Der in Aschaffenburg lebende Autor und ehemalige Netzwerkadministrator Matthias Wenzel über das Wesen der Internetpiraterie und seine Ideen für die Zukunft.
Der in Aschaffenburg lebende Autor und ehemalige Netzwerkadministrator Matthias Wenzel über das Wesen der Internetpiraterie und seine Ideen für die Zukunft. Ergänzung: Hier noch der Hinweis auf eine sehr interessante Diskussion bei Spiegelbest.
Die Situation ist verfahren
Mit großem Interesse verfolgte ich in den letzten Tagen den Artikel meines Autorenkollegen Thomas Elbel, sowie die Diskussion, die sich daraufhin in den Kommentaren zu seinen sehr persönlichen Erfahrungen entspannte.
Wieder einmal ging die Diskussion über Internetpiraterie, Raubkopien, Urheberrecht und Moralität in eine neue Runde. »Nichts Neues«, dachte ich bei mir und wunderte mich wieder einmal, warum bis heute, im Jahre 2014, noch immer kein Konsens in Sicht ist. Ein ungebetener Gedanke drängte sich mir auf. »Es ist wie die alte, seit Jahren tobende, leidvolle Diskussion zwischen Anhängern von Microsoft-PCs und Applejüngern«. Playstation gegen X-box. Android gegen iOS. Mercedes gegen BMW.
Seit Jahren tobt sie, kein Ende und keine Lösung am Horizont.
Die Situation scheint verfahren. Keine Seite mag von ihrem Standpunkt weichen. Beide haben stichhaltige Argumente, aber beide rationalisieren auch sehr stark. Gerade der Streit zwischen den aktuellen Fronten – ich nenne sie mal der Einfachheit halber »Urheber« und »Piraten« – scheint schon zu existieren, seit der erste Mensch eine Floppy Disk mit proprietärer Software kopierte.
Warum also immer noch keine Lösung, seit nun mehr als drei Jahrzehnten? Die Rationalisierungen beider Seiten sind uns allen geläufig. Die Urheber beklagen den finanziellen Schaden und virtuellen Diebstahl geistigen Eigentums. Die Piraten halten mit hehren Zielen wie der Freiheit des Wissens und dem Zwang zur Renaissance überholter Prozesse, aber auch mit simpler Geizmentalität dagegen. Beides valide Argumentationen, aber beides beschreibt meiner Meinung nach nur Symptome, nicht die Ursachen.
Internetpiraterie – keine Lösung in Sicht
Es muss also mehr dahinter stecken. Ich persönlich glaube, dass Psychologie dabei eine weit größere Rolle spielt, als wir ahnen. Ich verfolge die Entwicklung dieser Diskussion schon lange und bilde mir ein, zwischen den Lagern stehen zu können. Um dies zu begründen, muss ich etwas weiter ausholen, man möge mir verzeihen.
Meine persönliche Liebesgeschichte mit Computertechnologie begann 1991, als ich im zarten Alter von 12 Jahren aus Platzmangel unseren ersten Familien-PC ins Kinderzimmer gestellt bekam. Es dauerte nicht lange und ich hatte diese faszinierende, neue Technologie vollständig unter Beschlag. Kein Jahr später hatte ich die Kiste zerlegt und begonnen, Einzelteile ein- und umzubauen, um mehr Leistung herauszukitzeln.
Ich zähle mich selbst zur ersten Generation der deutschen Computer-Geeks und bin im gewissen Maße auch stolz darauf. Ich habe über die Jahre beinahe alle neuen Trends mitgemacht und miterlebt. Bereits bevor ich 1998 zum ersten Mal mit dem Internet in Berührung kam, verbrachten meine Freunde und ich Nächte und Wochenenden damit, an unseren PCs herumzubasteln, zu zocken und über Hardware zu philosophieren. Wir fühlten uns wie Pioniere und mussten jedes neue Teil sofort haben, auch wenn es uns unser ganzes Taschengeld kostete. Es waren schöne Zeiten.
Alles umsonst auf LAN-Partys
Man fühlte sich verbunden, durch die Außenseiterrolle als »Computerfreak« oder Zocker sowie durch die gemeinsame Liebe zur Technologie. Es dauerte nicht lange, und man verabredete sich online zu LAN-Partys, Zockerabenden in Netzwerken mit manchmal hunderten Teilnehmern. Von privat organisiert, wurden an Wochenenden zahllose Turnhallen, Büroräume, Vereinsheime und andere Veranstaltungsorte mit genügend Strom von hunderten Zockern gestürmt, ihre PCs im Schlepptau, um koffeingestählt die Wochenenden zu durchwachen. Es herrschte Aufbruchsstimmung.
LAN Party in der Nähe von Mannheim, ca. Sommer 2001. Teilnehmerzahl ca. 700 Bild: Matthias Wenzel
Auf diesen LAN-Partys war es dann auch, dass ich zum ersten Mal im großen Stil mit Raubkopien konfrontiert wurde. Natürlich hatte man hier und da auch vorher schon Musik über das Internet ausgetauscht. Das damals neue MP3 Format war das Erste, das klein genug war, um über die langsamen Modem- und ISDN-Verbindungen übertragen zu werden, ohne dass man Stunden auf eine Datei warten musste.
Was man aber auf den Rechnern der anderen Teilnehmer der großen LAN-Partys der frühen 2000er Jahre fand, war damit nicht zu vergleichen. Dutzende der neusten Filme, Songs, ja auch Bücher gab es damals schon in digitalisierter Form.
Wir haben das als Spielerei gesehen…
Dass es sich dabei um »illegale Ware« handelte, war uns natürlich auch damals schon irgendwo bewusst. Aber der Gedanke damit jemandem zu schaden, erschien uns beinahe lächerlich. Es wurde als Spielerei betrachtet – und ja, auch ein klein wenig als Akt der Rebellion, gegen die erwachsene Gesellschaft, Spießertum und die allmächtigen Konzerne. Es machte ja jeder. Währenddessen wuchs das Internet ständig weiter und war in der Massengesellschaft angekommen. Das »Saugen« von Unterhaltungsmaterial wurde schon beinahe gesellschaftlich anerkannt, dank cleveren, benutzerfreundlichen Tauschprogrammen wie Napster, Limewire, Bearshare, eDonkey und wie sie alle hießen. Selbst absolut technikfremden Neulingen wurde so die schöne neue Welt der kostenlosen Unterhaltung eröffnet.
Auf den Partys wurde getauscht, kopiert, auf CD gebrannt, was die Rechner hergaben. Schauergeschichten von Razzien wurden sich kichernd unter vorgehaltener Hand erzählt, so wirklich daran geglaubt hat aber, denke ich, niemand. Zumindest wurde mir nie ein Fall aus erster Hand bekannt, noch hatte ich so etwas selbst einmal erlebt.
Der Autor mit seinen Teamkollegen auf einer Lan Party in Emden, 2001, ca. 300 Teilnehmer. Bild: Matthias Wenzel
Aber niemand kann mir heute erzählen, wir hätten damals nicht alle schon ganz genau gewusst, was wir tun. Meiner Meinung nach waren persönliche Gier, Gewöhnung und eben die Robin-Hood-Romantik die Hauptschuldigen daran, dass es uns trotzdem nicht interessierte.
Die Jahre danach brauche ich hier wohl kaum zu resümieren, die sollten jedem hinlänglich bekannt sein, der das letzte Jahrzehnt nicht hinter dem Mond verbracht hat. Mit dem Einzug des Internets in das tägliche Leben, schnelleren Leitungen wie DSL, besseren Protokollen zum Dateiaustausch, wie BitTorrent, beschleunigten die Entwicklung. Hier vielleicht eine kleine, persönliche Anekdote, um meine »Credibility« noch zu untermauern. Schon Ende 2001 stand ich im E-Mail Kontakt mit Bram Cohen, dem Erfinder der BitTorrent Protokolle. Er programmierte für uns Deutsche auf meine Anregung hin einen Client für BitTorrent mit regelbarem Upload. Als Amerikaner war er nicht sonderlich vertraut mit unserem damals hierzulande verbreiteten, asynchronen DSL, welches bei voller Ausnutzung des Uploads kaum noch Bandbreite für Downloads übrig lässt.
Der Rest ist Geschichte. BitTorrent wurde schnell von den Filesharern, wie wir inzwischen neologisch hießen, aufgenommen und verbreitete sich rasant. Laut Wikipedia ist das BitTorrent Protokoll heute für gut ein Drittel des gesamten Internet-Datenverkehrs verantwortlich. Ein Drittel aller weltweiten Daten. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Damit sollte das Ausmaß der Sache einmal in die richtige Perspektive rücken.
Aufgewacht
An dieser Stelle sollte ich vielleicht zu dem Punkt kommen, an dem ich persönlich »aufgewacht« bin. Es war ein schleichender Prozess. Mein Unrechtsbewusstsein wuchs über die Jahre zwar, aber die Gewöhnung an freie Software, Filme und Musik war einfach zu stark. Auch in der Massengesellschaft wurde es ja eher belächelt, als stigmatisiert. Trotzdem zwang ich mich irgendwann zum »kalten Entzug«. Kein Filesharing mehr. Es gelang leidlich. Erst als iTunes auf den Plan trat, war mein Weg in die Legalität endlich geschafft.
Trotzdem muss ich gestehen, dass ich bis heute bedauere, diese schier unendliche Auswahl verloren zu haben. Heute bin ich nur noch auf das beschränkt, was ich mir leisten kann. Aber auch deswegen verdamme ich die Zeit von damals nicht. Im Gegenteil. Es war eine gute Zeit. Es hat Spaß gemacht, sich als Pirat zu fühlen. Wir gegen den kapitalistischen Moloch. Unser kleines Stück Rebellion. Freiheit des Wissens.
Was man daraus lernen kann
Was kann ich also heute daraus schließen, wo ich jetzt auf die »andere« Seite gewechselt bin, als Selfpublisher, Urheber? Ja, und was kann ich aus diesen Jahren lernen?
Ein Indiz lieferte mir ein Satz aus der »Szene« von damals, der bei mir hängen geblieben ist. »If you like it, support the manufacturer and buy this program!«
Der grundlegende Gedanke dahinter ist etwas, das ich den »demokratischen Kapitalismus« nenne. Die Macht des Einzelnen, sein Geld seine Stimme sein zu lassen, in dem man entweder sagt: »Deine Arbeit ist nichts wert, ich bestrafe dich, indem ich sie mir stehle«, oder eben: »Ich verneige mich vor deinen Mühen, hier hast du mein Geld.«
Ich zeige Zustimmung, Wohlwollen, ich investiere in die gute Arbeit eines Anderen, indem ich sein Produkt kaufe.
Früher musste etwas nützlich oder unverzichtbar sein, um gekauft zu werden. Das Produkt an sich musste ansprechend sein, mehr war selten wichtig oder nötig. Heute muss ein Unternehmen Lobbyarbeit betreiben, Fans um sich scharen, Unterstützer sammeln. Jeder zahlende Kunde ist gleichzeitig Investor und Werber, Multiplikator. Viele große Unternehmen scheinen das längst erkannt zu haben. Es wird mehr als ein Produkt verkauft. Die Zustimmung der Kunden ist so gut wie bare Münze. Applejünger. Android-Fans. BMW-Fahrer. Twilight-Leser. Xbox vs. Playstation.
Großer Wettbewerb
Auch die Kunden erkennen ihre Machtposition dank dem scharfen Wettbewerb im Internet immer deutlicher. Sie können bestrafen und loben, in den Bankrott führen oder in den Olymp heben. Sie kämpfen mit Zähnen und Klauen für »ihre« Produkte und machen die des »Gegners« nieder.
Selbst das vielzitierte Crowdfunding ist damit eigentlich keine neue Idee. Es ist vielmehr die logische Konsequenz aus unserer modernen Sehnsucht, nur noch etwas zu kaufen, wo man auch hinter der Idee oder gar dem Hersteller stehen kann. Nur noch den Dingen, die als unterstützungswürdig empfunden werden, gebe ich mein Geld, meine Stimme.
Auch Autoren können unsere Augen davor nicht länger verschließen. Wenn man etwas genauer hinsieht, bekommen wir es ja heute schon täglich vorgemacht von denen, die es begriffen haben. Zu 50 Shades. Harry Potter, Twilight, Dan Brown, sind regelrechte Marken etabliert worden, nur um ein paar aktuelle Beispiele zu nennen. Damit sind sie so groß geworden, dass ihnen die Raubkopien nicht mehr wehtun.
Was tun als Autor?
Was bleibt aber dem einzelnen Autor? Welchen Weg können wir gehen? Ich persönlich versuche, mit totaler Offenheit und Erreichbarkeit zu kontern.
Für mein erstes Buch, welches fast vollständig in Eigenregie entstand, haben sich mittlerweile knapp 6000 Leser gefunden. Sicherlich kein Bestseller, aber ein kleiner Erfolg. Gegen alle Unkenrufe war von Anfang an mein Traum, bzw. mein Ziel, einmal nur vom Schreiben leben zu können. Seit knapp über 6 Monaten schaffe ich das, leidlich. Bestimmt würde ich als Handwerker netto mehr verdienen, aber immerhin kann ich von Zuhause aus arbeiten und spare mir Spritkosten. Es ist ein Traum, meine Geschichten erzählen zu können und davon leben zu können. Aber es ist und bleibt Arbeit. Viel Arbeit. Ich antworte auf jede Mail, jede Facebook-Nachricht, jede Foren-PM, jeden Anruf. Auf der Buchmesse Frankfurt war ich die vollen fünf Tage zur Stelle. Mit Flyern in der Hand bin ich durch meine Heimatstadt gelaufen und habe wildfremde Leute angesprochen. Jede Apotheke, jeder Bäcker, Metzger, etc. in unserem Landkreis wurde von mir besucht und überall habe ich gefragt, ob ich Flyer auslegen oder Plakate aufhängen dürfe. Nur um es irgendwie zu schaffen, genügend Bücher am Tag zu verkaufen.
Oder vielmehr, um nicht nur mein Buch, sondern auch mich selbst zu verkaufen. Zu hoffen, dass mir die Leute ihre Stimme in Form von vier Euro für mein eBook geben. Zugegeben, ich habe nicht so viel Geld in die Entwicklung gesteckt, wie Herr Elbel. Nach fast einem Jahr, in dem ich vom Erspartem lebte und in Vollzeit an meinem Buch arbeitete, war kein Geld für Lektorat und Korrektorat mehr übrig. Dafür mussten Freunde und Bekannte als Testleser aushelfen. Das Cover wurde von einem Freund erstellt. Im Endeffekt habe ich also mehr Zeit und Laufarbeit investiert, aber das macht die Sache nicht billiger.
Überall nur Kosten
In den nächsten Monaten wollen meine Lebensgefährtin und ich umziehen. Die Wohnung, die wir beziehen werden, müssen wir noch ausführlich renovieren. Auch das wird Zeit und Geld kosten und vor allem von meiner Arbeitszeit an meinem zweiten Buch abgehen. Mal abgesehen davon, dass solche »Ablenkungen« dem Schreibprozess ohnehin nicht gut tun.
Ich habe keine Angst davor, ein »gläserner Mensch« zu sein, was bestimmte Dinge angeht. Ich bewahre mir genug Privates, um mich nicht durchsichtig zu fühlen. Und ich denke eben, wenn ich jemandem diese Geschichte erzähle, ihn ein wenig am Leben hinter dem Buch teilhaben lasse, wird er eher geneigt sein, mich mit seinem Geld zu unterstützen.
Mal ehrlich. Würde ich Ihnen jetzt gegenüberstehen, Ihnen die Hand drücken und Sie danach fragen, ob Sie mein Buch kaufen möchten, sofern sie die Thematik interessiert, würden Sie dann »Nein« sagen, nach Hause gehen und es von einer Piratenseite laden?
Vielleicht wird der eine oder andere dies tun. Ich möchte nicht so recht daran glauben und meine Erfahrungen sprechen bisher auch eine andere Sprache. Als Urheber wünschte ich mir natürlich, es gäbe weniger Filesharing, aber solange es das Internet gibt, wird auch das nicht verschwinden, egal wie viele neue Geschäftsmodelle wir uns überlegen. Das heißt natürlich nicht, dass ich nicht offen wäre für neue Ideen. Inzwischen sollten auch die Piraten wissen, dass sie es hier nicht mit einem von der »anderen« Seite zu tun haben. Wenn also jemand an mich herantreten mag, bitte. Ich werde beispielsweise auch die vollen fünf Tage auf der Buchmesse in Leipzig vor Ort verbringen und freue mich über jedes Gespräch.
Autoren sind keine Rockstars
In diesem Sinne auch ein Appell an meine Autorenkollegen. Wir sind selbst schuld, wenn alle Welt denkt, Autoren sind so etwas wie Mini-Rockstars, die in Saus und Braus leben. Wir sind fast die Einzigen, denen bewusst ist, dass man gerade in Deutschland vom Schreiben kaum leben kann. Dass es gerade mal eine Handvoll Autoren gibt, die das tun können. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass man von hierzulande um die 100 Autoren ausgeht, denen das gelingt.
Dabei könnte unsere Ausgangslage nicht günstiger sein. Vor allem wir Hybrid- oder Selfpublisher-Autoren stehen ja eben genau nicht für einen Verlagsapparat oder einen Konzern, den zu bekämpfen sich gut anfühlt. Im Gegenteil. Mit ein wenig mehr Offenheit könnten wir vielleicht Bewusstsein dafür schaffen, dass wir auch nur Schreibhandwerker sind, die von ihrer Arbeit leben können wollen.
Ich denke ehrlich, viele Menschen da draußen würden sich dann zwei Mal überlegen, ob sie eines unserer Werke kostenlos downloaden.
Euer Matthias Wenzel.
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