Rechtssache Internet Archive vs. Verlage
Rechtssache Internet Archive vs. Verlage
Bildquelle: HayDmitriy, Lizenz

Internet Archive: digitale Buchausleihe verstößt gegen Urheberrecht

Ein US-Bundesrichter hat entschieden, dass Internet Archive nicht berechtigt ist, Bücher zu scannen und wie eine Bibliothek zu verleihen.

Der New Yorker Bundesrichter John G. Koeltl entschied am Freitag, dass eine vom Internet Archive betriebene Online-Bibliothek die Urheberrechte von vier großen US-Verlagen verletzt hat, indem sie digital eingescannte Kopien ihrer Bücher verliehen hat.

Das Urteil des US-Bezirksrichters John Koeltl in Manhattan erging im Rahmen eines Rechtsstreits. Bereits am 1. Juni 2020 reichte die Association of American Publishers (AAP) im Namen von vier Verlagen (Hachette, HarperCollins, Penguin Random House und Wiley) eine Urheberrechtsklage gegen das Internet Archive (IA) ein.

Internet Archive, eine in San Francisco ansässige gemeinnützige Organisation, hat in den letzten zehn Jahren Millionen von gedruckten Büchern gescannt. Im Anschluss daran haben sie die digitalen Kopien dann im E-Book-Format kostenlos an Kunden verliehen. Während viele davon gemeinfrei sind, wären 3,6 Millionen davon durch gültiges Copyright geschützt. Darunter sind 33.000 Titel, deren Rechte den vier Verlagen gehören.

Verlagsklage richtete sich gegen das CDL-Verleihprinzip

Die Verlage wandten sich mit der Klage gegen das Prinzip des CDL-Verleihs von Internet Archive an sich. Gemäß der Kläger entbehre das Controlled Digital Lending-Konzept von IA jeder rechtlichen Grundlage. Für sie ist das Kopieren ihrer Bücher ohne Erlaubnis illegal. Folglich streben sie die Schließung der Online-Bibliothek des Internetarchivs und eine Schadensersatzzahlung der gemeinnützigen Organisation an.

internet archive

Wie Internet Archive argumentierte, wären die eigenen Praktiken durch die Fair Use-Doktrin geschützt. Diese würde unter bestimmten Umständen die unlizenzierte Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken anderer erlauben. Zudem stellte IA sicher, dass jeweils nur eine Person auf eine solche digitale Kopie eines physischen Buches zugreifen konnte. Es fand somit keine unkontrollierte Distribution in Massen statt.

Koeltl wiedersprach dem jedoch in seinem Urteil. Zuvor befragte er beide Seiten zu ihren Anträgen auf ein summarisches Urteil, bevor er seine endgültige Entscheidung verkündete. Dafür prüfte er gemäß TorrentFreak vier Faktoren, die eine Fair-Use-Regelung rechtfertigten. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass alle vier Faktoren „stark zu Gunsten der Verlage sprechen“.

Richter prüft Fair-Use-Faktoren

Koeltl entschied zum ersten Faktor, dass die digitalen Buchkopien von Internet Archive nichts „transformieren“, was den Schutz der „fairen Nutzung“ rechtfertigen würde. Denn die E-Books ersetzten lediglich die autorisierten Kopien, die die Verlage selbst an traditionelle Bibliotheken lizenzieren.

Der Richter merkte dazu an, dass die Verwendung von Google Books beispielsweise als „transformativ“ gelte, weil es eine durchsuchbare Datenbank erstellte, anstatt einfach Kopien von Büchern im Internet zu veröffentlichen.

„Der springende Punkt des First-Factor-Argumentes von IA ist, dass eine Organisation das Recht hat, unter fairer Nutzung alle Kopien ihrer gedruckten Bücher anzufertigen, die notwendig sind, um die digitale Ausleihe dieses Buches zu erleichtern, solange nur jeweils ein Benutzer das Buch ausleihen kann für jedes gekaufte und bezahlte Exemplar.

Aber es gibt kein solches Recht, wodurch die Gefahr besteht, dass die Rechte von Autoren und Verlegern ausgehöhlt werden, von der Erstellung und Verbreitung von Derivaten ihrer geschützten Werke zu profitieren.“

Bezüglich der übrigen Faktoren kam Koeltl zu dem Schluss:

„Das großflächige Kopieren und unbefugte Verleihen digitaler Kopien der gedruckten Bücher des Verlags durch IA verändert die Nutzung der Bücher nicht, und IA profitiert von der Verwertung des urheberrechtlich geschützten Materials, ohne den üblichen Preis zu zahlen.

In diesem Fall gibt es einen ‚florierenden E-Book-Lizenzmarkt für Bibliotheken‘, in dem die Verleger eine Gebühr erhalten, wenn eine Bibliothek eines ihrer lizenzierten E-Books von einem Aggregator wie OverDrive bezieht. Dieser Markt erwirtschaftet für die Verlage mindestens zehn Millionen Dollar pro Jahr. Und IA verdrängt den Platz der Verlage in diesem Markt.

Es ist ebenso klar, dass sich das Verhalten von IA, wenn es weit verbreitet wird, negativ auf den potenziellen Markt für die strittigen Werke auswirken wird.

Internet Archive soll für Urheberrechtsverletzungen haften

Deswegen entschied Richter Koeltl, dass Internet Archive „abgeleitete“ Werke produziert, die eine Genehmigung des Urheberrechtsinhabers erfordern. „Eine Neufassung eines E-Books aus einem gedruckten Buch ist ein paradigmatisches Beispiel für ein abgeleitetes Werk“, so Koeltl. Im Ergebnis haftet das Internetarchiv tatsächlich für Urheberrechtsverletzungen.

Obwohl IA das Recht hat, gedruckte Bücher, die es rechtmäßig erworben hat, auszuleihen, hat es nicht das Recht, diese Bücher einzuscannen und die digitalen Kopien massenweise auszuleihen.“

Allerdings stehe die Höhe des Schadens noch nicht fest. Internet Archive forderte den gesetzlichen Schadensersatz und verwies auf seinen Status als gemeinnützige Bibliothek. Richter Koeltl gab bekannt, zum jetzigen Zeitpunkt sei eine Schadensersatzentscheidung verfrüht.

Internet Archive wird gegen Urteil Berufung einlegen

E-Books Buch Börsenverein des Buchhandels

Aufgrund der Anordnung darf IA die E-Book-Leihbibliothek nicht in ihrer derzeitigen Form weitergeführen.

Das Internet Archive hat vor, in Berufung zu gehen. Das Urteil würde „den Zugang zu Informationen im digitalen Zeitalter behindern und allen Lesern überall schaden“. Chris Freeland, Director of Open Libraries von IA, bekundet:

„Wir werden weiter für das traditionelle Recht der Bibliotheken kämpfen, Bücher zu besitzen, zu verleihen und zu bewahren. Wir werden gegen das Urteil Berufung einlegen und alle ermutigen, als Gemeinschaft zusammenzukommen, um Bibliotheken gegen diesen Angriff durch Unternehmensverlage zu unterstützen.“

Das Internet Archive wird künftig trotz der Entscheidung weiterhin auf andere Weise als Bibliothek fungieren. Freeland meint:

„Dieser Fall stellt viele der Dienstleistungen, die wir mit digitalisierten Büchern anbieten, nicht in Frage, darunter Fernleihe, Zitierverknüpfung, Zugang für Lesebehinderte, Text- und Data-Mining, Kauf von E-Books sowie fortlaufende Spende und Aufbewahrung von Büchern.“

Brewster Kahle bricht eine Lanze für Bibliotheken

Auch Internet Archive-Gründer Brewster Kahle gab ein Statement heraus:

„Bibliotheken sind mehr als die Kundendienstabteilungen für Datenbankprodukte von Unternehmen. Damit die Demokratie auf globaler Ebene gedeihen kann, müssen Bibliotheken in der Lage sein, ihre historische Rolle in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten – Bücher zu besitzen, zu bewahren und zu verleihen.

Dieses Urteil ist ein Schlag für Bibliotheken, Leser und Autoren und wir planen, dagegen Berufung einzulegen.“

association of american publishers

Maria Pallante, die Vorsitzende der Association of American Publishers, erklärte hingegen, das Urteil „unterstreicht die Bedeutung von Autoren, Verlegern und kreativen Märkten in einer globalen Gesellschaft“:

„Durch die Zurückweisung von Argumenten, die eine faire Verwendung zu unlogischen Markern gedrängt hätten, hat das Gericht die Bedeutung von Autoren, Verlegern und Kreativmärkten in einer globalen Gesellschaft unterstrichen. Indem wir die Meinung feiern, danken wir auch den Tausenden von öffentlichen Bibliotheken im ganzen Land, die ihren Gemeinden jeden Tag durch rechtmäßige eBook-Lizenzen dienen.

Wir hoffen, dass sich die Stellungnahme für den Angeklagten und alle anderen als lehrreich erweisen wird, die der Meinung sind, dass öffentliche Gesetze ihren eigenen Interessen zuwiderlaufen.“

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Über

Antonia ist bereits seit Januar 2016 Autorin bei der Tarnkappe. Eingestiegen ist sie zunächst mit Buch-Rezensionen. Inzwischen schreibt sie bevorzugt über juristische Themen, wie P2P-Fälle, sie greift aber auch andere Netzthemen, wie Cybercrime, auf. Ihre Interessen beziehen sich hauptsächlich auf Literatur.