Im Eilverfahren hat das Verwaltungsgericht (VG) Hamburg die Ausstellung eines Personalausweises mit gespeicherten Fingerabdrücken gestoppt.
Das Verwaltungsgericht (VG) Hamburg hat bezüglich der Ausstellung eines Personalausweises mit gespeicherten Fingerabdrücken eine Entscheidung gefällt. Mit der einstweiligen Anordnung (20 E 377/23) fasste es den Beschluss, dass einer Person ein Personalausweis ohne gespeicherte Fingerabdrücke ausgestellt werden soll. Darüber berichtete Digitalcourage.
Die Klage hatte eine Privatperson eingereicht. Sie hat sich dabei auf ein laufendes Verfahren von Digitalcourage vor dem EUGH berufen und in erster Instanz Recht bekommen. Allerdings kann die zuständige Behörde der Stadt Hamburg immer noch gegen den Entscheid Beschwerde einlegen.
VG Hamburg schloss sich Argumenten von Digitalcourage an
Mit seinem Beschluss schloss sich das VG Hamburg allen Kritikpunkten von Digitalcourage an. Somit bestehen an der Rechtmäßigkeit der EU-Verordnung, die inzwischen die Speicherpflicht für alle EU-Mitgliedsstaaten vorschreibt, berechtigte Zweifel.
Konstantin Macher von Digitalcourage fühlte sich bestätigt:
„Wir freuen uns, dass auch das Verwaltungsgericht Hamburg unserer Argumentation folgt und in diesem Einzelfall einen Personalausweis ohne Fingerabdruck möglich macht.
EU-Personalausweis: Erzielen einer Vereinheitlichung
Bereits ab dem 2.8.2021 trat eine Änderung des Personalausweisgesetzes (§ 5 Abs. 9 PAuswG) in Deutschland in Kraft. Damit wird jeder dazu angehalten, beim Beantragen eines neuen Personalausweises zugleich seine Fingerabdrücke im Einwohnermeldeamt abnehmen zu lassen.
Der Regelung ging eine Verordnung (Art. 3 Abs. 5 VO (EU) 2019/1175) der Europäischen Union voraus, die Deutschland zur Einhaltung verpflichtete. Die Maßnahme sollte der Sicherheit der Personalausweise dienen. Dafür speichert man aktuell die Abdrücke beider Zeigefinger im Chip des Ausweises.
Laut Aussage des Bundesinnenministerium sollen die Abdrücke ausschließlich zur Speicherung auf dem Personalausweis selbst verwendet werden. Bei eventuell vorkommenden Personenkontrollen wolle man dann anhand der Fingerabdrücke überprüfen, ob der vorgelegte Ausweis echt ist.
Weder sei eine Speicherung der Fingerabdrücke in zentralen Datenbanken vorgesehen, noch würde dabei ein Abgleich der im Personalausweis gespeicherten Fingerabdrücke mit zentralen Polizeidatensätzen stattfinden. Nach erfolgter Ausfertigung und Aushändigung des Personalausweises wolle man die Fingerabdrücke sowohl beim Hersteller als auch in der Behörde löschen.
Kritiker wiesen auf Missbrauchspotenzial hin
Kritiker bezweifelten, dass ein Auslesen der Personalausweis-Daten nur von Behörden und anderen berechtigten Stellen möglich wäre und damit ein Potenzial für Missbrauch gegeben sei. Falls Kriminelle an diese Daten gelangten, könnten diese beispielsweise falsche Spuren an Tatorten hinterlegen.
Konstantin Macher von Digitalcourage wies auf ein solches Szenario hin:
„Ein Identitätsdiebstahl könnte im schlimmsten Fall dazu führen, dass man eine Person, die nie kriminell war, mit einem Verbrechen in Verbindung bringt.”
Auch Friedemann Ebelt vom Verein Digitalcourage misstraute einer Fingerabdruck-Speicherung:
„Fingerabdrücke werden bereits heute als Schlüssel für Smartphones, Büros und Fahrzeuge genutzt. Aber anders als Passwörter können wir sie nicht ändern, wenn sie gehackt und gestohlen werden. Langfristig gesehen werden die Fingerabdrücke in Datenbanken von nicht vertrauenswürdigen Behörden, Geheimdiensten oder Kriminellen gelangen. Das ist ein Sicherheitsproblem für Smartphones, Büros und Fahrzeuge. Was heute sicher ist, kann in fünf oder zehn Jahren unsicher sein.
Mit dem Zwang zur Speicherung von Fingerabdrücken werden rechtstreue Bürgerinnen und Bürger beinahe so behandelt wie Verdächtige. Es gibt keinen legitimen und zwingenden Grund, pauschal die ganze Bevölkerung zur Abgabe von zwei Fingerabdrücken zu zwingen. Das sollten sich Bürgerinnen und Bürger nicht gefallen lassen.
Die Zeitachse ist unkontrollierbar. Wir müssen davon ausgehen, so eine Reglung gilt dann 10, 20, 30, 40 Jahre – und was jetzt vielleicht noch sicher gespeichert ist, ist dann aber in 30 Jahren nicht mehr sicher gespeichert.“
Digitalcourage zweifelte die Rechtmäßigkeit der EU-Verordnung an und klagte gegen diese Praxis vor dem Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden. Das VG folgte der Argumentation von Digitalcourage und verwies die Klage an den europäischen Gerichtshof (EuGH). Dort fand am 14.3.2023 eine mündliche Anhörung statt. Konstantin Macher von Digitalcourage erklärte dazu:
„Wir erhoffen uns von unserer Klage am EuGH eine nachhaltige Lösung, die alle etwa 380 Millionen betroffenen EU-Bürger:innen von der unverhältnismäßigen Fingerabdruckpflicht befreit.“
In einer heutigen Pressemitteilung teilte Digitalcourage mit, dass der EuGH Probleme aufgriff:
„Besonders kritische Nachfragen gab es von Seiten des EuGHs zu einer in der Verordnung eingeräumten Frist zwischen der Erhebung der Fingerabdruckdaten in den Behörden und der vorgeschriebenen Löschung. Diese Frist führt dazu, dass Fingerdrücke bis zu 90 Tage in den Behörden gespeichert werden dürfen.
Außerdem sieht die Verordnung hier vor, dass die biometrischen Daten auch für andere Zwecke als die Ausweiserstellung genutzt werden können, wenn ein Gesetz der EU oder des Mitgliedsstaates das vorsieht. Das birgt zum einen die Gefahr, dass innerhalb dieser Zeit die Daten aus den Behörden entwendet werden können. Zum anderen können Mitgliedsstaaten diese Hintertür nutzen, um auf der Grundlage von nationalen Gesetzen auf die gespeicherten Fingerabdrücke zuzugreifen.
Ein Richter bemerkte dazu, dass der europäische Gesetzgeber mit dem Ziel, die Sicherheit der Ausweise zu erhöhen, hier de facto eine neue Sicherheitslücke geschaffen hat und stellte fest, dass die getroffenen Sicherheitsbestimmungen für diesen Zeitraum sehr schwach sind.“
Offenbar besteht der nächste Schritt im Verfahren in einer Veröffentlichung der Schlussanträge der Generalanwältin am 29. Juni 2023. Ein Termin für die Urteilsverkündung hingegen steht noch nicht fest.