Michael Hambsch (Lars Gunmann) untersucht, ob auch Belletristik-Autoren neue Bücher per Crowdfunding finanzieren können. Er glaubt allerdings nicht daran.
Michael Hambsch, der unter dem Pseudonym Lars Gunman Kurzgeschichten veröffentlicht, untersucht in diesem Gastartikel, ob auch Belletristik-Autoren neue Bücher per Crowdfunding finanzieren können. Beim Crowdfunding werden neue Projekte von einem Schwarm von Fans bezahlt. Die stillen Kapitalgeber ohne Mitspracherecht sind zumeist Internetnutzer, die ihre Anteile bei einem der vielen existierenden Crowdfunding-Portale einzahlen. Die alles entscheidende Frage ist aber, unter welchen Voraussetzungen diese Spendensammlung funktionieren kann. Michael Hambsch glaubt nur sehr eingeschränkt an dieses neue Finanzierungsmodell.
Von Crowdfunding hatte ich natürlich gehört. Aber so richtig davon gehört habe ich erst Anfang 2012, als Tim Schafer auf Kickstarter 3.3 Millionen Dollar an Spenden für sein Adventureprojekt eingesammelt hat. Adventures, so der legendäre Spieleentwickler (»The Secret of Monkey Island«, »Day of the Tentacle«), existieren nur noch in unseren Träumen, in unseren Erinnerungen und in Deutschland.
Die Community hatte es also möglich gemacht: Ein von allen Spielepublishern abgelehntes Projekt konnte durch Spenden realisiert werden, die Spender erhalten dafür das Spiel bei Erscheinen und je nach Spendengröße auch zusätzliche Goodies wie z.B. T-Shirts, eine Special Edition Box, oder sogar die Möglichkeit, die Entwickler zu treffen. Es war das erste über Crowdfunding finanzierte Videospiel-Projekt dieser Größenordnung, aber nicht das letzte. Kann das auch ein Geschäftsmodell für Belletristik-Autoren sein? Ich sage: nein!
Warum Crowdfunding?
Ein Projekt von seinen Fans finanzieren zu lassen ist nur ein Grund für Crowdfunding, aber ein sehr einleuchtender. Spielepublisher sind wie Buchverlage sehr vorsichtig mit dem, was sie finanzieren und veröffentlichen. Sie gehen ungern Risiken ein, wenn sie keine oder kaum Möglichkeiten für Profit sehen. Verständlich, schließlich hat es schon so einige Publisher und Entwickler »erwischt«. Die letzte, große Pleite war die von THQ – trotz der Mischung aus Qualitätsspielen und starken Lizenzen (und natürlich auch beides in einem). Dennoch gibt es viele Spiele, die von Fans einer Reihe oder eines bestimmten Genres gewünscht werden. Und hier konnte Crowdfunding viele Entwickler und Spieler glücklich machen.
Auch im Filmbereich gab es einige namhafte Projekte, darunter sogar deutsche Produktionen wie »Geld her oder Autsch’n« oder aktuell der Stromberg-Film. Ansonsten haben Filmfirmen aber kaum Probleme, Geld zusammen zu bekommen.
Ein anderer Grund für Crowdfunding ist, wenn man auf ein Thema aufmerksam machen möchte, das einem am Herzen liegt, beispielsweise eine bestimmte Krankheit oder ein gesellschaftlicher Missstand. Hier kann man auf die Unterstützung von Leuten zählen, denen das Thema ebenfalls wichtig ist, die aber nicht die Zeit, die Möglichkeiten, die Kreativität oder die entsprechenden Fähigkeiten besitzen, selbst aktiv zu werden. Neben Filmen und Kunstprojekten gibt es in diesem Bereich auch erfolgreiche Buchprojekte.
Ebenfalls sehr beliebt sind innovative Technikprodukte. Hier überzeugen Startups technikaffine Crowdfunder mit Design, Innovation und nützlichen Funktionen. Das kann die offene Android-Konsole Ouya sein, aber auch drahtlose In-Ears-Kopfhörer oder ein Automobil-Diagnosesystem fürs Smartphone.
Buchprojekte sind anders
Romane, also Belletristik sind wohl eher in der ersten Kategorie einzuordnen, es sei denn, es handelt sich um ein spezielles Thema, auf das man aufmerksam machen möchte. Doch während sich Buchprojekte aus dem Sachbuchbereich oft sehr gut schlagen – und das sind nicht nur Kochbücher, sondern eben auch Themen mit großem Fan-Interesse wie z.B. Drachenväter, sieht es bei Romanen oft nicht so rosig aus. Um die Ursachen zu ergründen, muss man sich die erfolgreichen Projekte genauer ansehen.
1) Wozu verwendet man das Geld?
Der größte Unterschied zwischen Belletristik- und Videospielprojekten: Hinter dem Roman steht meistens nur der Autor, hinter dem Videospiel meist ein ganzes Team, im besten Falle eine Entwicklerfirma. In zweitem Falle ist es klar, wofür Geld benötigt wird: Neben den Mitarbeitern, die bezahlt werden wollen, braucht man eventuell auch neue Hard- und Software. Nimmt man mehr Geld ein als erwartet, kann man natürlich auch zusätzliche Leute einstellen oder bessere Tools erwerben. Daher gibt es auch oft sogenannte Stretch Goals, die den Unterstützern ein besseres, umfangreicheres und schöneres Endprodukt bescheren sollen. So kann ein besonderer Künstler für zusätzliche Stücke des Soundtracks engagiert werden, weitere Plattformen werden unterstützt, es gibt zusätzliche Dungeons oder weitere Spielmodi.
Schreiben kostet Zeit
Ein Autor braucht zum Schreiben zuallererst Zeit. Die kann er sich natürlich prima einteilen, wenn er Geld zur Verfügung hat, es also nicht erst noch anderweitig beschaffen muss, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Beim Crowdfunding gehört es aber zum guten Ton, dass man angibt, wozu man das Geld verwendet. Schließlich handelt es sich hierbei primär um Vorfinanzierung und nicht um Vorverkauf. Praktisch ist es, wenn der Autor nur Geld für Lektorat und Coverdesign braucht, das fertige Manuskript also schon in der Schublade liegt. Das wäre dann aber auch kein neues Geschäftsmodell, wie es oft gefordert wird, denn um Geld zu verdienen, muss der Autor das Buch hinterher trotzdem verkaufen.
Bei einigen Buchprojekten geht es aber auch um den Druck von Printexemplaren, teils sogar um Hardcover. Das ist in mehrfacher Hinsicht mit Vorsicht zu genießen, schließlich steht dann nicht mehr der Roman (der Inhalt) selbst im Mittelpunkt, sondern dessen Druck. Im schlimmsten Fall landet das eingesammelte Geld fast komplett bei einem Druckkostenzuschussverlag, obwohl man das Werk als eBook oder Print-on-demand weitaus kostengünstiger auf den Markt hätte bringen können. Bei Erfolg und entsprechender Nachfrage findet sich dann auch sicher ein normaler (Klein-)Verlag, der eine Hardcover-Version für Liebhaber produziert. Die Fans, die so etwas haben wollen, muss man sich ohnehin erst einmal verdienen.
2) Was erwartet der Unterstützer?
Die niedrigsten »Tiers«, wie die Stufen der Unterstützung auf Kickstarter genannt werden, beinhalten bei Videospielen meist eine einfache Unterstützung ohne Gegenleistung, das Produkt als digitaler Download und eventuell ein paar Extras wie Wallpaper, Artbooks und den Soundtrack. Schon da ist man bei einem monomedialen Buchprojekt recht eingeschränkt. Auch für höherwertige »Ränge« muss man sich erst einmal etwas einfallen lassen, was den Leser interessiert. Die Betonung liegt auf Leser, denn gerade das aktuelle Crowdfunding-Projekt der Verlage Luzifer und Papierverzierer zeigt, dass hauptsächlich die Belohnungen bei den Belletristik-Unterstützern beliebt sind, die Bücher enthalten. T-Shirts und Poster mit Covermotiven ignoriert man beinahe komplett. Dabei ist dieses Projekt noch im Vorteil, da es mehrere Romane beinhaltet.
3) Wie weckt man Interesse an einem Projekt?
Als Projektstarter sollte man sich folgende Frage stellen: Warum sollte ein Crowdfunder genau dieses Projekt unterstützen und nicht ein anderes? Hat man das realisiert, kann man Gründe suchen, finden und schaffen. Videospiel-, Musik- oder Filmprojekte haben es da auch wieder einfacher, denn ein Trailer, Konzeptzeichnungen oder ein paar Probetracks sagen oft mehr als tausend Worte. Chris Roberts wusste genau, was für ein Projekt Star Citizen sein sollte, wer die Zielgruppe darstellt, und wie er diese Zielgruppe neugierig macht. Vergessene Genres haben ein großes Fanpotenzial, und auch bei Belletristikprojekten gibt es sicher noch viele unterbesetzte Nischen und besondere Geschichten, bei denen sich kein Verlag traut, diese in sein Programm aufzunehmen.
Doch für einen Autor ist es ungleich schwerer zu vermitteln, warum gerade dieses Buch geschrieben werden muss, und niemand sonst es auf diese Art schreiben kann, wie er es tun würde. Klar, ein Pitch, ein Klappentext und eine Leseprobe können neugierig machen. Umso besser, wenn es gelingt, aber würde man als Leser das Buch dann nicht am liebsten sofort haben wollen? Neugierig machen ist also eine Sache. Aber so sehr, dass man als Leser gerne noch mehrere Monate Wartezeit (je nach Geschwindigkeit des Autors) in Kauf nimmt? Alleine durch Text? Und wer sagt, dass ein Autor, der gute Kurzgeschichten schreibt, auch Romane schreiben kann, und sich nicht dabei verzettelt? In einem Entwicklerteam gibt es strikte Arbeitszeiten, Hierarchien, Zuständigkeiten und Fristen, die den erfolgreichen Abschluss eines Projektes stark begünstigen. Ein alleinig verantwortlicher Autor kann dagegen schnell den Zorn seiner Unterstützer auf sich ziehen, wenn er sich zeitlich verschätzt, oder am Ende nicht das herauskommt, was er erhofft hatte und seinen Lesern versprach.
4) Und wie hält man das Interesse aufrecht?
Weiter hat gezeigt, dass es auch bei anfänglich vielversprechenden Projekten schwierig werden kann, das Interesse über die gesamte Kampagnenlaufzeit zu halten. Viele Crowdfunding-Projekte sind dadurch gescheitert, dass es zu wenige Updates gegeben hat. In der Folge haben die Projektstarter die Community mit zu wenigen Neuigkeiten versorgt. Durch Updates zeigt man, dass das Projekt voll in der Mache ist, dass alle hart daran arbeiten. Es werden neue Artworks gezeigt, es werden Teammitglieder und ihre Arbeit vorgestellt, die Unterstützer werden dazu eingeladen sich auf Reddit mit den Entwicklern auszutauschen, und, und, und. Je vielseitiger ein Projekt, desto mehr Möglichkeiten hat man dazu auch. Gerade bei Videospielen gibt es eine Menge Leute, die gerne einen höheren Unterstützungsrang wählen, um bei der Beta dabei zu sein und frühzeitig ihr Feedback abgeben zu können. Die Community arbeitet also mit dem Entwickler am Produkt mit.
Viele Autoren geben auf Facebook Updates über ihre aktuellen Romane heraus. Diese sind aber kaum so umfang- und zahlreich wie bei erfolgreichen Kickstarter-Projekten. Wenn ein Autor über seine Arbeit erzählt, wird er sicher vermeiden, zu viel über sein aktuelles Projekt zu verraten. Schließlich will sich ja niemand gerne den Spaß verderben lassen, wenn es um den Inhalt eines Buches geht. Es hat zwar gezeigt, dass die Leser auch sehr daran interessiert sind, was die Autoren sonst noch so machen. Für eine Crowdfunding-Kampagne, bei der man um Unterstützer wirbt, dürfte das alles aber einfach nicht interessant genug sein.
Fazit – und wie könnte es doch funktionieren?
Sind die Geschäftsmodelle der Verlage überholt und kann Crowfunding die Antwort sein? Nun, in erster Linie ist Crowdfunding ein Finanzierungs- und kein Geschäftsmodell. Außerdem ist es ja nicht so, dass einige wenige spenden, und hinterher dafür alle Welt das Produkt kostenlos bekommt. Das ist auch bei Videospielen nicht der Fall. Fans finanzieren und bekommen ein Game, das sie sich schon lange gewünscht haben und erhalten dadurch sogar Vorteile. Dass das fertige Produkt dann auch an andere verkauft wird, empfindet niemand als anormal. Im Gegenteil, die Unterstützer würden sich veralbert fühlen, wenn das Produkt danach verschenkt wird. Auch diverse Buchpiratenseiten und ihre Nutzer haben etwas dagegen, dass Nichtspender sich die eBooks woanders komplett kostenlos herunterladen.
Erfolgreiche Autoren brauchen kein Crowdfunding
Ein unbekannter Autor wird es auch mit Crowdfunding schwer haben. Ein bekannter Autor wird es aufgrund seiner Erfahrung, seiner Reputation und seinen Verlagskontakten nicht brauchen. Würde man aber die Buchpreisbindung für eBooks aufheben, tät sich neue Möglichkeitena uf. Das gilt insbesondere, wenn das auch für Print-Bücher gelten würde. In Bundles ähnlich »Humble Bundle« oder »Indie Royale« könnte man beispielsweise Bücher von bekannten Autoren mit denen von unbekannten Autoren zusammen anbieten. Autoren könnten dann ihre fertigen Bücher auch selbst nach dem Pay-what-you-want-Prinzip verkaufen, und somit Geld für ihre nächsten Projekte sammeln, ohne dass Leser die Katze im Sack kaufen, lange Wartezeiten in Kauf nehmen oder sich fragen müssen, was der Autor denn mit dem ganzen Geld gemacht hat.
Über den Autor dieses Kommentars
Seit der goldenen 8-Bit-Ära ist Michael Hambsch ein Zocker aus Leidenschaft. Er rezensiert Spiele auf Splashgames.de und hat schon über fünfzig Crowdfunding-Projekte unterstützt. Seit Anfang des Jahrtausends schreibt er Kurzgeschichten, von denen er als Lars Gunmann inzwischen auch einige veröffentlicht hat. Romane sind ebenfalls in Planung.
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