Die Aufarbeitung der Vorwürfen bzgl. der ehemaligen Intendantin Patricia Schlesinger verschlingt weiterhin Millionen an Rundfunkbeiträgen.
Gemäß einem Medienbericht des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) waren 31 Anwälte von vier Rechtsanwaltskanzleien von Juli bis Ende November 2022 damit beauftragt, fehlerhafte Strukturen im RBB zu prüfen, die zuvor die Medien hinsichtlich des Falles Schlesinger aufdeckten. Zudem sollten die Rechtsberater situationsbedingte Handlungsempfehlungen geben.
Allerdings gab es hinsichtlich der angefallenen Kosten erneut ein böses Erwachen für den RBB. Die Anwälte stellten satte 1,4 Mio. Euro in Rechnung. Dabei wären die Rechnungen für Dezember und Januar noch gar nicht gestellt.
Die Generalstaatsanwaltschaft ermittelt seit August letzten Jahres gegen die ehemalige RBB-Intendantin und ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger. Vorwürfe standen dabei im Raum wegen eines Verdachts der Vorteilsnahme. „Business Insider“ deckte anhand vorliegender Informationen gleich mehrere Sachverhalte auf.
Seither mehrten sich Anschuldigungen über fragwürdige Spesen, der Vergabe dubioser Beraterverträge, einem teueren Neubau bis hin zu der Frage eines Rundfunkgebühr-Missbrauchs durch private Nutzung ihres Nobel-Audi A8 Dienstwagens mitsamt Massagesitzen und zweier Chauffeure.
Massive Vorwürfe führten zum Rücktritt von Patricia Schlesinger
Aber auch gegen Ehemann Gerhard Spörl und Ex-Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf gibt es Untersuchungen wegen des Verdachts der Untreue und der Vorteilsannahme. Die Vorwürfe der Korruption, der Vorteilsnahme und der Verschwendung von Beitragsgeldern führten Anfang August schließlich zu Schlesingers Rücktritt. Anschließend war sie von den Aufsichtsgremien abberufen sowie fristlos gekündigt worden. Zudem trat der RBB-Verwaltungsratsvorsitzende Wolf-Dieter Wolf zurück.
Wie Gabi Probst von rbb24 aktuell berichtete habe aufgrund einer Aufklärung besagter Vorwürfe allein die Kanzlei Lutz/Abel als größter Auftragnehmer über eine Million Euro für 20 Anwälte in Rechnung gestellt. Dabei verrechneten die Rechtsanwälte auch Telefonate, E-Mailverkehr, Videoschaltungen sowie Abstimmungen im Rahmen eines Austausches mit Kollegen oder mit anderen Kanzleien minutiös. Deren Stundensatz liegt zwischen 250 und 500 Euro.
Neben Lutz/Abel waren noch zwei Strafrechtskanzleien sowie eine Wirtschaftskanzlei in Sachen Aufarbeitung der Schlesinger-Affäre tätig. Sowohl beschäftigten sich die Kanzleien mit Compliance-Untersuchungen aber auch mit Arbeitsrecht und strafrechtlichen Fragen. Gemäß rbb24 rechnete eine Strafrechtskanzlei in Sache Schlesinger ab: „Durchsicht, Zusammenstellung und Übergabe der Unterlagen“. Auch „Telefonkonferenzen“ und „Treffen mit den Ermittlern“ stellen sie dabei in Rechnung.
Aus den Abrechnungen ginge hervor, dass nicht nur die Strafrechtskanzlei, sondern auch die anderen Kanzleien mit weitgehend denselben Aufgaben beschäftigt waren. Im Nachhinein sei klar, dass tatsächlich Arbeit doppelt geleistet und in Rechnung gestellt wurde. Als Beispiel von vielen zeigt rbb24 auf:
„Auch Lutz/Abel rechnet mehrmals die „Durchsicht (von) Auskunftsverlangen der Generalstaatsanwaltschaft“ ab. Allein an zehn Tagen im August geht es um „Korrespondenz…wegen Auskunft an die Generalstaatsanwaltschaft, Abstimmung sowie Planung (der) Besprechung mit der Generalstaatsanwaltschaft.
Allein drei Anwaltskollegen beschäftigen sich an einem Tag acht Mal mit der „Abstimmung und Durchsicht zur Herausgabe von Beraterverträgen an die Generalstaatsanwaltschaft“. Stundensatz 250 bis 300 Euro.“
Es stellte sich hierbei die Frage: „Was muss bei der Herausgabe von Unterlagen vorher abgestimmt werden?“ Lutz/Abel wollten sich dazu indessen nicht äußern.
Sind Anwaltsforderungen weitere Verschwendung von Rundfunkbeiträgen?
Professor Martin Heger, Prodekan und Leiter der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität (HU), weist in dem Zusammenhang auf eine erneute Vergeudung von Beitragsgeldern hin. Zwar könne er
„verstehen, dass sich der rbb punktuell Rechtsbeistand holt, zum Beispiel von Arbeitsrechtlern wegen der umstrittenen Dienstverträge. Aber 31 Anwälte, das sei eine Verschwendung von Rundfunkbeiträgen. […] Ich sehe eigentlich keinen Grund, warum zur Bearbeitung von der Staatsanwaltschaft eingereichten Listen externer Rechtsrat eingeholt und natürlich bezahlt werden muss.“
Weiterhin meinte er, man „müsse hier möglicherweise sogar den Straftatbestand der Veruntreuung von Beitragsgeldern prüfen“.
Aber auch andere Rechtsexperten äußerten nach Kenntnisnahme der Rechnungen, dass die Forderungen „absurd und nicht nachvollziehbar“ wären. Professor Uwe Hellmann von der Universität Potsdam kritisiert:
„Ich denke nicht, dass der Aufwand zu einem angemessenen Verhältnis zum Ertrag steht, wenn man ein ganzes Heer von Anwälten beschäftigt für in der Sache eher überschaubare Vorwürfe.“
Dass es kein Einzelfall wäre, dass die Staatsanwaltschaft einzig von der vom rbb bezahlten Arbeit profitierte, führte Professor Hellmann auf einen schon länger zu beobachtenden Trend zurück. Demnach wäre es inzwischen Usus, dass „sich Staatsanwaltschaften auf Anwaltskanzleien verlassen“. Allerdings wäre es zudem besonders kritisch, „wenn die Kanzleien von denen bezahlt werden, die im Visier der Ermittler stehen – wie beim rbb“. Hellmann ergänzt:
„Wenn über viele Stunden darüber gesprochen worden ist, welche Informationen an die Staatsanwaltschaft weitergegeben werden, dann wird am Ende das Ergebnis gestanden haben, dass nicht alle Informationen weitergegeben worden sind und dann hat die Staatsanwaltschaft eben kein vollständiges Bild erhalten. Also meiner Ansicht nach muss die Staatsanwaltschaft selbst ermitteln.“
Auch Professor Martin Heger äußert diesbezügliche Bedenken:
„Es besteht die Gefahr, dass durch die Vorauswahl des Materials durch die Anwälte eine gewisse Schlagseite entsteht. Der Beitragszahler bezahlt die Aufwendungen für die Anwälte, die letztlich einen erheblichen Anteil der Arbeit der Staatsanwaltschaft übernehmen, die also Material sammeln für die Staatsanwaltschaft, die normalerweise die Staatsanwaltschaft, die durch den Steuerzahler bezahlt wird, selbst sammeln müsste.“
Heger fügte hinzu, dass Ermittler gemäß Paragraf 160 der Strafprozessordnung in der Pflicht wären, sich ein Gesamtbild zu machen. Folglich hätte die Generalstaatsanwaltschaft von Beginn an allumfänglich selbst beschlagnahmen müssen, da auch die Leitungsebene des rbb beteiligt war. Zudem gab es ständig neue Vorwürfe. Ansonsten wäre zu befürchten, dass von interessierter Seite nur „passende“, also vorher gefilterte, Beweismittel herausgegeben oder auch Beweismittel unterdrückt werden, so die Experten.
Außer Spesen nichts gewesen?
Zudem hieß es, dass bislang „der Ertrag überschaubar wäre. Im Zwischenbericht vor dem Rundfunkrat im Oktober 2022 stand – nach einem viertel Jahr Prüfung – nicht sehr viel mehr, als was zuvor in der Presse stand“. Des Weiteren berichtete rbb24, „Rechtsexperten kritisieren, dass die Anwälte doppelte Arbeit abrechnen und Leistungen für die Generalstaatsanwaltschaft erbringen, für die der rbb gar nicht zuständig sei.„
Gemäß einem Beitrag des Tagesspiegels beantrage der Vertreter der Brandenburger SPD im Rundfunkrat, Erik Stohn, am Dienstag deswegen eine Sondersitzung des Gremiums. Auch er ist der Meinung:
„Es wird der Eindruck erweckt, dass die Kanzlei Lutz und Abel möglichen Mittätern des Systems Schlesinger hilft, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.“
Brandenburgs SPD-Fraktionschef Daniel Keller befand die Höhe der Anwaltskosten als „erstaunlich“. Er führte aus:
„Wir haben immer sehr klar gesagt, dass es eine Aufarbeitung der Vorkomnisse beim RBB braucht“
Allerdings erwarte man vom RBB, dass er die Höhe der Anwaltskosten erklären könne. Die SPD in Brandenburg lehne eine weitere Gebührensteigerung des Senders ab. „Einsparungen dürften nicht auf Kosten der Mitarbeiter geschehen. Der RBB sollte vielmehr durch eine „Verschlankung der Chefetage“ oder einen Verzicht auf Investitionsmaßnahmen Geld sparen“.
Die Brandenburger Grünen-Fraktionschefin Petra Budke, die zudem Vorsitzende des RBB-Untersuchungsausschusses ist, bekundete, sie sei über die neuen Erkenntnisse zum RBB „konsterniert“. Bereits in der Vergangenheit befand man den Untersuchungsauftrag der Kanzlei „LutzAbel“ als „mehr als vage“. Auch der Zwischenbericht sei „mehr als dünn“ ausgefallen. Nun erwarte man einerseits, den Abschlussbericht der Untersuchung. Andererseits solle „die Arbeit der Kanzlei die Arbeit der Generalstaatsanwaltschaft nicht behindern“.
Sebastian Walter, Fraktionsvorsitzende der Linken im Berliner Landtag, stellt mit dem Skandal die Existenz des RBB in Frage:
„Es wird immer klarer, dass auch die neue Chefetage nicht begriffen hat, in welcher Lage der RBB ist: Es geht um die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Brandenburg.“
Gemäß dem Bericht von rbb24 will nun der RBB-Rundfunkrat am Freitag zu einer außerordentlichen Sitzung zusammenkommen. Gegenüber Tagesspiegel erklärte er:
„Die Kanzlei wurde durch die Compliancebeauftragte und den Verwaltungsrat zu Beginn der Krise beauftragt, um eine unabhängige und umfassende Einschätzung der möglichen und tatsächlichen Verfehlungen in der Amtszeit Schlesingers vorzunehmen und dazu allen eingehenden Hinweisen auch lückenlos nachzugehen. Das war deutlich bevor die Staatsanwaltschaft oder die Rechnungshöfe ihre Untersuchungen aufgenommen haben. […] Aus unserer Sicht gibt es an dieser Stelle auch kein „Zuviel“ an Aufklärung.“