Kommunikations-Überwachung mittels EncroChat
Kommunikations-Überwachung mittels EncroChat
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Encrochat-Bilanz: ca. 50 Täter zu 200 Jahren Haft in Berlin verurteilt

Die Berliner Staatsanwaltschaft hat bisher in knapp 100 Encrochat-Fällen Anklage erhoben. Hamburg vollstreckte 260 Haftbefehle.

Seit der Bekanntgabe einer Daten-Entschlüsselung des Messengerdienstes Encrochat Anfang Juli 2020 erhob die Berliner Staatsanwaltschaft bislang in knapp 100 Fällen Anklage. Damit seien allerdings erst etwa 45 Prozent der rund 740 Ermittlungs-Komplexe bei der Staatsanwaltschaft angelangt. Dies gab Oberstaatsanwalt Reiner Pützhoven der Deutschen Presse Agentur bekannt. Berichtet hatte darüber u.a. der Tagesspiegel.

Des Weiteren führte der Jurist an, habe man von den Encrochat-Nutzern bisher in Berlin rund 50 Täter zu insgesamt mehr als 200 Jahren Haft verurteilt. Reiner Pützhoven ist Leiter der Schwerpunktabteilung, die die Anfang 2022 bei der Berliner Staatsanwaltschaft eingerichtet wurde, um der Datenflut Herr zu werden. Laut Angaben der Staatsanwaltschaft galt es allein in Berlin, rund 1,6 Millionen Chatnachrichten mit knapp 750 Nutzern aufzuarbeiten.

Circa 300 Encrochat-Verfahren waren am Jahresanfang noch anhängig. Zur Anklage kam es in etwa einem Drittel der Fälle, ein weiteres Drittel wurde eingestellt. Der Rest ist noch nicht abgeschlossen. In rund 50 Fällen sind die Täter unbekannt.

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Screenshot der Encrochat Website.

Pützhoven teilte mit, dass vor dem Berliner Landgericht inzwischen regelmäßig Prozesse bezüglich Drogen- oder Waffengeschäften stattfinden, bei denen die Täter ihre Geschäfte über verschlüsselte Kryptohandys abwickelten. Im Durchschnitt verhängen die Richter dabei Haftstrafen von fünfeinhalb Jahren.

Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass die Gangster mit ihren illegalen Geschäften eine Summe von rund 52 Millionen Euro erlangten. Davon konnte man 4,5 Millionen Euro, rund 320.000 Euro an Bargeld und 780.000 Euro auf Konten, sicherstellen. Der Rest der Vermögenswerte liegt in Sachwerten wie Autos, Immobilien oder Schmuck vor.

Entschlüsselte SKY ECC-Daten stehen dem BKA bisher nur unvollständig zur Verfügung

Europol

Hingegen spiele die SKY ECC-Entschlüsselung durch die EU-Polizeibehörde Europol Ende 2020 bislang noch keine große Rolle bei der Strafermittlung.

Pützhoven zufolge liegen die Daten aus Frankreich dem Bundeskriminalamt noch nicht vollständig vor. Die Berliner Staatsnwaltschaft beschäftigte sich bis dato mit rund 20 solcher Fälle, in zwei davon habe man Anklage erhoben.

Aber auch Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer gibt gegenüber dem Hamburger Abendblatt Aufschluss über bisherige Encrochat-Ermittlungen. Demgemäß haben Hamburger Drogen-Ermittler in den vergangenen Jahren diesbezüglich bereits mehrere hundert Drogendealer festnehmen können. Meyer führte aus:

„Die Abteilung für das Organisierte Verbrechen im Landeskriminalamt hat inzwischen fast 260 Haftbefehle im direkten Zusammenhang mit den Encrochat-Ermittlungen vollstreckt und damit etliche Dealer der Organisierten Rauschgift-Kriminalität vom Markt genommen. Und die Ermittlungen laufen täglich weiter“

Den Hamburger Ermittlern gelang es dabei, rund 66 Millionen Euro einzuziehen. 57 Millionen Euro stammen aus Immobilienwerten und weitere rund neun Millionen Euro lagen in in Form von Bargeld, Schmuck und Fahrzeugen vor. Arbeitstechnisch haben die Polizeikräfte wegen der Flut an Beweismaterial aufgerüstet.

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Meyer gab bekannt, dass inzwischen rund 300 Ermittler sowie Experten im Kampf gegen Organisierte Kriminalität im Einsatz seien. Er veranschaulicht: „Solange ich denken kann, ist das der größte personelle Ansatz und die erfolgreichste Zeit der OK-Bekämpfung.“

Finanziert werde der Mehraufwand teilweise auch durch eingezogene kriminellen Gewinne. Mayer kündigt an: „Am Ende wird der Staat so wesentlich mehr kriminelles Vermögen einziehen und die Organisierte Kriminalität effektiv bekämpfen können.“

Konfrontiert mit der Frage, ob ein Mehr an Gewalt in der Drogenszene eben gerade durch die Arbeit der Ermittler bedingt wäre, antwortet Meyer:

„Dass unser Ermittlungserfolg auch diese Nebenwirkung haben kann, wissen wir aus vergangenen Zeiten. Wenn Täter in Haft sitzen oder auf der Flucht sind, können sie nicht mehr ihren kriminellen Handlungen nachgehen, sie erleiden Kontrollverluste.“

Er führt eine Veränderung bisheriger Strukturen darauf zurück, dass solche Taten folgen können. Wie das Hamburger Abendblatt bekräftigte, sei erst am Dienstag, dem 10.01.23,

„in Hamburg-Tonndorf auf zwei in einem Auto sitzende Männer geschossen worden. Allein Fenster und Tür auf der Fahrerseite wurden von mehr als 20 Kugeln durchlöchert. Der Fahrer wurde lebensgefährlich verletzt, der Beifahrer leicht. Medienberichten zufolge sind die beiden Opfer bereits wegen Drogendelikten polizeibekannt“.

Trotz Anonymitätszusagen wurden die EncroChat-Daten von Ermittlern geknackt

EncroChat Handys wurden den Kunden als Garant für perfekte Anonymität angepriesen. Allerdings stellten französische Ermittler fest, dass EncroChat auch über einige Server in der Stadt Lille verfügte. Entgegen der Zusagen von Seiten des Herstellers gelang es Spezialisten infolgedessen, das Chatnetzwerk zu knacken.

Demgemäß schleusten die Beamten über den Server Schadsoftware auf sämtliche EncroChat-Handys. So gelang es, die Daten unbemerkt von den Geräten abzufangen und auf einen anderen Server auszuleiten.

Endgültige Klärung einer Daten-Verwertbarkeit auch weiterhin offen

Bezüglich der Verwertbarkeit der EncroChat-Daten stehen allerdings noch Entscheidungen vom EuGH und BVerfG aus. Der 5. Strafsenat des BGHs räumte die gerichtliche Verwertbarkeit der aus EncroChat gewonnenen Erkenntnisse in einer Entscheidung vom März 2022 jedenfalls noch ein. In einem Fazit fasst Rechtsanwalt Carsten Herrle auf dem Blog anwalt.de zusammen:

„Trotz des Beschlusses des BGH gibt es noch erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung. Eine Vielzahl an Verteidiger fordern weiterhin, dass die Ermittler offenlegen, wie genau die Datenentschlüsselung erfolgte.

Es wird zudem kritisiert, dass durch die Überwachungsmaßnahmen Unschuldige betroffen waren. Folglich gab es schlichtweg keinen Anfangsverdacht hinsichtlich diverser abgehörten Nutzer. Darüber hinaus ist eine Überprüfung der gewonnenen Daten über deren Wahrheitsgehalt nicht möglich. Schließlich haben die Verteidiger der Nutzer häufig keine vollständige Akteneinsicht. Dies hat zur Folge, dass keine optimale Strafverteidigung möglich ist.“

Über

Antonia ist bereits seit Januar 2016 Autorin bei der Tarnkappe. Eingestiegen ist sie zunächst mit Buch-Rezensionen. Inzwischen schreibt sie bevorzugt über juristische Themen, wie P2P-Fälle, sie greift aber auch andere Netzthemen, wie Cybercrime, auf. Ihre Interessen beziehen sich hauptsächlich auf Literatur.