Was steckt eigentlich hinter dem viel diskutierten Freihandelsabkommen TTIP? Wir haben uns die geleakten Unterlagen einmal genauer angeschaut.
Was steckt eigentlich hinter dem viel diskutierten Freihandelsabkommen TTIP, welches die wirtschaftlichen Abläufe in Europa und den USA stark beeinflussen soll? Wir haben uns die bisher an die Öffentlichkeit gebrachten Unterlagen einmal genauer angeschaut. Der erste Beitrag unseres neuen Autors Mario.
An dieser Stelle wollen wir das geplante Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) (Freihandelsabkommen zwischen USA und der EU) beleuchten, welches die Vertragspartner in naher Zukunft unterzeichnen wollen.
Das TTIP umfasst mehr als 1.600 Seiten. Jeden einzelnen Punkt zu behandeln, würde den Rahmen der Tarnkappe komplett sprengen. Daher hier nur der Bezug zu den wichtigsten Punkten, die so interessant wie erschreckend erscheinen.
Lebensmittelvorschriften
Wir haben in Deutschland sehr strenge Lebensmittelvorschriften. Vieles was in den USA erlaubt ist, ist hier bei uns verboten. Und das aus gutem Grund. In den USA wird das Geflügel beispielsweise mit Chlor desinfiziert. Das ist definitiv nicht gesund und bei uns nicht denkbar! Mit Inkrafttreten des Abkommens soll dies auch hierzulande erlaubt sein. Beim Entwurf dieses Punktes dürfte die reine Gewinnmaximierung eine entscheidende Rolle gespielt haben. Daneben sollen Stoffe wie N-Propylbromid künftig hierzulande legal sein. Auch der Vertrieb diverser genmanipulierter Nahrungsstoffe soll durch das Abkommen legalisiert werden.
In den Ländern der EU und vor allem in Deutschland existieren strenge Vorschriften für Gefahrenstoffe, Verbraucherschutz, Umweltschutz, Lohn/Gehalt, Arbeitszeitregelungen, Gesundheit, Waffengesetze, Datenschutz, Meinungsfreiheit und vieles mehr! Das TTIP würde all diese Teilbereiche betreffen und negativ beeinflussen. Hier folgen ein paar Beispiele von vielen:
Datenschutz
Zwar will die EU den Datenschutz noch weiter verhandeln. Es ist aber zweifelhaft, ob dies etwas am Vertragswerk ändern wird. Geplant ist beispielsweise die Übermittlung der europäischen Zahlungsdaten (Überweisungen, Daueraufträge etc.) an die USA. Wer Geld an kritische US-amerikanische Bürgerrechtsorganisationen spendet, könnte schon bald auf der No-Fly-Liste landen, was ein Einreiseverbot in den Vereinigten Staaten nach sich ziehen könnte. Geplant ist also nicht weniger als die komplette Durchleuchtung aller Bürger der EU.
TTIP: Entwurf steckt voller Schlupflöcher
Laut dem aktuellen Entwurf sollen zahlreiche europäische Einschränkungen für den Handel mit Daten in die USA aufgehoben werden. Auch sonst steckt der Entwurf voller Schlupflöcher, der sich die US-Konzerne bedienen könnten. Eine Einholung der Erlaubnis zur Verarbeitung von sensiblen Daten aus Europa wäre auch nicht mehr nötig. Den Mitgliedsstaaten kann nach einem derartigen Modell sogar untersagt werden, Unternehmen dazu zu verpflichten, sensible Daten auf europäischen Servern zu speichern. Das könnte sogar Vorratsdaten aus EU-Staaten betreffen.
Regierungen, die fordern, dass sensible Daten innerhalb der EU verarbeitet werden, würden dann Schadenersatzklagen in Millionenhöhe riskieren. Ein geleakter Entwurf des TTIP Abkommens sieht zwar vor, dass Ausnahmen beim „Datenfreihandel“ gemacht werden dürfen. Wie man die schwammigen Formulierungen im Streitfall auslegen, bleibt aber vorerst unklar. Beispiele, bei denen Unternehmen aufgrund von Freihandelsabkommen gegen Verbraucherschutz und Umweltschutz ins Feld gezogen sind, gibt es genug:
Vattenfall klagt auf Schadensersatz gegen den Atomausstieg, der Tabakkonzern Philip Morris fordert von Uruguay eine Milliardenentschädigung für Gesundheitshinweise auf Zigaretten und ein Rohstoffkonzern verklagt Kanada für ein Fracking-Verbot, etc. pp.
Im TTIP-Entwurf ist ausdrücklich von Webhosting, Datenverarbeitung und -speicherung, Data Mining und räumlich verteilten Rechenoperationen die Rede. Es droht ein Freifahrtsschein für jede Datenweitergabe und -Analyse. Dabei fordert man lediglich einen „angemessenen Datenschutzstandard“. Es ist absehbar, dass vor Schiedsgerichten mit Unternehmensbeteiligung, die „Angemessenheit“ anders ausgelegt wird, als von deutschen Gerichten oder von Verbraucherschützern.
Urheberrecht
Kommen wir zum letzten, und für die meisten Szene-Leute wohl den wichtigsten Punkt, Urheberrecht. Neue Maßnahmen gegen Urheberrechtsverletzer sollen durchgesetzt werden. Den Rechteinhabern geht es vor allem um die Vermeidung von Piraterie. Die Stellung der Urheber (Musiker, Fotografen etc.) und der Nutzer wird in den Verhandlungen traditionell nachrangig behandelt- auch bei TTIP. Kritische Stimmen, die ein Recht auf Privatkopie oder gar auf einen Remix fordern könnten, wurden für die Verhandlungen erst gar nicht zugelassen. Allerdings stand weder das Patent- noch das Urheberrecht im Zentrum der Verhandlungen. Diese Bereiche spielen beide eine eher untergeordnete Rolle.
Der Grund dafür ist einfach: Im Rahmen der ACTA-Verhandlungen wurden viele Punkte des Abkommens in der Öffentlichkeit als unverhältnismäßig angesehen und waren der Auslöser für erhebliche Proteste, was dann kurzfristig zum Aus von ACTA führte. Das will man offensichtlich nicht wiederholen. Leider wurden bisher keine Details zum Themenbereich geistiges Eigentum und Urheberrecht bekannt. Was bisher durchsickerte, war allerdings weniger brisant.
Befürchtungen
Im Gegensatz zu ACTA sind wohl keine Netzsperren oder andere Sanktionen vorgesehen. Es ist trotzdem gut möglich, dass man manche ACTA-Punkte bei TTIP reanimieren will. Vieles was bisher an die Oberfläche geriet, war sehr schwammig formuliert. Es kann also sein, dass der ein oder andere Punkt zur härteren Bestrafung von Urheberrechtsverletzungen später durchgesetzt werden soll.
Sogar der freie Zugang und die Nutzung von Wissen soll nach dem Wunsch einiger US-Konzerne aus dem Medienbereich eingeschränkt werden. Die Firmen haben primär ihre Umsätze und nicht die Bedürfnisse der Bevölkerung vor Augen.
Meinung
Uns Bürger und die Verbraucherschutzverbände hat man im Vorfeld ausgesperrt. Wir erhalten keinen Einblick in die Unterlagen, während man diversen Unternehmen auf höchster politischer Ebene eine exklusive Bühne bietet. Sie durften ihre Forderungen den Entscheidungsträgern vortragen. Es ist schnell klar, das TTIP steht nicht zu Unrecht in der Kritik. Das sieht die EU-Kommission natürlich ganz anders. Sie will aber auf keinen Preis die Dokumente veröffentlichen. Es wurde und wird stets hinter verschlossenen Türen verhandelt. Das Abkommen betrifft uns alle, aber mitreden dürfen wir nicht! So viel zur Demokratie.
Klar ist auch, dass Lobbyisten dieses Abkommen zu 95% erschaffen haben. Sollte es tatsächlich unterzeichnet werden, werden viele Werte freiwillig über Bord geworfen, die wir uns in der Vergangenheit hart erkämpft haben und die es wert sind, dafür zu kämpfen. Was sagt ihr dazu?
Bildquellen: Bündnis 90/Die Grünen (CC BY 2.0) & Rosa Luxemburg Stifung, thx!
Tarnkappe.info