US-Bezirksrichter prüft Scan- und Ausleihprogramm von Internet Archive
US-Bezirksrichter prüft Scan- und Ausleihprogramm von Internet Archive
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Internet Archive: Richter prüft Scan- und Ausleihprogramm

Am Montag fand die erste Anhörung zu den Gegenanträgen der Parteien auf ein summarisches Urteil im Fall Verlage gegen Internet Archive statt.

Bereits am 1. Juni 2020 reichte die Association of American Publishers (AAP) im Namen von vier Verlagen (Hachette, HarperCollins, Penguin Random House und Wiley) eine Urheberrechtsklage gegen die Internet Archive (IA) ein. Bei der ersten Anhörung vor einem Bundesgericht in New York zeigte sich US-Bezirksrichter John G. Koeltl skeptisch gegenüber den Argumenten von IA-Anwalt Joseph Gratz.

Beide Parteien strebten ein summarisches Urteil an, als Möglichkeit für eine Partei, einen Fall auch ohne Gerichtsverfahren zu gewinnen.

Verlagsklage richtet sich gegen die National Emergency Library sowie das CDL-Verleihprinzip

Die Verlagsklage richtet sich zum einen gegen das Format der National Emergency Library, in der E-Books während der Corona-Pandemie uneingeschränkt ausgeliehen werden konnten. Ziel der Nationalen Notfallbibliothek war es, Schülern, Lehrern und Lesern das Lernen aus der Ferne zu ermöglichen.

Sie sollten während der Corona-Pandemie kostenlosen Zugang zu mehr als 1,4 Millionen Büchern erhalten. Die Verlage hingegen bezeichneten das Programm als Vorwand für massive Urheberrechtsverletzungen.

Zum anderen kritisierten die Verleger, dass das Internet Archive mit seiner langfristigen Strategie der Buchausleihe „das sorgfältig austarierte Ökosystem, das Bücher möglich macht, zerstören will”. Das Internet Archive scannt physische Bücher und verleiht sie dann im E-Book-Format an Nutzer. In der Klage wenden sich die Verlage gegen das Prinzip des CDL-Verleihs an sich.

Gemäß den Klägern entbehre das Controlled Digital Lending-Konzept des IA jeder rechtlichen Grundlage. Für sie ist das Kopieren ihrer Bücher ohne Erlaubnis illegal. Folglich streben sie die Schließung der Online-Bibliothek des Internetarchivs und eine Schadensersatzzahlung der gemeinnützigen Organisation an.

Internet Archive verteidigt sich: Fair-Use-Regelung sei keine Piraterie

Internet Archive argumentiert, dass sie nur Kopien von Büchern verleihen, die sie auch physisch besitzen. Zudem behalten sie ein Eins-zu-Eins-Verhältnis von „Besitz zu Leihe“ bei. Daher falle der Verleih unter die Fair Use Policy.

Vor Gericht hatten das Internet Archive und die Verleger, vertreten durch die Anwältin Elizabeth McNamara, Gelegenheit, ihre Positionen in einer Anhörung vor dem New Yorker Bezirksgericht zu untermauern. Beide Parteien stellten ihre Fälle vor und wurden von Richter Johannes Koeltl befragt.

Wie Publishers Weekly berichtete, wies Richter John G. Koeltl darauf hin, dass die Kernfrage des Falles sei, ob das Scannen der Bücher durch das Internet Archive Urheberrechte verletze. Schließlich würden sie ein bereits lizenziertes physisches Buch reproduzieren und ohne Zahlung weiterer Lizenzgebühren verleihen. In einem Austausch mit dem Anwalt des IA, Joseph Gratz, stellte Koeltl klar:

„Zu sagen, dass es in diesem Fall um die Fähigkeit einer Bibliothek geht, ein Buch zu verleihen, das ihr gehört, ignoriert die Frage, ob die Bibliothek das Recht hat, das Buch in großem Umfang zu kopieren. Hat eine Bibliothek das Recht, ein Buch zu verleihen, das ihr gehört? Selbstverständlich.

Aber die Kernfrage dieses Falles ist, ob eine Bibliothek das Recht hat, eine digitale Kopie eines Buches, das ihr gehört, anzufertigen und diese digitale Kopie, die sie ohne Lizenz und ohne Erlaubnis angefertigt hat, dann zu verleihen. Das Problem in diesem Fall einfach so zu formulieren, dass die Bibliothek das Recht hat, ein Buch zu verleihen, das ihr gehört‘, verschleiert das Problem in diesem Fall“.

Koeltl wies auch darauf hin, dass frühere Grundsatzentscheidungen zur fairen Nutzung implizierten, dass das Kopieren und Verteilen ganzer Bücher an die Öffentlichkeit nicht durch die Doktrin geschützt sei.

In ihrem Antrag auf ein summarisches Urteil argumentiert McNamara, dass das Internet Archive Zehntausende von urheberrechtlich geschützten gedruckten Büchern illegal digitalisiert und Lesern weltweit zugänglich gemacht habe. Das Scan- und Ausleihprogramm des Internet Archive habe keine rechtliche Grundlage.

„Kein Fall hat gezeigt oder auch nur angedeutet, dass das Verhalten von IA eine legitime und faire Nutzung darstellt. […]

Kurz gesagt, CDL basiert auf einem Trugschluss. Es gibt kein Gesetz, das die massenhafte Vervielfältigung und Digitalisierung von Millionen von Büchern erlaubt, um sie weltweit für den gleichen Zweck zu verbreiten, für den sie ursprünglich veröffentlicht wurden, nämlich zum Lesen. Und das aus gutem Grund – wenn dieses Verhalten sanktioniert würde, würde es die Rechte und die Kontrolle der Urheberrechtsinhaber zerstören.“

Inwiefern wurden Verlage geschädigt?

Das Internet Archive argumentierte dagegen, dass seine Bemühungen, rechtmäßig erworbene physische Bücher zu scannen und die gescannten Ausgaben unter Bedingungen zu verleihen, die die physische Ausleihe nachahmen, durch Fair Use geschützt seien.

„Das Internet Archive und die Hunderte von Bibliotheken und Archiven, die es unterstützen, sind keine Piraten oder Diebe. Sie sind Bibliothekare, die ihre Kunden online bedienen wollen, so wie sie es seit Jahrhunderten in der physischen Welt tun. Das Urheberrecht steht dem Recht einer Bibliothek, ihre Bücher einzeln an ihre Benutzer zu verleihen, nicht entgegen. […]

Es gibt keinen Beweis dafür, dass die Verlage auch nur einen Cent durch diese Praxis verloren haben.“

Laut Publishers Weekly verzeichnete die Verlagsbranche im Gegenteil eine starke Nachfrage. Die Einnahmen stiegen um 12 Prozent, was bis 2021 einem Umsatzplus von 3 Milliarden Dollar entspricht. Unterrichtet von der Tatsache, fragte Richter Koeltl Verlags-Anwältin McNamara daraufhin, wie sich die Gewinnsteigerung mit dem Vorwurf des verursachten Schadens vereinbaren lasse.

McNamara widersprach der Behauptung von IA, dass es keine Beweise dafür gebe, dass die Verlage durch das IA-Programm einen Nettoverlust erlitten hätten. Allein die Existenz eines „florierenden“ lizenzierten E-Book-Marktes für Zugangsbibliotheken und möglicherweise entgangene Lizenzgebühren würden ausreichen, um einen Schaden nachzuweisen.

Internet-Archive-Urteil wäre richtungsweisend für alle Bibliotheken

Wenn das Gericht die Digitalisierungspraktiken der IA sanktioniere und Tausende von Bibliotheken damit begännen, die Bücher in ihren Sammlungen zu digitalisieren, würde der gesamte Markt für E-Book-Lizenzen zusammenbrechen, so McNamara:

„Wenn CDL grünes Licht bekäme, hätte das nicht nur erhebliche Auswirkungen auf den E-Book-Markt für Bibliotheken, sondern auch auf den E-Book-Verbrauchermarkt. Denn das ökonomische Grundprinzip und der gesunde Menschenverstand sagen, dass man mit Gratis nicht konkurrieren kann“.

Gemäß The Register zitierte Gratz auch den Fall Google gegen Oracle. Er sagte dem Richter, dass potenzielle Einnahmen nicht die ganze Geschichte seien. Vielmehr müsse der Nutzen für die Öffentlichkeit gegen den Nutzen für den Urheberrechtsinhaber abgewogen werden. Daraufhin räumte Koeltl ein, dass die Diskussion des Obersten Gerichtshofs über faire Verwendung nicht ignoriert werden könne.

Am Ende der Anhörung nannte Koeltl keinen Zeitplan für seine Entscheidung. Sollte das Gericht beide Anträge auf ein summarisches Urteil ablehnen, werde der Fall vor Gericht gehen, so Publishers Weekly.

Über

Antonia ist bereits seit Januar 2016 Autorin bei der Tarnkappe. Eingestiegen ist sie zunächst mit Buch-Rezensionen. Inzwischen schreibt sie bevorzugt über juristische Themen, wie P2P-Fälle, sie greift aber auch andere Netzthemen, wie Cybercrime, auf. Ihre Interessen beziehen sich hauptsächlich auf Literatur.