In der Nacht von Montag auf Dienstag einigten sich EU-Parlament und EU-Rat auf neue Transparenz- und Targeting-Regeln für politische Werbung.
Die neuen Targeting-Regeln für politische Werbung sollen im Wesentlichen im Jahr 2025 in Kraft treten.
Das Parlament konnte eine öffentlich zugängliche Sammlung politischer Werbung („Ad library“) durchsetzen. Jedoch bleiben gezielte politische Botschaften anhand der individuellen Vorlieben, Schwächen, Lebenssituation oder Persönlichkeit jedes Nutzers zulässig (sog. Überwachungswerbung).
Der EU-Abgeordnete und digitale Freiheitskämpfer der Piratenpartei Dr. Patrick Breyer, der die Verordnung für den Innenausschuss mit verhandelt hat, zieht Bilanz.
„Die Targeting-Regeln sind eine Farce. Die digitale Manipulation von Wahlen im Stil von Cambridge Analytica, gezielte Desinformation vor Volksabstimmungen wie dem Brexit, widersprüchliche Wahlversprechen an unterschiedliche Wählergruppen à la FDP – all das bleibt zulässig. Davon profitieren vor allem antidemokratische und antieuropäische Kräfte.
Werbung wird nach vorheriger Analyse der Nutzer ausgespielt
Sie können mithilfe von Überwachungswerbung weiterhin Hassbotschaften und Lügen gezielt bei denjenigen Wählerinnen und Wählern platzieren, die dafür empfänglich sind. Sie können so unsere Demokratie zersetzen. Hier haben sich kurzsichtige Eigeninteressen der Regierenden an Wahlwerbung und das überwachungskapitalistische Profitinteresse der Digitalindustrie zu einer für die Demokratie toxischen Mischung verbunden.“
Die vereinbarten Targeting-Regeln im Einzelnen:
Das bestehende Verbot im Digitale-Dienste-Gesetz (Digital Services Act), die politische Meinung des Nutzers, seine sexuelle Orientierung oder Gesundheit nicht für Werbezwecke analysieren zu dürfen, bleibt erhalten. In der Praxis wird politische Werbung aber eher an passenden Interessen und anderen Korrelationen ausgerichtet.
Auch Cambridge Analytica analysierte vor der Wahl von Trump zum US-Präsidenten nicht die politische Meinung. Sie analysierten die Persönlichkeit der Nutzer, was EU-weit weiterhin zulässig bleibt.
Die schon nach Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) erforderliche Einwilligung bleibt Voraussetzung dafür, politische Werbung an der individuellen Situation des Nutzers und seines Internet-Nutzungsverhaltens ausrichten zu dürfen. Überwachungsdaten von Drittanbietern dürfen die Firmen auch laut den neuen Targeting-Regeln nicht nutzen. Das Parlament konnte erstmals ein Verbot lästiger Einwilligungsbanner durchsetzen. Aber nur wenn der Nutzer per Browser-Voreinstellung („do not track“) personalisierte politische Werbung ablehnt.
Das Parlament erreichte zudem, dass man die Einwilligung in politische Überwachungswerbung nicht zur Bedingung für die Nutzung von Internetportalen machen darf („tracking walls“).
EU entscheidet sich gegen Cookie-Banner
„Jeder Nutzer wird sich für oder gegen politische Überwachungswerbung entscheiden können“, erklärt Patrick Breyer. „Im besten Fall haben wir mit der gestrigen Einigung das Anfang vom Ende lästiger Cookiebanner und unverschämter Zwangseinwilligungsanforderungen eingeläutet. Auf diesen Grundstein können wir in den ePrivacy-Verhandlungen aufbauen und diese Regeln auf sämtliche Banner ausweiten.
Im schlechtesten Fall werden die neuen Regeln durch suggestiv gestaltete Einwilligungsbanner und in AGB versteckte Einwilligungsklauseln ausgehebelt. Den Schutz demokratischer Wahlen auf die Entscheidung einzelner Internetnutzer abzuwälzen, ist ein gefährliches Versagen des Gesetzgebers, das von EU-Kommission und EU-Regierungen zu verantworten ist.“