Die Vorwürfe gegen das Nachrichtenportal Linksunten sind verjährt. An der Verschlüsselung von Datenträgern scheiterten die Ermittler.
2017 wurde das linke Nachrichtenportal linksunten.indymedia verboten, seine Medien in einer rechtswidrigen Razzia beschlagnahmt. Seitdem versuchten Ermittler, die Festplatten zu entschlüsseln. Mangels Erfolg hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt – nach fünf Jahren.
So gehen Ermittler bei verschlüsselten Medien vor
Nach einer Beschlagnahmung im Rahmen einer (Haus-)Durchsuchung erstellen IT-Forensiker eine bitweise Kopie aller Datenträger. So erhalten sie ein 1:1-Abbild aller Daten und Metadaten. Die Datenträger selbst landen in der Asservatenkammer und gehen nach Einstellung oder Ende eines Verfahrens an den Beschuldigten zurück. Im Fall Linksunten händigte die Staatsanwaltschaft die Geräte nach zwei Jahren wieder aus. IT-Forensiker arbeiten nur mit den Kopien in Verbindung mit Write-Blockern, um die Daten nicht zu verändern. So können sie Beweise liefern, die vor Gericht Manipulationsvorwürfen standhalten. Offenbar haben sie fünf Jahre lang versucht, den Linksunten-Datenschatz auszuheben – ohne Erfolg. Eine ganze LKA-Task Force aus Baden-Württemberg und das Bundesamt für Verfassungsschutz haben sich daran die Zähne ausgebissen. Ob dabei auch die für Kryptoanalyse zuständige Behörde ZITiS involviert war, ist genauso unbekannt wie der bei Linksunten verwendete Verschlüsselungsalgorithmus.
Allen, die sich um die Sicherheit ihrer Daten sorgen, empfehlen wir starke Verschlüsselungen wie PGP, statt sich auf integrierte Angebote der Festplattenhersteller zu verlassen – Backdoors der Strafverfolgungsbehörden sind da zwar nicht bekannt, aber auch nicht auszuschließen.
Sicher ist nur: Die Ermittlungsbehörden sitzen auf einem gigantischen Datenberg und setzen vieles daran, diesen abzuarbeiten. Die ZITis baute einen Hochleistungsrechner, ein Quantencomputer steht auf der Wunschliste, aber die Technologie ist noch nicht marktreif. Die Kompetenzen der Polizei, Daten zu entschlüsseln, wurden ausgebaut. Was sie anders nicht knacken können, geben Staatsanwaltschaften an externe Dienstleister. Grenzen dürften da nur die Verfolgungsverjährung bei Straftaten setzen. Wie im Fall Linksunten – nach fünf Jahren musste also die Ermittlung eingestellt sein.
Soweit die Neuigkeiten – das ganze Ermittlungsverfahren ist aber so fragwürdig, dass ich genauer hinschauen möchte. 2017 war kein gutes Jahr für Meinungsfreiheit und Grundrechte. Wie ist das Linksunten-Verbot einzuordnen? Werfen wir einen Blick zurück.
Was war Linksunten?
Linksunten war bis zu seinem Verbot regionaler Ableger des linken Indymedia-Projekts mit Schwerpunkt auf den Südwesten Deutschlands. Gegründet wurde Linksunten zur Vorbereitung des Protests gegen den NATO-Gipfel in Straßburg 2008. Als weiteren, älteren Ableger gibt es noch das deutschsprachige de.indymedia.org, das trotz weitgehender inhaltlicher Überschneidung bis heute legal ist. Durch die bessere Moderation war Linksunten aber populärer und hatte überregionale Verbreitung.
Die Wurzeln von Indymedia
Hacker und Medienaktivisten gründeten Indymedia 1999 anlässlich des Gipfels der Welthandelsorganisation in Seattle. Der Protest gegen den Gipfel und das Vorgehen der Polizei glichen in ihrer Intensität und Verlauf dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg: In Seattle marschierte am Ende die Nationalgarde auf, in Hamburg die BFE+, eine Polizeieinheit, die eigentlich Kalaschnikow-schwingende Islamisten bei Terroranschlägen zur Strecke bringen soll. Die Aktivisten warfen schon vor dem „Battle of Seattle“ etablierten Medien vor, teilweise tendenziös oder einseitig zu berichten oder durch Falschmeldungen Polizeigewalt zu rechtfertigen.
Zur Herstellung einer „Gegenöffentlichkeit“ hat Indymedia den Anspruch, die Nachrichten und Inhalte zu bringen, die etablierten Medien keine Meldung wert seien. Dutzende linke Netzwerke auf der ganzen Welt nutzen Indymedia, Ableger gibt es vor allem in Europa und den USA, aber auch im globalen Süden. Pressemitteilungen von aktivistischen Gruppen machen einen hohen Anteil des Indymedia-Inhalts aus. Darum ist das Linksunten-Verbot auch ein Akt der Pressezensur.
Damit die Veröffentlichung allen Menschen zugänglich ist, gibt es bei vielen Ablegern der Indymedia keine Freischaltung der Beiträge. Metadaten speichern sie nicht. Als Sprachrohr verwenden viele linke Gruppen heutzutage Blogs oder andere soziale Medien wie Twitter und Instagram. Aber die technischen Hürden zur eigenen Webseite waren 1999 höher, das Internet für breite Massen Neuland.
Diese Inhalte fanden sich auf Linksunten
Durch das Open Posting gab es nicht nur bei Linksunten, sondern auch auf anderen Indymedia-Seiten immer wieder Spam-Einträge und Flame Wars zwischen Linken und Rechtsradikalen. Nach politisch motivierten Sachbeschädigungen fanden sich dort auch Bekennerschreiben, und Daten von Nazis wurden gedoxxt.
Zuletzt machte Indymedia von sich reden, als vertrauliche Informationen zum G7-Gipfel in Elmau auftauchten. Das Nutzer- und Themenspektrum von Linksunten war aber breiter: Es fanden sich theoretische Texte über Feminismus ebenso wie vegane Kochrezepte, Kongressberichte und Anleitungen zu zivilem Ungehorsamen, wie sie „auf der Straße“ bei Protesten Anwendung finden. Die meisten Postings dürften nicht jedem Leser politisch gefallen, schon gar nicht, wenn dieser in Diensten des Staates steht. Das macht die Inhalte aber noch nicht illegal.
Medien zu moderieren, ist schwierig
Zehn-, wenn nicht hunderttausende Einträge aus über acht Jahren zählt das immer noch einsehbare Archiv, das den Stand vom Tag des Verbots wiedergibt. Bei der Masse an Einträgen ist es möglich, dass die ehrenamtliche Moderation nicht immer hinterherkam und ihr mancher Eintrag durch die Lappen ging. Strafbare Inhalte sind von juristischen Laien häufig auch nicht zu erkennen. Das Problem haben aber zahlreiche Webseiten, die trotzdem nicht verboten sind.
Selbst das NetzDG-Gesetz macht Vorschriften, die quasi nur von geschulten Inhaltsprüfern in Vollzeit eingehalten werden können – und da das Gesetz auch erst ab 2 Millionen Nutzern Anwendung findet, richtet es sich auch nur an die großen Platzhirsche wie Facebook, Twitter und YouTube. Erlassen wurde das Gesetz eine Woche nach dem Linksunten-Verbot. Zensoren hätten auch vor dem NetzDG-Gesetz Möglichkeiten gehabt, Inhalte löschen zu lassen – jeden Beitrag bei Linksunten konnte man melden. Offenbar hielt man es auf Behördenseite nie für nötig, das auch zu tun.
War das Linksunten-Verbot ein politisches Manöver?
Der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) begründete das Verbot von Linksunten explizit damit, dass dort zu Gewalt beim G20-Gipfel 2017 aufgerufen worden sei. Beweise blieb er schuldig. Als Sprachrohr der linksradikalen Szene riefen Gruppen in der Tat dazu auf, sich an den Gipfelprotesten zu beteiligen. Das allein ist noch kein Gewaltaufruf – ob Gewalt angemessen sei, darüber scheiden sich auch im Schwarzen Block die Geister. Da aber Beiträge anonym und ohne Freischaltung durch die Moderation veröffentlicht werden konnten, lässt sich nicht nachvollziehen, wer vermeintliche Aufrufe zur Gewalt verfasst haben könnte.
Auf jeden Fall hatte ein Verbot einen Monat vor der Bundestagswahl 2017, wie man im linksunten von Deutschland sagen würde, ein Geschmäckle. Denn die Stimmung im Land war gekippt: Die Flüchtlingskrise 2015/2016 polarisierte die Gemüter, die AfD war im Aufwind. Die CDU saß nicht mehr so fest im Sattel wie vier Jahre zuvor, lag im Frühjahr 2017 sogar gleichauf mit der SPD. Deren Vorsprung war im Sommer 2017 aber auch wieder passé. Wahlwerbung durch Law&Order-Politik wäre eigentlich nicht nötig gewesen.
Welche Rolle spielte der Innenminister?
De Maiziere hat sich mehrfach durch eine unrühmliche Rolle ausgezeichnet: Seit 2008 wusste er vom globalen Lauschangriff der NSA, den Edward Snowden 2013 aufdeckte. Da er den Bundestag darüber belogen haben könnte, stand er unter heftiger Kritik, und seine politische Karriere geriet ins Wanken. Auch andere Skandale haben ihn ins schlechte Licht gerückt. Da war etwa seine Rechtfertigung der Polizeigewalt gegenüber Flüchtlingen bei einem rassistischen Vorfall 2016. Oder der Vorwurf, dass er Informationen des militärischen Geheimdiensts über den NSU-Terroristen Uwe Mundlos dem NSU-Untersuchungsausschuss unterschlagen habe.
Als Innenminister arbeitete de Maiziere erfolgreich daran, die Überwachungspraktiken des NSA durch deutsche Behörden zu ermöglichen und im Nachhinein zu legalisieren. Das Ergebnis ist beispielsweise das BND-Gesetz, das die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung aushebelt. Er wollte die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen und die Trennung von Polizeien und Geheimdiensten aufheben. Auch die Online-Durchsuchung (im Volksmund „Staatstrojaner“) wurde unter Thomas de Maiziere in einer geheimen Sitzung durchs Parlament geboxt. Rechtskräftig wurde das Gesetz zur Online-Durchsuchung einen Tag vor dem Linksunten-Verbot.
Massive Überwachung aufgrund Linksunten-Verbot möglich
Die Rechtsauffassung der Strafverfolgungsbehörden beim Linksunten-Verbot grenzt an Rechtsbeugung: Die Staatsanwaltschaft konstruierte einen Verein, der nicht existierte, um ihn dann als „kriminelle Vereinigung“ verbieten zu können. Bis heute ist unklar, ob die Beschuldigten überhaupt eine Verbindung zu Linksunten hatten, sie beispielsweise Admins oder Mods waren. Eine Verfassungsklage gegen dieses Vorgehen ist anhängig, die Tarnkappe hält euch auf dem Laufenden.
Der das Verbot begründende Paragraf (129 StGB) findet Anwendung, wenn einem Beschuldigten keine andere Straftat vorgeworfen werden kann, und gilt deshalb als „Gesinnungsparagraf“. Dieser rechtfertigt nach der Strafprozessordnung auch umfassende Grundrechtsverletzungen nicht nur gegen die Beschuldigten, sondern auch gegen deren Bekanntenkreis. Er ermöglicht beispielsweise das Abhören von Telefonaten, das Mitlesen des Internetverkehrs, das Abfangen und Lesen von Post und die Verwanzung von Wohnung und Arbeitsplatz. Deshalb werfen Linke der Staatsanwaltschaft vor, das Verbot von Linksunten sei ein Konstrukt, um die linke Szene insgesamt auszuforschen.
Offenbar standen die Behörden nach G20 unter massivem Ermittlungsdruck. Gleichzeitig ist die Rolle des Verfassungsschutzes noch nicht voll aufgeklärt. Die angeblichen Beweise, die Grundlage zum Linksunten-Verbot und der Hausdurchsuchung waren, unterliegen der Geheimhaltung – falls es sie überhaupt gibt. Sicher hat die Behörde noch ein paar Akten darüber. Bleibt die Frage, was mit ihnen geschieht? Die Tarnkappe vermutet: Ein Teil der Antwort könnte die Bevölkerung verunsichern.