E-Book-Piraterie
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Interview: E-Book-Piraterie und die Folgen

E-Book-Piraterie & -Razzien: beschlagnahmte Hardware und verhaftete Verdächtige. Ziel war die Community rund um boerse.bz, ebookspender.me und lesen.to.

Thema E-Book-Piraterie. Böse Bescherungen hatte die Adventszeit für E-Book-Piraten parat – Polizei und Staatsanwaltschaft führten bundesweit Razzien durch, beschlagnahmte Hardware und verhafteteten Verdächtige. Ziel war die Community rund um Warez-Foren und Plattformen wie boerse.bz, ebookspender.me und lesen.to, sowie mit „Sumselbär“ und „Spiegelbest“ angebliche Masterminds der Raubkopisten-Szene.
Doch auch normale Nutzer sind ins Fadenkreuz der Exekutive geraten. Warum soviel Aufwand, geht es nicht am Ende um harmlose elektronische Literatur und ihre Leser? Wessen Interessen sind im Spiel? Ansgar Warner von E-Book-News fragte den Online-Journalisten Lars Sobiraj, Experte für netzpolitische Themen rund um Datenschutz, Urheberrecht und Hacktivismus.

Dieses Interview zum Thema E-Book-Piraterie erschien am 16.12.2014 – wir danken für die Abdruck-Genehmigung. Die (Vor-) Geschichte des E-Books beschreibt Ansgar Warner in „Vom Buch zum Byte – Kurze Geschichte des E-Books“ – erhältlich als E-Book  und  auch als Taschenbuch :-) Wer mehr lesen mag – weiter unten verweisen wir noch auf andere Buchtitel von Ansgar Warner.

Woher kam das Interesse an der Razzia?

E-Book-News: Bisher hat man hauptsächlich von Ermittlungen gegen Filesharing-Plattformen und Foren gehört, die Filme und Musik anbieten, zuletzt etwa kinox.to… Wieso hatten die Behörden E-Books so lange nicht auf dem Schirm, dort geht’s doch auch um eine Menge Geld?

Lars Sobiraj (LS): Die Strafanzeigen gegen die mutmaßlichen Betreiber von Kinox.to bzw. die Uploader bei Boerse.bz & Co. hat teilweise die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) gestellt. Sofern es nicht deren Mitglieder waren, tat dies die Medienkanzlei Waldorf Frommer im Auftrag der Verlage. Ich weiß nicht, ob das Kriminalfachdezernat Cybercrime, die LKAs oder andere Stellen selber aktiv geworden wären. Im Internet werden Delikte mit einem erheblich schwereren Grad begangen, als jetzt ausgerechnet Urheberrechtsverletzungen. Man denke nur an Kinderpornografie, gewerbsmäßiger Betrug bei eBay, vielfacher systematischer Kreditkartenbetrug etc.

Machen wir uns bitte nichts vor. E-Books führen im Vergleich zu gedruckten Büchern noch immer ein Nischendasein. Nur weil der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die GVU bei der Ermittlung finanziell durch ihren Mitgliedsbeitrag unterstützt, hat sich daran nichts geändert. Wenn Szenemitglieder Kinofilme von der Leinwand abfilmen oder den Inhalt neuer Blu-Ray Medien oder DVDs verbreiten, so betrifft dies 100 Prozent des Marktes. So groß Torboox auch gewesen sein mag, darum ging es ja hauptsächlich bei den Durchsuchungen letzten Dienstag: Die E-Books machen einen Marktanteil von wenigen Prozent aus. Ich will die Schäden der Wirtschaft nicht kleinreden. Aber das muss man halt auch in Relation setzen.

War ebookspednder.me eine Crowdfunding-Community?

E-Book-News: Plattformen wie ebookspender.me signalisieren den Nutzern, Teil einer Community zu zu sein, in der man gemeinsam eine öffentliche Bibliothek betreibt, finanziert durch Crowdfunding. Aber man muss eben immer öfter zahlen, um überhaupt Zugang zu erhalten. Was hat das noch mit der klassischen Hacker- und Datenpiraten-Ethik zu tun?

LS: Mit der klassischen Hackerethik des CCC haben gewerbsmäßige Urheberrechtsverletzungen freilich nichts gemeinsam. Crowdfunding klingt in diesem Zusammenhang herrlich legal. Ich kann aber nur etwas verkaufen, sofern ich das Recht am Produkt besitze oder es als Urheber selbst entworfen habe. Die Preise für E-Books sind unverständlich hoch. Aber das darf keine Rechtfertigung für illegale Bezahlportale sein. Die haben nämlich nicht einmal etwas mit der Ethik der Releaser-Szene gemeinsam. Dort soll der sportliche Wettbewerb untereinander und nicht das reine Geld verdienen im Vordergrund stehen. Warez waren früher zu Zeiten des C64 und Amiga als Hobby und Zeitvertreib gedacht. Heutzutage ist es nicht selten eine “Nebeneinkunft”, die deutlich mehr als das ebenfalls bezogene Hartz IV ausmacht.

Auch reguläre Nutzer wurden durchsucht

ebooknews

E-Book-News: Die aktuellen Ermittlungen richten sich nicht nur gegen die Betreiber, sondern auch gegen aktive “Uploader” und wohl auch gegen eher passive Nutzer. Welche Daten nutzen die Behörden, um die Identität der Beteiligten festzustellen – können ihnen auch Gelegenheits-Nutzer ins Netz gehen?

Lars Sobiraj: Auffällig ist, dass Ebookspender.me und das dazu gehörige Blog Spiegelbest.me kurz vor den Durchsuchungen offline gingen und bis heute sind. Meine Informationen besagen, dass die Beamten Zugriff auf die Server der Webseiten haben sollen. Das würde die Ermittlung der Nutzer erklären. Im Fall von Boerse.bz weiß man bis heute nicht genau, wie die GVU bzw. Waldorf Frommer an die IP-Adressen gelangt sind. Dazu gibt es die wildesten Theorien, aus den Beschlüssen gehen keine aber Details zur IP-Ermittlung hervor. Auch die Beschlüsse von letztem Dienstag (Durchsuchungsbeschlüsse 09.12.2014) sind inhaltlich wirklich sehr dünn. Da wird einigen Durchsuchten der Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz vorgeworfen. Das umfasst heutzutage aber nur noch das Recht am eigenen Bild. Ich frage mich ernsthaft: Wie genau hat sich die Richterin am AG München die Beschlüsse vor der Unterzeichnung angeschaut?

Power-Uploader machen einfach weiter

Auffällig ist allerdings, dass die echten Power-Uploader bei verschiedenen Warez-Foren so weiter machen, als wäre nichts passiert. Die großen Fische verbreiten weiterhin Schwarzkopien, gefasst wurden bezogen auf Boerse.bz ausschließlich die kleineren Uploader. Das sieht für mich sehr danach aus, als wenn sich die Power-Uploader schlichtweg besser geschützt haben (VPN, TOR, Wegwerf-Mailadressen etc). Die Durchsuchungen bei den reinen Nutzern sollen offenbar dem Zweck dienen, weitere Nachahmer abzuschrecken. Das halte ich ehrlich gesagt für unmoralisch! Wieso lässt man die echten Straftäter laufen? Wenn die Aktionen die Ursache für illegal verbreitete E-Books oder Filme beseitigen sollten, so sind sie komplett ins Leere gelaufen. Dafür spricht auch die Tatsache, dass KinoX, Movie4k und Lesen.to ohne Unterbrechung online waren und bis heute sind.

E-Book-Piraterie: Alle Lobbyverbände lassen sich für ihre Arbeit bezahlen!

E-Book-News: Überall lauern in dieser Sache Geschäftsmodelle – auf der einen Seite GVU und Abmahnlobby, in der Mitte die Plattform-Betreiber und am anderen Ende Medienanwälte wie Solmecke & Co. Wer vertritt in diesem Haifischbecken die Interessen von Otto Normalsurfer?

LS: Die Interessen der Normalsurfer vertreten vielleicht ein paar Verbraucherschutzverbände, selbst die lassen sich dafür bezahlen. Der Gesetzgeber hat das Instrument der Abmahnungen ursprünglich eingeführt, um die Amtsgerichte zu entlasten. Abmahnungen waren eigentlich für die Klärung juristischer Fragestellungen zwischen zwei Unternehmen gedacht. Dazu kommt: Die Politik hat in den ganzen Jahren herzlich wenig zur Verbesserung der Urheberrechtsproblematik beigetragen.

An den Abmahnungen verdienen die Medienkanzleien beider Seiten, da machen wir uns bitte nichts vor. Die Kanzleien beider Seiten haben bis zu 40 angestellte Juristen im Haus, die nichts weiter tun, als die Abmahnungen im Copy & Paste-Verfahren zu bearbeiten. Das ist bei Abmahnern wie bei den Verteidigern der Filesharer beinahe wie die Lizenz zum Geld drucken. Und wenn die Filesharing-Abmahnungen nicht so gut laufen, gibt es ja noch den Bilderklau im Internet oder das Wettbewerbsrecht, wo man viel Geld umsetzen kann.

Die Rolle der GVU

Und die GVU? Die verspricht ihren zahlenden Mitgliedern die Verfolgung der Piraten. Ihre Ermittler scheitern aber häufig an der Tatsache, dass es schwer ist, Domains in Übersee oder Server in Osteuropa vom Netz zu nehmen. Die Täter sitzen in Deutschland, ihre Instrumente haben sie ins Ausland außerhalb der EU verlagert. Auch manche Zeitschriftenverlage verdienen prächtig mit. Sie präsentieren ihren Lesern immer wieder, wie man auf Windows oder Mac OS X alles knacken, alles herunterladen kann, was das Zeug hält. Der Verlierer ist der einfache Nutzer und ohne Zweifel auch die Kreativwirtschaft.

Die E-Book-Flatrate wäre sicher ein guter Weg, wenn bei diesem Modell auch die Verlage und Autoren und nicht nur Amazon dauerhaft überleben kann. Das gleiche gilt auch für Spotify & Co. Wenn es aus dem Dilemma einen einfachen Weg gäbe, dann hätte ihn längst jemand vorgeschlagen. Unsere Welt wird immer digitaler. Auch die Anzahl der verkauften Werke sind immer häufiger digitaler Natur. Von daher ist eine Lösung für das Problem mit der E-Book-Piraterie mehr als überfällig.

 

Ansgar Warner arbeitet als freier Autor im Medienbüro Mitte (Berlin) und ist Autor verschiedenr Bücher. Seit 2009 ist er Chefredakteur und Herausgeber von E-Book-News. Als Journalist wie als Literatur- und Kulturwissenschaftler war er immer schon an der Nahtstelle zwischen alten & neuen Medien unterwegs. 2007 promovierte er an der HU Berlin zum Thema Radio-Essay der Fünfziger Jahre, danach folgte die journalistische Tätigkeit für Zeitungen (u.a. taz) wie auch Rundfunk (DLF/DRadio). Er beschäftigt sich u.a. intensiv mit dem Medium Buch/E-Books. Die spannende (Vor-) Geschichte der elektronischen Bücher erzählt er in seinem E-Book „Vom Buch zum Byte – Kurze Geschichte des E-Books“ – erhältlich auch als Taschenbuch

Bildquelle: pasukaru76/flickr (cc-by-2.0)