Chatkontrolle
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Bildquelle: Robin Worrall

Chatkontrolle: EU-Kommission für Durchsuchung aller Endgeräte

Im Rahmen der geplanten Chatkontrolle im Kampf gegen Kindesmissbrauch soll es künftig erlaubt sein, die Medien der Endgeräte zu überprüfen.

Die EU will eine Chatkontrolle besonderer Art einführen. Bisher waren Betreiber von sozialen Netzwerken dazu angehalten, den Behörden verbotene Inhalte freiwillig zu melden. Das reicht für EU-Kommissarin Ylva Johansson nicht mehr aus. Johansson betonte gegenüber der Welt, sie plane eine gesetzliche Meldepflicht auf EU-Ebene. Gegenüber der Redaktion von Tarnkappe.info erklärte die EU im August des Jahres 2020 noch, man strebe die Beibehaltung von E2E-Encryption bei gleichzeitiger Verbrechensbekämpfung durch Hintertüren an.

Freiwillige Meldungen von Facebook & Co. nicht ausreichend?

Doch die Ausweitung der Chatkontrolle für mehr Jugendschutz geht weit darüber hinaus. Der Kampf gegen den Missbrauch Minderjähriger müsse europaweit und global koordiniert geführt werden, sagte Johansson. Die EU-Kommissarin will eigens dafür ein auf die Prävention und Verfolgung spezialisiertes EU-Zentrum einrichten lassen.

Neue Chatkontrolle will Datenschutz nachrangig behandeln

Datenschutz und Verschlüsselung sei gegenüber dem Schutz der Opfer nachrangig zu behandeln, sagte die Politikerin. Die 22 Millionen Meldungen, die freiwillig eingegangen sind, würden nämlich nur einen Bruchteil der tatsächlichen Straftaten darstellen. Offenkundig spielt es für die Schwedin keine Rolle, dass die Mehrheit der EU-Bürger die Chatkontrolle schon im bisher geplanten Umfang abgelehnt haben.

Endgeräte sollen anlasslos und flächendeckend überwacht werden

Laut Medienangaben plant Johansson sogar, die Inhalte auf den Endgeräten der NutzerInnen nach bestimmten Dateien durchsuchen zu lassen. Mit dem so genannten Client-Side-Scanning (CSS) will man kinderpornografische Werke automatisch entdecken. Anschließend soll augenblicklich die Strafverfolgung der Eigentümer der betreffenden Geräte eingeleitet werden. Zudem will man bei der neuen Chatkontrolle vor jedem Versenden einer Nachricht den Anhang untersuchen. Geprüft wird, ob das Bild schon einmal als einschlägig bekannt aufgefallen sei. Sollte dies der Fall sein, würde man den Versand beim Messenger unterbinden und die Straftat der Polizei melden. Das Ganze soll über einen Hashwert laufen. Diesen will man mit dem Hash von auffällig gewordenen Medien abgleichen.

Forscher weisen auf gravierende negative Effekte hin

Im Oktober letzten Jahres haben 14 IT-Sicherheitsforscher ihren Standpunkt zum Thema CSS in einer gemeinsamen Studie namens „Bugs in our Pockets: The Risks of Client-Side Scanning“ klar gemacht. Eine derartig gelagerte Massenüberwachung könne zu einem erheblichen Abschreckungseffekt auf die Redefreiheit und sogar zur Einschränkung der Demokratie führen, schreiben die Wissenschaftler. Darunter auch der überaus populäre Verschlüsselungsexperte Bruce Schneier.

Chatkontrolle weckt bei Behörden enorme Begehrlichkeiten

Zudem besteht auch die Gefahr, dass wenn erst einmal der Zugang zu irgendwelchen Endgeräten verfügbar sein sollte, Behörden früher oder später auch bei Straftaten mit einer geringeren kriminellen Energie den Inhalt unserer Geräte überprüfen wollen. Die Chatkontrolle mittels CSS sei deswegen weitaus gefährlicher, als die zuvor geplante Schwächung der Verschlüsselung der Endgeräte. Denn das CSS will man komplett anlasslos und flächendeckend durchführen lassen.

Ob die EU dabei nur mobile Geräte oder auch Desktop-PCs bzw. Notebooks scannen will, ließ Ylva Johansson im Gespräch offen.

Großteil der bisherigen Meldungen irrelevant

Wer sich für das Thema weitergehend interessiert, der Abgeordnete Dr. Patrick Breyer hat sich Ende letzten Jahres bei uns ausführlich im Interview über die geplante Chatkontrolle der EU ausgelassen. Breyer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass 86 % der freiwilligen Meldungen gar nicht strafrechtlich relevant waren. Die Strafverfolgungsbehörden seien zudem schon jetzt chronisch überlastet, was zu enormen Verzögerungen der Bearbeitung der Fälle führt.

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Früher brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert. In seiner Freizeit geht er am liebsten mit seinem Hund spazieren.