Überwachung dort, wo Privatheit beginnen sollte: im eigenen Zuhause.
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Bildquelle: ChatGPT

Polizeigesetz Berlin: Heimliche Wohnungseinbrüche und KI-Überwachung werden legal

Berlin verabschiedet ein Polizeigesetz: Staatstrojaner, heimliche Wohnungsbetritte, KI-Überwachung, Gesichtserkennung und Funkzellenabfragen.

Berlin hat ein neues Polizeigesetz beschlossen und mit ihm eine Überwachungsarchitektur, die noch bis vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Staatstrojaner, heimliche Wohnungsbetretungen, Verhaltensscanner, Gesichtserkennung und KI-Training mit echten Polizeidaten. Die Hauptstadt baut ihr Sicherheitsrecht radikal um. Kritiker sprechen von einem Dammbruch in Richtung Überwachungsstaat. Wir zeigen, welche weitreichenden Änderungen die Novelle des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) mit sich bringt.

Polizeigesetz Berlin: Polizei erhält Zugriff auf nahezu alle digitalen Ebenen

Die Berliner Politik hat entschieden, dass Sicherheit künftig vor Freiheit geht. Mit der neuen Novelle des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) verabschiedet die schwarz-rote Koalition eines der weitreichendsten Polizeigesetze Deutschlands. Die Hauptstadt wird damit zum Experimentierfeld für digitale Polizeitools, die tief in das Privatleben der Bürger eingreifen und wirft damit seine freiheitliche Tradition über Bord.

Die Novelle kombiniert digitale Überwachung mit physischen Eingriffen und überschreitet damit bisherige rote Linien der Hauptstadtpolitik.

Heimliche Wohnungsbetritte für Staatstrojaner

Der wohl drastischste Punkt der Reform findet sich in den neu gefassten Paragrafen 26a und 26b mit der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) und der heimlichen Online-Durchsuchung. Die Berliner Polizei darf künftig heimlich Wohnungen betreten, um dort Staatstrojaner auf Geräten zu installieren. Was in Mecklenburg-Vorpommern bereits gängige Praxis ist, wird nun auch in Berlin gesetzlich verankert. Die Polizei darf künftig verdeckt in private Räume eindringen, Wohnungen ohne Wissen der Betroffenen durchsuchen und auf diesem Weg Schadsoftware direkt auf Geräten wie Smartphones oder Laptops installieren, wenn eine Online-Infektion technisch nicht möglich ist.

Polizeigesetz Berlin: Heimliche Wohnungseinbrüche und KI-Überwachung werden legal
Polizeigesetz Berlin: Heimliche Wohnungseinbrüche und KI-Überwachung werden legal

Juristen und IT-Sicherheitsforscher warnen eindringlich, dass der Einsatz von Staatstrojanern zwangsläufig das Offenhalten von Sicherheitslücken bedeutet und damit ein dauerhaftes Risiko für die gesamte Bevölkerung schafft, nicht nur für die eigentlich Verdächtigen. Zugleich verweisen Kritiker darauf, dass die Kombination aus heimlicher Wohnungsbetretung und digitaler Ausforschung einen potenziellen Verfassungsbruch darstellt, weil sie den Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt und die Unverletzlichkeit der Wohnung faktisch aushebelt. .

Bodycams in Wohnzimmern

Was bislang auf den öffentlichen Raum beschränkt war, gilt jetzt auch in privaten Wohnungen. Polizisten dürfen Bodycams aktivieren, wenn sie eine Gefahr für Leib oder Leben annehmen. Kritiker fürchten eine schleichende Normalisierung audiovisueller Überwachung im intimsten Rückzugsort der Bürger, der eigenen Wohnung. Faktisch entsteht eine neue Grauzone, in der der Staat im Zweifel einfach „mitfilmt“.

KI-Kameras, Drohnen und Verhaltensscanner: Der öffentliche Raum wird zum Sensorennetz

Die Hauptstadt verabschiedet sich im Berliner Polizeigesetz endgültig vom Grundsatz, dass die Polizei den öffentlichen Raum nicht flächendeckend überwachen darf. Neu sind unter anderem KI-gestützte Kameras, die automatisiert Verhaltensmuster erkennen sollen, sowie Verhaltensscanner, die sich an experimentellen Pilotprojekten in Mannheim und Hamburg orientieren. Hinzu kommt die nun explizit erlaubte Videoüberwachung per Drohne, die der Polizei einen zusätzlich schwer kontrollierbaren Blick aus der Luft verschafft. Außerdem erhält die Polizei die Befugnis, erkannte Gesichter automatisiert im Internet wiederzufinden, indem Bildmaterial aus der Überwachung mit öffentlich zugänglichen Online-Profilen abgeglichen wird.

Der Görlitzer Park wird voraussichtlich als erstes Gebiet mit diesem Überwachungspaket ausgestattet. Wer dort jemandem etwas übergibt, könnte schnell in polizeiliche Raster geraten. Das Freiheitsgefühl, für das Berlin einst stand, bekommt hier bereits sichtbare Risse.

Gesichts- und Stimmerkennung: Der Staat sucht in sozialen Netzwerken nach „Treffern“

Der neue §28a ASOG erlaubt der Polizei, biometrische Daten aus der Videoüberwachung mit öffentlich zugänglichen Bildern und Accounts im Netz abzugleichen.

Das bedeutet, dass Personen künftig automatisiert per Gesichtserkennung identifiziert, ihre Bilder mit Profilen in sozialen Netzwerken abgeglichen und ihre Kontakte sowie mutmaßlichen Verhaltensmuster analysiert werden können. Dafür muss eine Person nicht einmal selbst strafverdächtig sein. Es reicht bereits aus, mit jemandem in Verbindung zu stehen, der ins Visier der Ermittler geraten ist.

Big-Data-Analysen & KI-Training: Polizei darf echte Ermittlungsdaten für KI nutzen

Mit §42d ASOG schafft Berlin eine bundesweit bislang einzigartige Grundlage. Echte Polizeidaten, darunter Fotos, Videos, Textnachrichten und andere personenbezogene Informationen aus Ermittlungsverfahren, dürfen künftig für das Training und Testen von KI-Systemen verwendet werden. Damit öffnet der Gesetzgeber die Tür für eine algorithmische Auswertung riesiger Datensätze, den Einsatz Palantir-ähnlicher Analyseplattformen und die sehr reale Möglichkeit, dass KI-Modelle später Rückschlüsse auf einzelne Personen oder sensible Zusammenhänge zulassen. Datenschützer warnen, dass die ursprünglich erhobenen Daten damit einer völlig neuen Verwendung zugeführt werden, die die Zweckbindung massiv überdehnt. De facto entsteht ein „Superdatensilo“ und das ohne wirksame externe Kontrolle.

Funkzellenabfragen, Kennzeichenscanner & Drohnenabwehr: Das volle Überwachungspaket

Weitere Neuerungen betreffen klassische Überwachungsinstrumente, die nun deutlich ausgeweitet werden. So kann die Polizei künftig im überarbeiteten Polizeigesetz Berlin Funkzellenabfragen in wesentlich größerem Umfang durchführen, wodurch sich die Bewegungsprofile Tausender unbeteiligter Menschen rekonstruieren lassen, allein aufgrund ihrer Anwesenheit in einer bestimmten Funkzelle. Ebenfalls neu ist das automatische Kennzeichen-Scanning, das eine nahezu lückenlose Echtzeitüberwachung des Straßenverkehrs ermöglicht. Ergänzt wird das Paket durch Maßnahmen gegen unbemannte Fluggeräte, einschließlich der Befugnis, Drohnen technisch zu übernehmen oder auszuschalten.

Hinzu kommt eine deutliche Verschärfung im Bereich des Freiheitsentzugs. Der präventive Gewahrsam wird von bisher 48 Stunden auf bis zu fünf Tage verlängert. In Fällen mutmaßlicher terroristischer Bedrohung sogar auf bis zu sieben Tage. Damit verschiebt sich die Eingriffsschwelle spürbar zulasten der Betroffenen.

Polizeigesetz Berlin: Kritik von allen Seiten und wohl ein Fall für das Bundesverfassungsgericht

Das IT-Fachportal heise online berichtet, reagierte die Opposition mit deutlicher Empörung auf das Polizeigesetz Berlin und wirft der schwarz-roten Koalition vor, Grundrechte ohne Not zu opfern. Niklas Schrader (Die Linke) sprach in der Plenardebatte von einem „schwarzen Tag für die Bürgerrechte“, während Vasili Franco (Grüne) die Novelle als verfassungsrechtlich hochriskant einstuft. Aber auch außerhalb des Parlaments formiert sich Widerstand. Das Bündnis NoASOG bewertet die Reform als Angriff auf die Zivilgesellschaft. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat bereits angekündigt, eine Verfassungsbeschwerde zu prüfen.

Der zentrale Vorwurf lautet, dass Berlin mit diesem Gesetz einen Kurs einschlägt, der unmittelbar in Richtung eines präventiven Überwachungsstaates weist. Kritiker sehen darin eine gefährliche Verschiebung der politischen Grundlinie: weg von einer freiheitlich geprägten Sicherheitskultur und hin zu einer Ordnung, in der man staatliche Eingriffe radikal ausweitet und die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zunehmend aus dem Gleichgewicht gerät.

Polizeigesetz Berlin: Die Hauptstadt stellt die Weichen neu zulasten bisheriger Freiheitsrechte

Was Berlin mit dieser Reform beschlossen hat, ist weit mehr als ein bloßes Update des Polizeigesetzes. Das ASOG schafft damit eine der umfassendsten Überwachungsarchitekturen in Deutschland und eröffnet der Polizei Möglichkeiten für tiefgreifende digitale wie physische Eingriffe, die weit über bisherige Standards hinausgehen. Zugleich entsteht eine enge Verzahnung von Polizeiarbeit, Künstlicher Intelligenz und Big-Data-Analytik, deren langfristige Auswirkungen auf Grundrechte, Fehlerrisiken und das demokratische Gleichgewicht heute kaum abzuschätzen sind.

Über

Antonia ist bereits seit Januar 2016 Autorin bei der Tarnkappe. Eingestiegen ist sie zunächst mit Buch-Rezensionen. Inzwischen schreibt sie bevorzugt über juristische Themen, wie P2P-Fälle, sie greift aber auch andere Netzthemen, wie Cybercrime, auf. Ihre Interessen beziehen sich hauptsächlich auf Literatur.