Proton verlässt die Schweiz: CEO Andy Yen rechnet mit der VÜPF ab und warnt vor Massenüberwachung und Hintertüren.
Proton verlässt die Schweiz, vorerst auf infrastruktureller Ebene. Aus Protest gegen neue Überwachungspläne zieht der verschlüsselte Mail- und VPN-Anbieter seine Server ab. CEO Andy Yen sieht Grundrechte in Gefahr und warnt vor einem digitalen Polizeistaat.
Für CEO Andy Yen ist das Verlassen der Schweiz eine Konsequenz aus der politischen Entwicklung. Das einstige Vorzeigeland für Datenschutz und Rechtsstaatlichkeit drohe, so Yen, seine eigenen Grundwerte preiszugeben. Auslöser ist die geplante Revision der Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (VÜPF), die aus Sicht des Unternehmens den staatlichen Zugriff auf Nutzerdaten massiv ausweitet. Gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung führte er in einem aktuellen Interview aus:
„Wer Gesetzgebung der Polizei überlässt, sollte sich nicht wundern, wenn er eines Tages in einem Polizeistaat aufwacht.“
Auslöser für Protons Schweiz-Exit
Konkret geht es um die Absicht des Bundesrats, die Überwachungspflichten für digitale Kommunikationsdienste massiv auszuweiten. Proton, bekannt für Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und Zero-Access-Architektur, müsste nach den aktuellen Plänen Nutzer identifizieren, Metadaten sammeln und diese für Monate speichern. Zusätzlich soll ein technisches Zugriffsportal entstehen, das den Behörden einen stark vereinfachten und standardisierten Zugriff auf gespeicherte Nutzerdaten ermöglichen würde.
Während klassische Telekommunikationsanbieter diese Pflicht bereits kennen, würden nun auch sogenannte Anbieter abgeleiteter Kommunikationsdienste (AAKD) wie Proton oder Threema stärker in die Pflicht genommen. Proton befürchtet, faktisch wie ein Telekomkonzern behandelt zu werden, inklusive Vorratsdatenspeicherung und automatisierten Zugriffsportalen für Behörden.
Für Yen wäre das keine gezielte Strafverfolgung mehr, sondern anlasslose Massenüberwachung, die mit demokratischen Grundprinzipien unvereinbar sei. Der Staat bekäme potenziell Zugriff auf Daten aller Nutzer, unabhängig davon, ob ein Verdacht besteht oder nicht.
Proton verlässt die Schweiz: Server-Exodus als politisches Signal
Proton hat begonnen, seine Infrastruktur aus der Schweiz zu verlagern. Server werden parallel in Deutschland und Norwegen betrieben, Systeme gespiegelt, der Ernstfall vorbereitet. Sollte die VÜPF in der geplanten Form in Kraft treten, könnte Proton die Schweizer Server kurzfristig abschalten. Auch personell zieht das Unternehmen Konsequenzen und baut Stellen ausserhalb der Schweiz auf.
Dass Proton diesen Schritt überhaupt in Erwägung zieht, ist bemerkenswert. Das Unternehmen wurde in der Schweiz gegründet, aus dem Umfeld des CERN heraus und blieb jahrelang bewusst hier wegen des starken Rechtsstaats und der hohen Datenschutzstandards. Genau diese sieht Yen nun gefährdet.
Metadaten sind keine Nebensache
Immer wieder betont der Bundesrat, es gehe nur um Metadaten, nicht um Inhalte. Doch diese Argumentation greift aus Sicht von Proton zu kurz. Metadaten zeigen, wer wann mit wem kommuniziert, von wo aus und in welchen Mustern. Sie erlauben tiefgehende Rückschlüsse auf soziale Netzwerke, politische Aktivitäten und persönliche Lebensumstände.
Yen erinnert in diesem Zusammenhang an ein berüchtigtes Zitat des ehemaligen NSA-Chefs Michael Hayden: „We kill people based on metadata.“ Wer Metadaten sammelt, sammelt Macht, auch ohne Inhalte zu lesen.
Demokratie per Verordnung?
Auffällig ist der politische Weg, den der Bundesrat eingeschlagen hat. Nachdem die Behörden vor dem Bundesverwaltungsgericht daran scheiterten, Proton zu weitergehender Vorratsdatenspeicherung zu verpflichten, versucht man nun, zentrale Überwachungsfragen per Verordnung zu regeln, ohne Referendum, ohne echte demokratische Kontrolle. Der Schritt hätte zur Folge, dass weitreichende Grundrechtseingriffe per Verordnung statt per Gesetz festgelegt würden, was den gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum faktisch von Parlament und Bevölkerung hin zur Exekutive verlagern würde und damit unter geringerer demokratischer Kontrolle und Mitwirkung stünde, als sie für Eingriffe in Grundrechte eigentlich vorgesehen sind. Fast alle großen Parteien kritisieren dieses Vorgehen und halten die Revision für unverhältnismäßig.
Für Yen ist das ein gefährlicher Präzedenzfall. Gesetzgebung dürfe nicht allein von Strafverfolgungsinteressen geprägt werden. Wenn Polizei und Staatsanwaltschaft faktisch bestimmen, wie viel Überwachung eine Gesellschaft akzeptiert, gerate das Machtgleichgewicht aus dem Lot.
Hinzu kommt ein massives Standortproblem. Während Schweizer Anbieter wie Proton oder Threema strengeren Pflichten unterworfen würden, bleiben US-Konzerne wie Google oder Apple weitgehend verschont, obwohl sie in der Schweiz aktiv sind und ungleich mehr Daten sammeln. Infolge werden Schweizer Unternehmen benachteiligt, während ausländische Tech-Giganten profitieren. Für Yen ist das absurd. Die Schweiz erhöhe die Hürden für ihre eigenen Firmen und schwäche damit gezielt den heimischen Tech-Standort.
Kooperation ja – Generalverdacht nein
Proton betont, seit Jahren mit Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren, wenn es um schwere Straftaten geht. Rund zehn Prozent der Belegschaft arbeiten an der Bekämpfung krimineller Nutzung. Gerichtliche Anordnungen werden befolgt, IP-Adressen herausgegeben, sofern rechtlich zulässig.
Was Proton ablehnt, ist die pauschale Überwachung aller Nutzer. In einer Demokratie, so Yen, werde man nicht hundert Menschen einsperren, nur weil einer davon straffällig ist.
Ein Prüfstein für den Rechtsstaat
Dass Proton die Schweiz verlässt, zumindest infrastrukturell, ist damit mehr als eine Unternehmensentscheidung. Es ist ein Warnsignal. Wenn selbst ein Schweizer Datenschutz-Vorzeigeunternehmen dem eigenen Rechtsrahmen nicht mehr traut, sollte das politische Alarmglocken auslösen.
Die Frage lautet, ob der Staat zum Zweck der Verbrechensbekämpfung Grundrechte opfern darf. Proton hat seine Antwort gegeben. Mit seinem Server-Exodus sendet das Unternehmen eine klare Botschaft: Kollektive Überwachung ist kein legitimes Mittel, um individuelle Straftaten zu bekämpfen. Bereits Benjamin Franklin warnte:
„Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.“


















