Cyberbunker
Cyberbunker

Rezension der Netflix-Doku „Cyberbunker – Darknet in Deutschland“

Lohnt es sich, sich die neue Netflix-Dokumentation "Cyberbunker - Darknet in Deutschland" anzuschauen? Wir nehmen sie genauer unter die Lupe.

„Cyberbunker – Darknet in Deutschland“ spielt aber nicht nur in Deutschland. Alles fing in den Niederlanden an, wo der Geschäftsmann Johan Xennt viel Geld mit seinem Geschäft verdient hat. Dort verkaufte er erfolgreich PCs und Hardware. Darüber hinaus war er ein großer Science Fiction Fan und liebte die Atmosphäre von Bunkern.

Auch beim ersten Cyberbunker in seiner Heimat verwandelte er seine unterirdische Immobilie in eine Art Raumstation mit futuristischen Türen und Gadgets. Die Mitglieder seines Teams kamen aus den verschiedensten Bereichen. Sie arbeiteten nicht nur dort, sie verbrachten dort auch ihre Freizeit zusammen. Der erste Anlaufpunkt war ein ehemaliger NATO-Kommandobunker in der niederländischen Gemeinde Kloetinge in der Provinz Zeeland. 2014 erlangte der Webhoster seine erste Berühmtheit, obwohl dort anfangs vor allem Pornos gespeichert waren. Man hostete kurzfristig auch den P2P-Indexer The Pirate Bay.

Cyberbunker 1.0 war nach Brand nicht mehr benutzbar

In der Doku „Cyberbunker – Darknet in Deutschland“ mutmaßt man, dass Xennt manche Räume zur Gewinnmaximierung an Dritte untervermietet hat. 2002 brannte innerhalb der Räumlichkeiten ein Drogen-Labor ab. Danach hätte man den Bunker ohne umfassende Renovierungen nicht mehr benutzen können.

Der findige Geschäftsmann fand schon bald ein neues Objekt. Im Sommer 2013 erwarb er das komplette Areal einer ehemaligen Kaserne bei Traben-Trabach. Das Gelände war nur durch ein Tor zugänglich, später schaffte Xennt Hunde an, die das Gelände bewacht haben. Dem Stadtrat und Bürgermeister von Traben-Trabach erzählte er, man betreibe dort ein Datencenter. Die waren froh, das Objekt endlich zu Geld gemacht zu haben. Doch es tauchten schon erste Gerüchte aus den Niederlanden auf, dass der neue Eigentümer der Calibour GmbH in unsaubere Geschäfte verstrickt sein soll.

cyberbunker 2.0 screenshot

Ermittlungen beim Cyberbunker 2.0 waren sehr schwierig

Für die Polizei war der Cyberbunker ein totales Desaster. Die Anlage hat jegliche Ermittlungen stark erschwert. Von außen konnte man rein gar nichts beobachten. Alle Aktivitäten fanden hinter verschlossener Tür auf den fünf Etagen im Untergrund statt. Auch die Überwachung der Telefonleitungen brachte keine Ergebnisse zutage. Am Telefon war nur von Bananenkartons und anderen Codewörtern die Rede. Worum es in den kryptisch klingenden Gesprächen wirklich ging, blieb den LKA-Mitarbeitern lange verborgen.

Die Analyse des Datenverkehrs brachte dann die erste Überraschung. Im Cyberbunker war weitaus mehr an Webseiten online, als man anfangs angenommen hatte. Bei der eigentlichen Razzia stellte man noch viel mehr Hardware fest, als sie lange geglaubt hatten. Die anfänglichen Pläne, aus dem Bunker eine Art Silicon Valley, also eine Ansammlung von Startups für die IT-Branche zu machen, ließ man wieder fallen. Mit dem Bullet Proof Hosting konnte man deutlich mehr Geld in kürzerer Zeit erwirtschaften. Es wäre auch fraglich gewesen, ob alle Untermieter offen für die unterirdischen Anlagen gewesen wären. Man mag ja unter der Erde alles haben, aber Sonne halt nicht.

Kontakte zur irischen Mafia

Aufmerksam wurde das LKA dann, als in Rheinland-Pfalz plötzlich der irische Drogenpate George Mitchell aka The Penguin auftauchte. Mitchell ist dafür bekannt, in den groß aufgezogenen Handel mit allen möglichen Drogen verwickelt zu sein. Das roch stark danach, als wenn hier jemand über das Darknet im großen Stil BTM-pflichtige Stoffe an die Kunden vertreiben wollte.

Schon bei der Ausstattung des ersten Cyberbunkers kümmerte sich Sven Olaf Kamphuis um die Technik und galt als die Nummer zwei nach Xennt. Die internationalen Behörden kennen ihn als den Verursacher der damals größten DDoS-Attacke auf Spamhaus, die die Kunden vom Cyberbunker auf ihre schwarze Liste gesetzt hatten. In der Folge konnten die Phisher und Spammer keine Nachrichten mehr von dort verschicken. Alle E-Mails wurden von Spamhaus sofort blockiert. Mit dem Angriff legte Kamphuis im Jahr 2013, der zeitweise auch bei uns im Forum aktiv war, große Teile des Internets lahm.

Keine Grenzen, keine Regeln

cyberbunker, republic

Kamphuis war es auch, der an den Staat im Staat glaubte. Halb scherzhaft hatte man ihn zum Verteidigungsminister der Republik Cyberbunker ernannt. Die Bürger der Republik Cyberbunker erkannten die deutsche Gesetzgebung für sich nicht an.

In der Doku Cyberbunker – Darknet in Deutschland heißt es, für sie galten eigene Regeln, die Xennt vorgegeben hat. So war das Hosting von Kinderpornos oder terroristischer Inhalte verboten. Er sah seinen Dienst als Internet Service Provider an, der nicht für die Inhalte verantwortlich ist, die ihre Kunden von dort aus in Umlauf bringen.

Ansonsten konnte man sich als Kunde sicher sein, von den Behörden in Ruhe gelassen zu werden. Egal was passiert, der Server blieb online, beschrieb Martin Frost das Alleinstellungsmerkmal des Cyberbunkers. Sein Darknet-Marktplatz Wall Street Market war lange Zeit Hostingkunde bei diesem Anbieter. Für normale Interessenten war das Hosting viel zu teuer. Doch für sie wäre das Thema Privatsphäre auch nicht so wichtig gewesen. Als man mit Panzer, mehreren Hundert Mitarbeitern und entsprechender Ausrüstung den Bunker stürmte, gingen auf einen Schlag die Websites aller Kunden vom Netz. Die Polizei nutzte die erbeuteten Daten für ihre Ermittlungen gegen unzählige Betreiber von illegalen Angeboten. Der Wall Street Market war nur einer von vielen, dessen Hintermänner kurze Zeit später Besuch bekamen.

V-Leute konnten dort ein- und ausgehen

Sehr schön arbeitet die Doku heraus, wie leichtsinnig man vorging. Man ließ zwei Personen, beides V-Männer des LKA ins Haus, um dort ohne jede Prüfung den Garten zu gestalten und den Bunker zu putzen. Vor allem die Raumpflegerin hatte nach kurzer Zeit freien Zugang zu allen Räumlichkeiten. Offiziell, um dort ganz alleine für Sauberkeit zu sorgen. In Wahrheit sammelte sie im Auftrag der Staatsanwaltschaft jede Menge Eindrücke vom Tatort. Den Gärtner nutzte man auch, um die Razzia durchführen zu können. Dieser lockte die komplette Mannschaft in ein Lokal, weswegen der Cyberbunker kaum abgesichert war. Das Problem bei jedem Bunker: So richtig sicher verschließen kann man ihn nur von innen. Das Hängeschloss an der Stahltür war hingegen keine Hürde. Außerdem konnte man aufgrund der Feierlichkeiten gleich alle Tatverdächtigen an einem Ort festnehmen, was überaus praktisch war.

Cyberbunker – Darknet in Deutschland – Lohnt sich die Doku?

Nun ja, die Regie hat schon häufiger mit Effekthascherei gearbeitet, um das Ganze spannender zu gestalten. Davon kann man halten, was man will. Streckenweise wirkt das schon ein bisschen wie Boulevard-Journalismus. Andererseits bestand die Mission ja darin, Personen zu unterhalten, die noch nie in ihrem Leben vom Cyberbunker gehört haben. Menschen, die gar nicht wissen, wie ein Darknet-Marktplatz funktioniert oder wie man ein Fraud-Forum bedient. Spannend auf jeden Fall waren die vielen Interviews mit den Mitstreitern, dem Kunden Frost, Fachjournalisten, einem LKA-Mitarbeiter und dem zuständigen Staatsanwalt. Das kriminelle Innere des Cyberbunkers stand im krassen Gegensatz zum idyllischen Ort rund herum. So froh der Bürgermeister über den Verkauf der Anlage zunächst war, so erleichtert war er später, als der ganze Spuk vorüber war.

Erheiternd die Aussage der Frisörin, die vom Team von einer Gruppe von Menschen spricht, die wie Piraten in der Stadt umher liefen, bis sie schließlich wieder alle gemeinsam zu ihrem Wohnort gefahren sind. Sie blieben in all den Monaten Fremde für die Anwohner.

Cyberbunker

Wie geht es weiter mit dem Cyberbunker?

Johan Xennt muss noch bis 2028 seine Gefängnisstrafe verbüßen. Er ist ein Visionär und verbreitete bei seinen Teams gute Stimmung. Im Interview gab er sich als unschuldiger Mann zu erkennen, dem vom deutschen Staat Unrecht geschehen ist. Man darf durchaus davon ausgehen, dass Xennt wieder im gleichen Bereich aktiv wird. Aber sicher nicht mehr innerhalb der EU. Er und seine Männer haben sich im Cyberbunker einfach zu sicher gefühlt. Was bringen die ganzen Maßnahmen gegen die Überwachung, wenn man sich dann Monate später zwei Personen als ehrenamtliche Helfer ins Haus holt, die man überhaupt nicht kennt? Menschen, für die niemand referiert hat? Also völlig Fremde?

Xennt ist intelligent und wirkt aufgeräumt, egal was man von seinem moralischen Kompass hält. Als Geschäftsmann wird er sich nach seiner Freilassung sicher wieder einen ähnlichen Bereich suchen, wo er aktiv wird. Das darf man zumindest annehmen.

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Außerdem brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, seit 2014 an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert.