somit sei das betreffende Werk als öffentlich wiedergegeben anzusehen. Im vorliegenden Fall wäre zudem davon auszugehen, dass eine Wiedergabe auch für ein neues Publikum vorgenommen wurde. In einer Nutzungslizenz für E-Books ist festgelegt, das Lesen des E-Books sei nur durch den Benutzer gestattet, der das betreffende E-Book mit seinem eigenen Gerät heruntergeladen habe. In den USA ist der Weiterverkauf gebrauchter E-Books übrigens legal. Selbst dann, wenn der Händler sie dafür extra importiert hat.
Börsenverein des Deutschen Buchhandels begrüßt das EuGH-Urteil
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels begrüßt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Weiterverkauf von digitalen Medien. Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, hebt hervor:
„Die deutliche Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist ein großer Erfolg, denn sie sichert ein faires Urheberrecht. Kreativschaffende sind darauf angewiesen, für ihre Arbeit angemessen vergütet zu werden. Das Urteil ist somit ein wichtiges Zeichen für alle Rechteinhaber und Anbieter digitaler Medien und die gesamte Buch- und Kreativbranche. Es ermöglicht Verlagen und Händlern, weiter an innovativen Geschäftsmodellen mit digitalen Medien zu arbeiten, wovon letztlich die Verbraucher profitieren.
Anders als physische Medien können digitale Inhalte praktisch unendlich vervielfältigt und weitergegeben werden, ohne sich jemals abzunutzen. Der Primärmarkt etwa für E-Books und Hörbücher würde komplett zerstört werden, wenn es einen legalen ‚Gebrauchtmarkt‘ für sie gäbe.“
Foto geralt, thx!
Tarnkappe.info