Pirate Flag
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Bildquelle: Azzedine Rouichi, Lizenz

EUIPO-Bericht: Anzeigen großer Marken auf Piraterieseiten stiegen um 567 %

Laut einer neuen EUIPO-Studie werben verstärkt große Unternehmen mit bekannten Marken auf Piratenseiten. Doch es steckt noch mehr dahinter.

Es liegt ein neuer Bericht des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (European Union Intellectual Property Office, kurz EUIPO) vor. Dieser zeigt im Vorjahr einen alarmierenden Anstieg der Werbung großer Marken auf Piraterieseiten um 567 %. Die EUIPO-Studie geht davon aus, dies hänge mit der Beendigung der Outreach-Marketing-Programme der Industrie zusammen. Doch die Analyse ist noch aus anderen Gründen interessant. Denn seit dem Jahr 2021 sind die gesamten Werbeeinblendungen auf Piraterieseiten um satte 80 % gesunken.

Werbung als einzige Einnahmequelle

Für die Betreiber vieler Piraterieseiten und -Apps sind Werbeeinnahmen die einzige Lebensader. Deshalb wäre die Werbebranche natürlich ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen Online-Piraterie. Im Laufe der Jahre haben mehrere werbeorientierte Anti-Piraterie-Initiativen und Organisationen versucht, zu verhindern, dass Markenwerbung auf den illegalen Webseiten erscheint.

Dazu gehört auch eine von der Europäischen Union initiierte Absichtserklärung (Memorandum of Understanding, MoU), in der sich mehrere führende Werbeunternehmen, darunter Google, zur Mitwirkung verpflichtet haben. Die Ursprünge dieser Vereinbarung reichen bis ins Jahr 2016 zurück. Die EUIPO hat seitdem die Fortschritte in diesem Bereich überwacht.

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Die neueste EUIPO-Studie wurde diese Woche veröffentlicht. Wie in den Vorjahren beauftragte man das britische Forschungsunternehmen White Bullet mit der Erstellung einer detaillierten Übersicht über die Arten von Online-Anzeigen, die im Laufe des Jahres 2024 auf Piraterieseiten erschienen sind. Der Bericht untersuchte Anzeigen auf 7.250 Websites und 398 mobilen Anwendungen (Apps) in 18 EU-Mitgliedstaaten. Alle „Piraterie“-Websites und -Apps boten Zugang zu urheberrechtsverletzenden Inhalten und wurden entweder als „illegal“ oder „risikoreich“ eingestuft. White Bullet hat 2021 einen ähnlichen Werbebericht für das EUIPO erstellt, wodurch es möglich ist, die Fortschritte der letzten vier Jahre zu messen.

Anzeigen großer Marken nahmen auf Piraterieseiten um 567 % zu

Die von der EUIPO diese Woche veröffentlichten Zahlen deuten darauf hin, dass das Werbevolumen auf Piraterieseiten im Laufe des letzten Jahres rapide zugenommen hat. Weltweit (EU und Großbritannien + USA) generierten die überwachten Websites im Laufe des Jahres 28,3 Milliarden Ad Impressions, wobei die Impressionen vom ersten bis zum vierten Quartal um 92 % zunahmen. Nicht gezählt werden natürlich die Seitenaufrufe von Nutzern, die einen Ad-Blocker etc. nutzen.

Noch besorgniserregender ist vielleicht, dass Anzeigen großer Marken auf Piraterieseiten nach wie vor weit verbreitet sind. In dem Bericht nennt man keine Namen. Aber die EUIPO-Studie stellte fest, dass die Werbeeinblendungen großer Marken zwischen 2021 und 2024 um 567 % zugenommen haben.

EUIPO-Bericht, 2024

Insgesamt machten Markenwerbungen 61 % der Werbeeinblendungen auf den überwachten Websites und 96 % auf den überwachten Apps aus. Dazu gehören Online-Anzeigen sowohl für große als auch für weniger bekannte Marken. Das EUIPO hebt diesen deutlichen Anstieg in seinen „wichtigsten Schlussfolgerungen” neben einigen anderen besorgniserregenden Entwicklungen hervor.

Der Bericht bringt dieses Wiederaufleben der Banner etc. großer Marken ausdrücklich mit einem Zusammenbruch der Zusammenarbeit innerhalb der Branche in Verbindung. Man stellte fest, dass Aufklärungskampagnen für Werbetreibende unmittelbar vor dem Anstieg eingestellt wurden. „Der massive Anstieg der Werbung großer Marken auf Websites, die gegen das Recht des geistigen Eigentums verstoßen, könnte mit der Einstellung mehrerer koordinierter Aufklärungsprogramme im Jahr 2023 zusammenhängen, die sich an Marken richteten, die Werbung auf Websites geschaltet hatten, die gegen das Recht des geistigen Eigentums verstoßen”, heißt es im Bericht des EUIPO.

EUIPO-Studie: Es ist alles relativ

Die von der EUIPO gemeldeten Zahlen sind zwar korrekt, man muss sie jedoch differenziert betrachten. Der Bericht kam zu dem Ergebnis, dass Anzeigen großer Marken von nur 3 % aller Anzeigenimpressionen auf Websites im Jahr 2021 auf 20 % aller Anzeigenimpressionen im Jahr 2024 gestiegen sind. Technisch gesehen entspricht dies zwar einem Anstieg des Marktanteils um 567 %. Gleichzeitig ist jedoch die Anzahl der angezeigten Anzeigen stark zurückgegangen.

In allen untersuchten Ländern sind die Anzeigenimpressionen auf Piraterieseiten von 146,1 Milliarden im Jahr 2021 auf 28,3 Milliarden im Jahr 2024 eingebrochen. Die Gesamtzahl der Online-Anzeigen auf diesen Seiten und Apps ist also um rund 80 % zurückgegangen.

Die Statistik „Anstieg um 567 %” ist zwar technisch gesehen korrekt. Wenn man jedoch den relativen Marktanteil betrachtet, ist dieser Anstieg nach Meinung der Kollegen von Torrentfreak größtenteils auf den Einbruch minderwertiger, nicht markenbezogener Anzeigen zurückzuführen. Real stieg die Anzahl der Anzeigen großer Marken um etwa 30 %.

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Abnahme von Werbung für Betrug und Malware

Die gleiche Logik gilt für den gemeldeten Anstieg von Betrugs- und Malware-Werbung, der auch in den wichtigsten Schlussfolgerungen des EUIPO hervorgehoben wurde.

Der Bericht stellt außerdem einen Anstieg von 250 % bei betrügerischer Werbung und Malware-Werbung zwischen 2021 und 2024 fest. Das zeigt, dass rechtsverletzende Websites nicht nur den Ruf von Marken ausnutzen, sondern auch Nutzer und Werbetreibende einem größeren digitalen Risiko aussetzen“, schreibt das EUIPO.

Auch dieser Anstieg um 250 % ist relativ zu betrachten. Betrachtet man die absoluten Zahlen, so sind Betrugs- und Malware-Anzeigen von 2021 bis 2024 tatsächlich um rund 1,8 Milliarden Impressionen zurückgegangen. Das entspricht einem Rückgang von etwa 31 % bei bösartigen Anzeigen.

Wie man sieht, können absolute und relative Zahlen ein völlig unterschiedliches Bild ergeben. Dies ist größtenteils auf eine wichtige Veränderung zurückzuführen, die in den letzten Jahren stattgefunden hat. Diese Tatsache erwähnt die EUIPO seltsamerweise in den wichtigsten Schlussfolgerungen nicht.

Piraten-Ad-Impressions und Einnahmen eingebrochen

Die Tatsache, dass der EUIPO-Bericht einen beispiellosen Rückgang der Anzeigen auf Piraten-Websites um 80 % feststellt, findet komischerweise kaum Beachtung. Die Zahlen zeigen jedoch deutlich, dass in den 18 untersuchten EU-Mitgliedstaaten auch die Ad-Impressions auf Piraten-Websites eingebrochen sind: von 70,3 Milliarden im Jahr 2021 auf gerade mal 14,4 Milliarden im Jahr 2024.

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Werbeeeinnahmen laut EUIPO-Studie um 78% gesunken

Der Bericht führt diesen drastischen Rückgang auf eine zunehmend fragmentierte Landschaft von Piraterieseiten zurück, was insgesamt zu geringeren Besucherzahlen führt. Das klingt nach einem willkommenen Ergebnis, doch im Bericht wird diese Erkenntnis nicht besonders hervorgehoben.

Das Gleiche gilt für den damit verbundenen Rückgang der Werbeeinnahmen für Piraterieseiten. Der Bericht stellt fest, dass die Werbeeinnahmen aus den beobachteten Ländern um 78 % gesunken sind. Nämlich von 102,5 Millionen Euro im Jahr 2021 auf 22 Millionen Euro im letzten Jahr.

Die fehlende Zahl im EUIPO-Bericht: 8,29 € Einnahmen pro Tag

Während sich das EUIPO hauptsächlich auf den relativen Anstieg von Anzeigen großer Marken und betrügerischen Anzeigen konzentriert, hat man eine wichtige Zahl nicht hervorgehoben. Dabei handelt es sich um die durchschnittlichen geschätzten Einnahmen, die diese 7.250 Websites pro Tag mit Besuchern aus den 18 überwachten EU-Ländern erzielt haben.

Diese Zahl gibt man nicht an. Aber wenn wir die Zahlen auswerten, sehen wir, dass eine durchschnittliche Piraterieseite mit diesen EU-Nutzern etwa 8,29 € pro Tag verdient.

Der EUIPO-Bericht beziffert die weltweiten Einnahmen dieser Websites auf etwa 91 € pro Tag. Daraus lässt sich logischerweise schließen, dass der Werbetraffic in der EU nur einen Bruchteil der Gesamteinnahmen dieser Websites ausmacht. Das ist auch erwähnenswert.

Der vollständige Bericht mit vielen weiteren Datenpunkten und interessanten Statistiken ist hier als PDF-Dokument verfügbar.

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Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Früher brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert. In seiner Freizeit geht er am liebsten mit seinem Hund spazieren.