Standortdaten
Standortdaten
Bildquelle: GeoJango Maps, Lizenz

Standortdaten von hochrangigen EU-Mitarbeitern gehandelt

Datenhändler verkaufen Standortdaten, auch von führenden EU-Mitarbeitern. Die Geheimdienste schätzen die Aussagekraft dieser Informationen.

Angeblich erhebt man die Handy-Standortdaten nur zu Werbezwecken. Doch mit den Daten kann man noch viel mehr anstellen. Denn damit kann man Millionen Menschen in der EU ausspionieren. Zwei neue Datensätze mit 278 Millionen Handy-Ortungen aus Belgien zeigen, wie leicht sich sogar das Spitzenpersonal der Europäischen Union in Brüssel ins Visier nehmen lässt. Die von Datenhändlern als kostenlose Vorschau zur Verfügung gestellten Daten beinhalten teils metergenaue Ortungen, mit denen man detaillierte Bewegungsprofile erstellen kann.

Damit kann man erfahren, wo sich eine Person zu einer fraglichen Uhrzeit aufgehalten hat. Und natürlich auch, wann sie ihre Position wieder verändert hat. Doch eigentlich ist es seit vielen Jahren bekannt, wie aussagekräftig die Standortdaten sind und mit wie wenig Aufwand man sie in Europa oder in den USA kaufen kann.

Standortdaten von leitenden Mitarbeitern des NATO-Hauptquartiers und der EU-Kommission ausgewertet

Ein Team von Journalisten bestehend aus netzpolitik.org, dem Bayerischem Rundfunk, Le Monde und weiteren internationalen Partnermedien (L’Echo, BNR) haben Millionen Handy-Ortungen aus Belgien ausgewertet. Allein im Berlaymont-Gebäude in Brüssel, wo die EU-Kommission ihren Hauptsitz hat, gab es rund 2.000 Standortdaten von 264 verschiedenen Geräten. Im NATO-Hauptquartier waren es 9.600 Handy-Ortungen von 543 unterschiedlichen Geräten.

Die Daten führten die Reporter zu den Privatadressen von fünf Menschen, die für die EU tätig sind oder waren. Darunter befinden sich drei Personen mit einer hohen Position. So etwa eine Person, die in einer Spitzenposition für die EU-Kommission arbeitet und ein hochrangiger Diplomat eines EU-Landes. Dazu kamen Angestellte von EU-Parlament und dem Europäischem Auswärtigen Dienst.

Straßenschild EU-Parlament

EU-Mitarbeiter müssen künftig jegliches Werbetracking ablehnen

Wir sind besorgt über den Handel mit Standortdaten von Bürgern und Angestellten der Kommission.“ Dies schrieb ein Sprecher der EU-Kommission zum aufgetauchten Datensatz. Als Reaktion habe die Europäische Kommission ihren Mitarbeitern neue Richtlinien für Werbe-Tracking auf dienstlich und privat genutzten Smartphones und Tablet-PCs vorgelegt. Außerdem informierte man Verantwortliche in anderen EU-Einrichtungen und auch die Mitgliedstaaten.

Auch aus dem EU-Parlament gab es überrascht klingende Reaktionen. „Angesichts der aktuellen geopolitischen Lage müssen wir diese Bedrohung sehr ernst nehmen und abstellen„, schrieb Axel Voss (CDU) von der konservativen Fraktion EVP. „Die EU sollte entschieden handeln.“ Es seien jetzt „strikte Beschränkungen für notwendig, insbesondere dort, wo Bewegungs- oder Verhaltensdaten Rückschlüsse auf sensible Bereiche zulassen.

Standortdaten sind weitaus mehr als nur ein Datenschutzproblem

Aus der sozialdemokratischen Fraktion S&D fordert die Abgeordnete Lina Gálvez Muñoz aus Spanien, die EU solle das Thema „als vorrangige Sicherheitsbedrohung behandeln“. Dies sei kein reines Datenschutzproblem. Die Abgeordnete Alexandra Geese aus Deutschland (Greens/EFA) fordert mit Blick auf die militärische Bedrohung durch Russland. „Europa muss die massenhafte Erstellung von Datenprofilen verbieten.

Geschäft, anomaly six, big data, browser add-ons
Standortdaten können viel über einen verraten. Foto ev, thx!

Bewegungsprofile sind sehr aufschlussreich

Diese ermöglichen es den Käufern der Daten, mit recht geringem Aufwand ein auf wenige Meter genaues Bewegungsprofil über viele Monate hinweg zu erstellen. Damit kann man regelmäßige oder unregelmäßige Bewegungen über lange Zeit hinweg feststellen. So etwa, wie oft ein Abgeordneter im Fitnesscenter oder Schwimmbad war. Oder wie oft er seine Eltern im Altenheim besucht hat. Noch spannender wäre es für die Geheimdienste anderer Länder zu erfahren, wo die Frau lebt, mit dem der hochrangige Abgeordnete ein Verhältnis pflegt. Oder etwas anderes, womit man die Person gezielt erpressen könnte.

Missbrauch der Werbe-Daten für Geheimdienste „nur logisch

In Helsinki erforschen Fachleute der Organisation Hybrid CoE im Auftrag von EU und NATO hybride Bedrohungen. Mit Blick auf den Handel mit Handy-Standortdaten schreibt Sprecherin Kiri Peres: „Mobile Standortdaten können von feindlichen Akteuren missbraucht werden„. Es sei nur logisch, wenn zum Beispiel China und Russland derartige Daten aus der Werbeindustrie einsetzen.

Die Recherche ist Teil der „Databroker Files“. Diese erstellt seit Sommer 2024 netzpolitik.org zusammen mit dem BR und internationalen Partnermedien. Die Recherchen hat man bereits mehrfach ausgezeichnet. Unter anderem mit dem Grimme Online Award, dem Datenschutz Medienpreis und dem European Press Prize. Alle Veröffentlichungen der Databroker Files findet man dort.

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Früher brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert. In seiner Freizeit geht er am liebsten mit seinem Hund spazieren.