BND darf Wohnungen betreten: Ein neuer Gesetzentwurf erlaubt dem BND heimliche Wohnungszugriffe, Bundestrojaner, Sabotage und Hackbacks.
Ein neuer Gesetzentwurf könnte den BND radikal umbauen. Der BND darf künftig Wohnungen betreten, Trojaner installieren und sabotieren. Ein Gesetzentwurf aus dem Kanzleramt verschiebt die Grenzen des Geheimdienstes drastisch. Aus dem Auslandsnachrichtendienst droht ein operativer Akteur mit weitreichenden Eingriffsbefugnissen zu werden.
Gemäß einem Gesetzentwurf aus dem Bundeskanzleramt, über den zunächst Süddeutsche Zeitung, WDR und NDR berichteten, soll der BND künftig heimlich, verdeckt und ohne Wissen der Betroffenen Wohnungen betreten können, inklusive der Installation von Bundestrojanern. Zudem erlaubt sollen Sabotageaktionen im Ausland und aktive Cyberangriffe sein. Der neue Entwurf aus dem Kanzleramt sorgt für massive Kritik und läutet einen sicherheitspolitischen Wendepunkt ein.
Neuer BND, neue Grenzen: Wie aus Spionen operative Akteure werden sollen
Bislang war der gesetzliche Auftrag des BND auf eine Informationsgewinnung im Ausland zur politischen Lagebewertung begrenzt. Mit dem neuen Gesetz soll diese Grenze fallen. Der Entwurf aus dem Kanzleramt sieht sogenannte „operative Anschlussmaßnahmen“ vor. Gemeint sind Sabotagehandlungen im Ausland, Cyberoperationen zur Schwächung gegnerischer Waffensysteme und aktive Gegenmaßnahmen bei Angriffen auf deutsche Ziele.
Der BND dürfte demnach künftig selbst tätig werden, wenn polizeiliche oder militärische Hilfe nicht rechtzeitig verfügbar ist oder Maßnahmen außerhalb Deutschlands stattfinden. Voraussetzung wäre eine vom Nationalen Sicherheitsrat ausgerufene „nachrichtendienstliche Sonderlage“, die eine systematische Gefährdung der Bundesrepublik beschreibt. Das Parlamentarische Kontrollgremium müsste dieser Einschätzung mit Zweidrittelmehrheit zustimmen. Ein formaler Schutzmechanismus, der Kritiker jedoch nicht beruhigt.
BND darf Wohnungen betreten: Der Bundestrojaner braucht Zugang
Kern der geplanten Reform ist eine neue Befugnis, die tief in die Privatsphäre eingreift. Der BND soll Wohnungen von Zielpersonen heimlich betreten dürfen, um dort Spionagesoftware direkt auf IT-Systemen zu installieren. Ziel ist es, technische Hürden wie Verschlüsselung, abgeschottete Endgeräte oder sichere Messenger zu umgehen. Der Bundestrojaner soll nicht mehr nur über Sicherheitslücken eingeschleust werden, sondern notfalls durch den physischen Zugriff der Agenten selbst.
Bislang war eine solche Maßnahme vor allem Polizei und Verfassungsschutz vorbehalten und selbst dort hoch umstritten. Nun soll auch der Auslandsgeheimdienst diese Befugnis erhalten. Offiziell ist der Anwendungsbereich auf das Ausland beschränkt, Kritiker warnen jedoch vor möglichen Auswirkungen auch für Deutsche, etwa bei Reisen oder Auslandsaufenthalten.
Vom Beobachter zum Akteur: Sabotage ausdrücklich erlaubt
Der Gesetzentwurf geht jedoch weit über Wohnungszugriffe hinaus. Erstmals soll der BND nicht mehr nur Informationen sammeln, sondern operativ handeln dürfen. Das Kanzleramt spricht von „operativen Anschlussmaßnahmen“. Ein Begriff, hinter dem sich auch Sabotage verbirgt. Der BND dürfte künftig gegnerische Streitkräfte schwächen, Waffensysteme manipulieren oder technische Infrastruktur unbrauchbar machen.
Genannt werden explizit heimliche Sabotagehandlungen im Ausland, um Bedrohungen für Deutschland oder seine Bündnispartner abzuwehren. Der deutsche Auslandsgeheimdienst würde damit offiziell Aufgaben übernehmen, die bislang eher militärischen Spezialkräften oder verbündeten Diensten zugeschrieben wurden.
Hackbacks und Cyberangriffe: Der BND schlägt zurück
Auch im digitalen Raum soll der BND deutlich offensiver auftreten dürfen. Bei Cyberangriffen auf deutsche Ziele wäre es dem Dienst künftig erlaubt, aktiv zurückzuschlagen. Dazu zählen Maßnahmen, die in der sicherheitspolitischen Debatte als Hackbacks bezeichnet werden wie Datenströme umzuleiten, fremde IT-Infrastruktur anzugreifen oder Kommunikationsnetze zu stören.
Kritiker warnen vor Eskalationsspiralen, weil sich Cyberangriffe oft nicht eindeutig zuordnen lassen. Ein Gegenschlag könnte Unbeteiligte treffen oder diplomatische Krisen auslösen. Trotzdem setzt das Kanzleramt offenbar darauf, den BND „handlungsfähig“ zu machen, auch um mit Partnerdiensten wie der NSA Schritt zu halten.
KI, Gesichtserkennung und längere Datenspeicherung
Flankiert werden diese Befugnisse durch eine massive Ausweitung der Datenverarbeitung. Der BND soll große Datenmengen künftig mit Künstlicher Intelligenz analysieren dürfen. Gesichtserkennungssoftware wird ausdrücklich erlaubt. Zudem soll der Dienst Standort- und Routendaten direkt bei Fahrzeugherstellern oder Werkstätten anfordern können.
Die Speicherfristen bestimmter Daten sollen von zehn auf fünfzehn Jahre verlängert werden. Begründet wird dies unter anderem mit der langfristigen Arbeitsweise russischer Geheimdienste. Selbst Daten von Minderjährigen sollen nicht mehr zwingend automatisiert gelöscht werden, etwa wenn sie auf Fotos in sozialen Netzwerken auftauchen, die für Ermittlungen relevant sind.
Straftaten als Teil der Geheimdienstarbeit
Zudem sollen menschliche Quellen des BND im Ausland bestimmte Straftaten begehen dürfen, wenn dies für ihre Tätigkeit erforderlich ist. Mit „menschlichen Quellen“ meint der BND sogenannte nachrichtendienstliche Verbindungen wie Informanten im Ausland, die dem Geheimdienst Informationen liefern. Dabei handelt es sich nicht um BND-Mitarbeiter, sondern um zivile oder militärische Akteure aus dem Zielumfeld, denen der Gesetzentwurf erstmals ausdrücklich erlaubt, bestimmte Straftaten zu begehen, sofern diese für ihre Quellentätigkeit erforderlich sind. Als Beispiel nennt die Gesetzesbegründung den Einbruch in ein Auto, um an Unterlagen zu gelangen. In Ausnahmefällen sollen sogar Jugendliche ab 16 Jahren als Quellen angeworben werden können. Zwar soll all dies rechtlich eingehegt werden, doch Kritiker sehen die Gefahr einer faktischen Straffreiheit im Namen der Sicherheit.
Kritik an der Reform kommt konkret von Menschenrechts- und Freiheitsorganisationen wie Reporter ohne Grenzen (RSF) und der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Diese Organisationen warnen, dass der Entwurf zu weitreichende Eingriffe in Grundrechte ermögliche, darunter heimliche Überwachung und Ausspähung. Ohne ausreichende verfassungskonforme Schutzmechanismen könnten diese Befugnisse nach Einschätzung der Kritiker zu einer faktisch weitgehenden Handlungsfreiheit des Nachrichtendienstes führen. Sie haben deshalb Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht.
Ein militärischer Geheimdienst per Gesetz?
Für zusätzlichen Zündstoff sorgt eine Formulierung gleich zu Beginn des Entwurfs. Der BND soll künftig als „ziviler und militärischer Auslandsnachrichtendienst“ definiert werden. Damit würde der Dienst erstmals ausdrücklich auch militärische Bezüge in seinem gesetzlichen Auftrag verankern. In sicherheitspolitischen Analysen wird dies als Hinweis auf eine mögliche stärkere strategische und operative Rolle des BND interpretiert. Beobachter sehen darin eine potenzielle Verschiebung der Aufgabenwahrnehmung über die klassische Informationsgewinnung hinaus, was langfristig Fragen nach der Abgrenzung zu militärischen Zuständigkeiten aufwirft. Die geplante Ausweitung der Befugnisse wird daher als sicherheitspolitische Neujustierung gewertet, bei der sich Entscheidungs- und Steuerungskompetenzen weiter im Bundeskanzleramt konzentrieren könnten.
BND darf Wohnungen betreten – und vieles mehr
Der Gesetzentwurf bedeutet einen tiefgreifenden Einschnitt. Dass der BND Wohnungen betreten darf, ist dabei nur der sichtbarste Teil einer umfassenden Neuausrichtung. Sabotage, Hackbacks, KI-Überwachung und heimliche Wohnungszugriffe verändern den Charakter des Dienstes grundlegend. Aus einem informationsbeschaffenden Nachrichtendienst wird ein operativer Akteur mit weitreichenden Eingriffsbefugnissen.
Ob diese Machtverschiebung Deutschland sicherer macht oder neue Risiken schafft, ist offen. Sicher ist jedoch, dass die Grenzen zwischen Geheimdienst, Polizei und Militär zunehmend verschwimmen. Das parlamentarische Verfahren dürfte entsprechend kontrovers verlaufen und die Debatte über Freiheit, Sicherheit und Kontrolle neu entfachen.


















