Bald haben Assanges Anwälte die Chance, seine Auslieferung zu verhindern. Sie riefen auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an.
WikiLeaks-Gründer Julian Assange wird im Februar vor dem High Court in London möglicherweise ein letztes Mal vor Gericht ziehen. Es geht höchstrichterlich um die Auslieferung von Großbritannien an die USA. Dort will man ihn wegen der Veröffentlichung geheimer US-Militärdokumente anklagen.
Die für den 20. und 21. Februar angesetzte Anhörung wird vor zwei Richtern stattfinden. Sie werden eine frühere Entscheidung des High Court überprüfen, die im Juni 2023 ein Einzelrichter getroffen hat. Damals verweigerte man dem australischen Aktivisten die Erlaubnis zur Berufung, wie seine Unterstützer auf X bekannt gaben.
Julian Assange drohen in den USA bis zu 175 Jahre Haft
Man wirft dem 52-jährigen Assange in 17 Anklagen die Entgegennahme, den Besitz und Weitergabe von Verschlusssachen an die Öffentlichkeit nach dem Espionage Act vor. Dazu kommt eine Anklage wegen der Verschwörung zum Eindringen in die technische Infrastruktur des US-Militärs. Nach dem 21. Februar haben die Juristen des Mitgründers von Wikileaks in Großbritannien alle Rechtsmittel ausgeschöpft. Wenn sie den Prozess verlieren, wird Assange in Alexandria, Virginia, vor Gericht gestellt. Ihm drohen in den USA bis zu 175 Jahren Haft in einem amerikanischen Hochsicherheitsgefängnis.
Die Anklage erhob die Trump-Administration, nachdem WikiLeaks im Jahr 2010 von der Geheimdienstanalystin der US-Armee, Chelsea Manning, geleakte Dokumente veröffentlicht hatte. In diesen wurden Kriegsverbrechen der US-Regierung im Gefangenenlager Guantánamo Bay (Kuba), im Irak und in Afghanistan detailliert beschrieben. Das Material enthüllte auch Fälle von Folter und Überstellungen von Terrorverdächtigen durch Mitarbeiter der CIA.
Aufmerksamkeit erregte vor 13 Jahren auch das von Wikileaks veröffentlichte Video „Collateral Murder“. Es zeigt, wie Soldaten des US-Militärs im Irak Zivilisten, darunter zwei Reuters-Journalisten, erschossen haben. Zu hören sind im Video auch die spöttischen Kommentare der Schützen der US-Armee.
Alle juristischen Optionen ausgeschöpft
„Diese Anhörung signalisiert eine entscheidende Phase in Julians Kampf um Gerechtigkeit und ist das Ende der Fahnenstange vor den britischen Gerichten„, sagte Assanges Bruder Gabriel Shipton in der Mitteilung. Assange habe Jahre der Ungewissheit hinter sich. Auch sein geistiger und körperlicher Gesundheitszustand werde immer schlechter. Er sollte in der Lage sein, mit seinen Kindern nach Australien zurückzukehren und die Unterstützung zu bekommen, die er braucht. Shipton fordert den Premierminister auf, alle Register zu ziehen, um Julians Leiden zu beenden. „Holen Sie Julian nach Hause„, forderte sein Bruder.
Die Ankündigung des Anhörungstermins erfolgte, nachdem Gesetzgeber in den USA und in Assanges Heimatland Australien in den letzten Wochen mehrfach überparteilich gefordert hatten, dass die US-Behörden die Anklage fallen lassen und ihre Auslieferungsanträge einstellen sollen.
Enorme Eingriffe in die Freiheit von Journalisten befürchtet
Vor Assange hat man noch keinen Journalisten nach dem Antispionage-Gesetz (Espionage Act) angeklagt. Viele Presseverbände sind der Überzeugung, dass seine Verfolgung einen gefährlichen Präzedenzfall darstellt, der jeglichen kritischen Journalismus kriminalisieren soll. Der ehemalige Vorsitzende des DJV, Frank Überall, schrieb, dass die Verfolgung von Julian Assange einen schwerwiegenden Angriff auf die Medienfreiheit darstellt, „den es mit aller Entschlossenheit zurückzuweisen gilt“. Es liege „in der Hand von US-Präsident Biden und seiner Regierung, das Ermittlungsverfahren gegen Assange zu beenden“.
US-Staatsanwälte und Kritiker von Assange argumentierten, dass die Veröffentlichung von geheimem Material durch WikiLeaks das Leben von US-Verbündeten in Gefahr gebracht hat. Doch bisher liegen keine Beweise vor, dass dies den Tatsachen entspricht. Assange hat die von Manning übermittelten Dokumente ungeschwärzt publiziert. Dies dürfte zahlreiche Morde an Doppelagenten in aller Welt zur Folge gehabt haben. Der Whistleblower Edward Snowden hat im Gegensatz dazu keine Dokumente unbearbeitet in Umlauf gebracht. Snowden gab sie lediglich an ausgewählte Pressevertreter, damit sie auf Grundlage der Dokumente ihrer Arbeit nachgehen konnten.
Zahlreiche renomierte Verlage fordern seine Freilassung
Die Herausgeber und Verleger der US-amerikanischen und europäischen Zeitungen, die mit Assange bei der Veröffentlichung von Auszügen aus den mehr als 250.000 Dokumenten zusammengearbeitet haben, die er durch das Cablegate-Leck erhalten hat – The Guardian, The New York Times, Le Monde, Der Spiegel und El País – haben letztes Jahr einen offenen Brief geschrieben, in dem sie die USA aufforderten, die Anklage gegen Assange fallen zu lassen. Doch die Erfolgsaussichten ihrer Forderung sind eher gering.
Assange wird seit dem 11. April 2019 im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh festgehalten. Am gleichen Tag verhaftete man ihn in der Botschaft Ecuadors in London, weil Assange gegen die Kautionsauflagen Großbritanniens verstoßen hatte. Er hatte seit 2012 um Asyl in der Botschaft gebeten, um einer Auslieferung nach Schweden zu entgehen. Schweden wollte ihm nicht zusichern, ihn vor einer möglichen Auslieferung an die USA zu schützen. Die Ermittlungen wegen der Vorwürfe der sexuellen Nötigung wurden, nachdem man zunächst den Haftbefehl aufrecht behalten hat, schließlich eingestellt.
Psychischer und körperlicher Zustand stark beeinträchtigt
„Die letzten viereinhalb Jahre haben für Julian und seine Familie, einschließlich unserer beiden kleinen Söhne, einen hohen Tribut gefordert„, sagte Assanges Frau Stella in der Mitteilung. Das Paar heiratete, als Assange im Gefängnis war.
„Seine geistige Gesundheit und sein körperlicher Zustand haben sich erheblich verschlechtert„, fuhr sie fort. „Angesichts der unzähligen Beweise, die seit der ursprünglichen Anhörung im Jahr 2019 ans Licht gekommen sind, wie zum Beispiel die Verletzung rechtlicher Privilegien und Berichte, dass hochrangige US-Beamte an der Ausarbeitung von Mordplänen gegen meinen Mann beteiligt waren, lässt sich nicht leugnen, dass ein fairer Prozess, geschweige denn Julians Sicherheit auf amerikanischem Boden, im Falle seiner Auslieferung unmöglich ist. Die Verfolgung dieses unschuldigen Journalisten und Verlegers muss ein Ende haben.„
Assanges Anwälte haben sich auch an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt. Dieser könnte seine Auslieferung an die USA möglicherweise noch in letzter Sekunde verhindern. Aber nur, wenn ein Urteil noch rechtzeitig gefällt würde. Kurz nach Bekanntgabe des Anhörungstermins riefen Assange-Unterstützer zu Massenprotesten vor dem Gericht an den beiden Tagen auf, an denen die Anhörung stattfinden soll.
Geschichtlicher Abriss der Causa Julian Assange
Die Obama-Regierung beschloss 2013, Assange wegen der Veröffentlichung der geheimen Unterlagen durch WikiLeaks im Jahr 2010 nicht anzuklagen. Sie hätten auch Journalisten großer Nachrichtenagenturen anklagen müssen, die das gleiche Material veröffentlicht hatten. Der ehemalige Präsident Obama wandelte im Januar 2017 auch Mannings 35-jährige Haftstrafe wegen Verstößen gegen das Spionagegesetz und anderer Vergehen in sieben Jahre um. Chelsea Manning, die seit 2010 inhaftiert war, wurde noch im selben Jahr entlassen.
Doch das Justizministerium des ehemaligen Präsidenten Trump erhob später Anklage gegen Assange auf der Grundlage des Spionagegesetzes. Auch die US-Regierung unter Biden hat seine Strafverfolgung bis dato weiter verfolgt.