EncroChat-Datenauswertung
EncroChat-Datenauswertung
Bildquelle: George7423

Der Fall EncroChat – ein ausführlicher Blick ins Buch

Am 23.11. erscheint von D. P. Ginowski das Buch "Der Fall Encrochat - A real true crime story" im Subrosa Verlag. Wir haben reingeschaut.

Die modifizierten Android-Smartphones der Marke EncroChat waren vier Jahre lang am Markt. Schon aufgrund des vergleichsweise hohen Preises haben sie vor allem Kriminelle gekauft. Die Kunden hofften, darüber sicher und unentdeckt kommunizieren zu können. Allein in Deutschland leiteten die Behörden auf Basis der mitgeschnitteten Daten bis Juni 2021 mehr als 2.250 Ermittlungsverfahren ein. Darunter auch gegen den prominenten Rapper „Kontra K“, der den Dienst ebenfalls genutzt haben soll.

Bedarf an KryptoHandys seit 10 Jahren stark steigend

So richtig in Fahrt geriet der Bedarf an KryptoHandys, nachdem vor zehn Jahren bekannt wurde, dass die NSA das Handy von Angela Merkel nachweislich überwacht hatte. Viele hochrangige Vertreter aus Wirtschaft oder Politik kauften sich damals nach Bekanntwerden des NSA-Skandals ein verschlüsseltes Gerät, um einen Lauschangriff unmöglich zu machen. Wer mit sensiblen Inhalten umgeht, möchte diese nur mit den Menschen teilen, die man dafür ausgesucht hat. Kryptohandys können dabei helfen. Eine Garantie stellen sie aber nicht dar, wie der EncroChat-Hack eindrücklich gezeigt hat.

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Hack des EncroChat-Servers verlief planmäßig

Ende Januar 2020 erlaubte eine Richterin im französischen Lille, den EncroChat-Server zu infiltrieren. Die Kunden haben von der Übernahme wenig bis gar nichts mitbekommen. Manche beschwerten sich ein paar Monate später lediglich darüber, dass sie ihre Daten nicht mehr mit der Wipe-Funktion von ihrem Smartphone löschen konnten. Nach Schätzungen traf die Auswertung der behördlich gesammelten Informationen zwischen 80 und 90 Prozent der ehemals Aktiven der Organisierten Kriminalität. Das Buch, an dem auch der Wall Street Market-Mitbetreiber Martin Frost beteiligt war, rollt den Fall auf.

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Der Wunsch nach Privatsphäre ist absolut nachvollziehbar

Das Buch hebt hervor, dass „verschlüsselte Kommunikation nicht per se etwas Halbseidenes oder latent Illegales“ sei. Der Bedarf an digitaler Abgeschiedenheit ist wie schon gesagt, auch bei vielen Normalsterblichen vorhanden, die nicht jede Aktivität ihres Smartphones mit der Werbewirtschaft, Geheimdiensten oder mit sonstigen Behörden teilen wollen. Und ganz so einfach ist der Umstieg von Android auf ein sicheres mobiles Betriebssystem bis dato nicht. Wären die fertig vorbereiteten Geräte nicht so teuer, so würden sie die Bedürfnisse vieler Nutzer erfüllen. Doch im Unterschied zu den regulären Anwendern verfügen Kriminelle über das notwendige „Kleingeld“, um sich ihre Privatsphäre zu kaufen. Nur ist dies im Fall EncroChat ganz und gar nicht gelungen.

EncroChat, Logo

Autor von „Der Fall EncroChat“ ist D. P. Ginowski, der zusammen mit Martin „The One“ Frost den Aufbau und Fall des Darknet-Marktplatzes Wall Street Market ausführlich beschrieben hat. Mit Martin haben wir vor einigen Monaten einen ausführlichen Podcast über seine Karriere als einer der Betreiber dieses ehemals größten illegalen Marktplatzes aufgenommen. Sein erstes eigenes Buch ist hier bei Amazon verfügbar.

Die meiste Sicherheit bieten reguläre Messenger Apps

Martin Frost ist sich übrigens unsicher, ob man die Verschlüsselung der EncroChat-Nachfolger Copperhead, No. 1 BC, Nitrokey, NitroChat und Omerta nicht irgendwann ebenfalls knacken kann. Wenn ja, würden sie ihre Nutzer den gleichen Risiken wie PhantomSecure, Ennetcom, PGP Safe, Sky ECC oder halt EncroChat aussetzen. Frost rät zur Nutzung von sicheren Messengern wie Signal oder Threema, weil die Behörden dort nicht per se ohne richterliche Anordnung die Kommunikation aller Anwender überwachen dürfen. Bei einem Dienst, der sich an eine kleine Gruppe von Kriminellen wendet, mag dies rechtlich anders aussehen.

Mitschnitte gelten als Zufallsfund

Spannend indes liest sich die juristische Einschätzung von Frau Dr. Arabella Pooth, die bereits mehrere EncroChat-Mandanten vertreten hat. Laut der Anwältin, die in Dortmund ihre Kanzlei hat, handelt es sich bei den entschlüsselten Kommunkationsdaten um einen Zufallsfund. Der Tatverdacht ergebe sich aufgrund der Erkenntnisse der Chats zwischen den Kriminellen.

Der Fall EncroChat, a real true crime story
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Doch diese Erkenntnisse können nicht vor Gericht verwertet werden. Das heißt, dass die Polizei bei Gerichtsverfahren das Fehlverhalten der Angeklagten anderweitig belegen musste. So mancher Richter vertrete sogar die Ansicht, alleine der Besitz eines Kryptohandys begründe einen gewissen Anfangsverdacht.

Doch bezüglich der Verwertbarkeit gibt es Regeln und Ausnahmen, die Dr. Pooth in ihrem Epilog ausführt. Eine vollumfängliche Überwachung greift nämlich stark in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des betroffenen Bürgers ein. Am Anfang müsse stets der Tatverdacht stehen und nicht die verräterischen Inhalte der Kommunikation zwischen den Beteiligten.

Sehr ausführlich geht das Buch auf die Anfänge und die Hintermänner der EncroChat-Smartphones ein. Wer finanzierte das Unternehmen? Wer nutzte die Geräte, wie waren sie im Detail aufgebaut? Warum war der Hauptsitz mitten in der EU? Und last, but not least: Wie konnte es passieren, dass es den Mitarbeitern der französischen Behörden überhaupt gelang, das Netzwerk zu infiltrieren? Die Ausführungen sind gespickt mit weiterführenden Links und teilweise auch mit Kommentaren des Szene-Experten Frost oder der Fachanwältin für Strafrecht, Pooth.

Fazit zum Buch „Der Fall EncroChat“

Wer sich für weitere Details interessiert, ab nächste Woche ist das Buch im Handel verfügbar*. Zunächst leider nur als Kindle-Version für 9,99 Euro. Autor D. P. Ginowski gab sich größte Mühe, das Buch so zu formulieren, dass es für wirklich jeden verständlich ist. Technisches Wissen ist dafür nicht notwendig. Martin Frost stellte uns eine Presse-Version des E-Books zur Verfügung.

Fazit: Im Buch ist alles drin, was in der Causa EncroChat von Interesse ist. Von uns gibt es für dieses Werk eine klare Empfehlung!

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Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Früher brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert. In seiner Freizeit geht er am liebsten mit seinem Hund spazieren.