Das Oberlandesgericht Bremen urteilte, dass die Polizei eine Smartphone-Zwangsentsperrung per Fingerabdruck durchführen kann.
Im Rahmen einer Hausdurchsuchung am 01.02.2023 erwirkte die Polizei von dem Tatverdächtigen eine Smartphone-Zwangsentsperrung per Fingerabdruck. Der Mann wehrte sich allerdings vehement dagegen. Wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verhängte das Amtsgericht Bremerhaven gegen ihn eine Geldstrafe. Das Landgericht Bremen bekräftigte das Urteil. Der Verurteilte legte jedoch auch dagegen Revision ein. Das Oberlandesgericht (OLG) Bremen bestätigte aktuell die Rechtmäßigkeit in einem Beschluss vom 08.01.2025 (1 ORs 26/24).
Im aktuellen Fall durchsuchte die Polizei die Wohnung des Verdächtigen im Zuge eines Ermittlungsverfahrens. Es bestand der Verdacht auf die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte. Während der Durchsuchung fanden die Ermittler ein Smartphone, das durch einen Fingerabdruck geschützt war. Der Verdächtige verweigerte eine Smartphone-Zwangsentsperrung, indem er sich dagegen zur Wehr setzte. Daraufhin setzte die Polizei unmittelbaren Zwang ein. Ein Beamter fixierte ihn am Boden und entsperrte schließlich das Smartphone mit dem Finger des Beschuldigten.
Am 29.08.2023 verurteilte das Amtsgericht Bremerhaven den Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 10 Euro. Der Angeklagte legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Am 07. 03. 2024 wies die Strafkammer 63 des Landgerichts Bremen die Berufung als unbegründet ab. Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte am 08. 03. 2024 erneut Revision ein. Der Fall landete damit vor dem Oberlandesgericht Bremen.
OLG Bremen gestattet Smartphone-Zwangsentsperrung per Fingerabdruck
Das OLG Bremen entschied dazu aktuell, dass eine Smartphone-Zwangsentsperrung per Fingerabdruck zulässig ist. Das OLG stützte seine Entscheidung auf § 81b Abs. 1 StPO. Es verwies darauf, dies sei bereits mehrfach in der Rechtsprechung so entschieden worden (siehe LG Ravensburg, Beschluss vom 14.02.2023 (2 Qs 9/23) AG Baden-Baden und Beschluss vom 13.11.2019 (9 Gs 982/19) und entspräche der „überwiegenden Auffassung in der Literatur“.
Diese Vorschrift erlaubt die Erhebung und Verwendung biometrischer Merkmale eines Beschuldigten zur Strafverfolgung. Das Gericht sah dabei die Smartphone-Zwangsentsperrung per Fingerabdruck als zulässige Anwendung dieser Norm an. Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht) weist darauf hin, dass bemerkenswert hierbei ist, dass das Gericht § 81b StPO zur Erhebung biometrischer Daten auch auf deren unmittelbare Nutzung zur Beweissicherung erweitert auslegte.
Gemäß Ferner erweiterte das Gericht zudem „die Anwendung der Norm um den Aspekt des unmittelbaren Zwangs, der in der Strafprozessordnung grundsätzlich geregelt ist. Die sogenannte Annexkompetenz, die eine Erweiterung der eigentlichen Befugnisse erlaubt, wurde auf die Entsperrung eines Smartphones übertragen.“ Damit trage das Gericht einer „steigenden Bedeutung digitaler Beweismittel und der damit verbundenen rechtlichen Herausforderungen“ Rechnung.
Eingriffe in Grundrechte sind im Fall nicht von Belang
Das OLG Bremen stellte klar, dass als rechtliche Grundlage für den Zugriff auf die im Smartphone gespeicherten Daten nicht § 81b Abs. 1 StPO, sondern die Vorschriften zur Durchsuchung und Beschlagnahme (§§ 94, 110 StPO) zutreffen. Bei der Smartphone-Zwangsentsperrung per Fingerabdruck sei der Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit gering und damit verhältnismäßig. Der Eingriff sei gerechtfertigt durch ein übergeordnetes öffentliches Interesse, nämlich das der effektiven Strafverfolgung.
Zudem betroffen sei bezüglich einer Smartphone-Zwangsentsperrung der Schutzgehalt des Grundrechts auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme. Hier erwies sich „die Erstreckung des § 81b StPO auf die vorliegende Fallkonstellation aber als verfassungskonform“, so das OLG Bremen. Zwar gelten für heimlichen Zugriff strengere Anforderungen, jedoch nicht für den offenen Zugriff wie hier gegeben. Rechtsanwalt Ferner kommentiert:
„Die sorgfältige Abwägung zwischen den Grundrechten des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse zeigt, wie sensibel die Gerichte mit diesen Fragestellungen umgehen müssen. Stattdessen werden Betroffene gezwungen, an Ihrer eigenen Untersuchung und ggf. Überführung mitzuwirken, was im Gegensatz zu unserem Fundamentalprinzip steht, dass niemand Beweismittel gegen sich selbst sein muss.“
Bedeutung der Entscheidung
Rechtsanwalt Jens Ferner stellt hinsichtlich der Tragweite der Entscheidung zur Smartphone-Zwangsentsperrung per Fingerabdruck in einem Fazit klar:
„Die Entscheidung des OLG Bremen verdeutlicht, wie Strafverfolgungsbehörden und Gerichte mit der Nutzung moderner Technologien umgehen. Sie stärkt die Befugnisse der Ermittler, setzt aber zugleich klare Grenzen durch die differenzierte Anwendung von Strafprozessvorschriften. Diese Entwicklung ist richtungsweisend für die Balance zwischen Sicherheit und Freiheitsrechten im digitalen Zeitalter. Der Beschluss liefert eine prägnante Grundlage für zukünftige Diskussionen zur Integration biometrischer Daten in die Strafprozessordnung. […] Die Quintessenz dieser Entscheidung zeigt, wie bedeutend eine präzise gesetzliche Grundlage und die Wahrung der Grundrechte in einem zunehmend digitalisierten Ermittlungsumfeld wären – und wie weit sich der deutsche Strafprozess von einer gewissen Berechenbarkeit anhand des Gesetzes entfernt hat.“