Laut einem Beschluss des LG Ravensburg darf die Polizei den Fingerabdruck eines Tatverdächtigen abnehmen, um damit sein Handy zu entsperren.
Wie das Landgericht Ravensburg kürzlich entschied, darf die Polizei den Fingerabdruck eines Tatverdächtigen abnehmen, um damit sein Handy zu entsperren, sofern dies für das Strafverfahren notwendig ist. Dass der angewandte Paragraf aus einer ziemlich analogen Zeit stammt, war dem Richter dabei durchaus bewusst. Für seine Entscheidung erntet er nun reichlich Kritik.
Fingerabdrücke schützen nicht vor Datenzugriff durch Polizeibehörden
Wer seinen Fingerabdruck für die Anmeldung an modernen Geräten wie Smartphones oder Notebooks nutzt, tut dies normalerweise, um seine Daten vor dem Zugriff anderer Menschen zu schützen. Dass diese Barriere im Kontext polizeilicher Ermittlungen nicht allzu viel wert ist, legt ein neuer Beschluss des Landgerichts Ravensburg nahe.
Wie Netzpolitik.org berichtet, hatte ein Beschuldigter sich geweigert, sein Handy vor der Polizei zu entsperren. Da die Ermittler ihn im Grunde auch gar nicht dazu zwingen dürfen, bahnten sie sich einen anderen Weg, um Zugriff auf die Daten seines Mobiltelefons zu erlangen.
Ermittlungsrichter gestattete die Abnahme von Fingerabdrücken
Nach Anordnung durch einen Ermittlungsrichter nahmen die Beamten dem Mann im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Behandlung gemäß § 81b Abs. 1 StPO Fingerabdrücke ab. Diese erlaubten es der Polizei schließlich, das Smartphone selbst zu entsperren und auf die Daten zuzugreifen.
Doch das ließ der Beschuldigte nicht auf sich sitzen. Er legte folglich eine Beschwerde vor dem Landgericht Ravensburg ein. Dem Rechtsanwalt Detlef Burhoff zufolge erklärte der zuständige Richter die Vorgehensweise jedoch für zulässig. Sofern dies für das Strafverfahren notwendig sei, erlaube die Strafprozessordnung auch die Abnahme von Fingerabdrücken.
Die Polizei darf laut Ravensburger Richter Dein Handy entsperren
Dem Ravensburger Richter war dabei durchaus bewusst, dass es zu der Zeit, als das angewandte Gesetz in Kraft trat, noch keine Smartphones mit biometrischer Authentifizierung gab.
“Dem historischen Gesetzgeber lag vielmehr die Vorstellung zugrunde, die festgestellten Fingerabdrücke mit den Tatortspuren oder den Abdrücken einer Kartei zu vergleichen, um damit einen Tatnachweis führen zu können”, heißt es in dem Gerichtsbeschluss.
Die offene Formulierung des Gesetzes sorge jedoch dafür, “dass sich der statische Gesetzeswortlaut an den jeweiligen Stand der Technik anpasst.” Folglich sei die Abnahme der Fingerabdrücke, um das Handy zu entsperren, in diesem Fall sowohl notwendig als auch verhältnismäßig.
“Insbesondere bleibt das Grundrecht des Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafrechtspflege zurück”, so das Ravensburger Landgericht.
Via PIN oder Muster darf die Polizei das Smartphone (noch) nicht entsperren
Frei von Kritik bleibt dieses Urteil gewiss nicht. Dem Rechtsanwalt Udo Vetter zufolge dürfte diese Entscheidung “schnell die Runde machen”. Denn seiner Ansicht nach “war die Vorschrift nie und nimmer dafür gedacht, biometrische Sperren zu umgehen”. Schließlich war das Leben zu ihrer Entstehungszeit “noch 100 % analog”.
Er weist in diesem Zusammenhang sogleich auf Alternativen hin, die Anwender haben, um zu verhindern, dass die Polizei ihr Handy entsperren kann:
“Wer vorausschauend denkt, deaktiviert die Fingerabdrucksperre. Ein Passwort muss man in Deutschland bislang nicht herausgeben. Auch kann man bislang nicht gezwungen werden, ein Entsperrmuster zu zeichnen.”
Udo Vetter
Denn es gilt bekanntlich der Grundsatz, dass niemand sich selbst belasten muss. Ein Beschuldigter darf die Herausgabe einer PIN oder eines Entsperrmusters folglich verweigern.
Auch von technischer Seite hagelt es Kritik
Der IT-Sicherheitsexperte Ulrich Greveler sieht den Beschluss ebenfalls sehr problematisch. “Der Fingerabdruck ist ein Authentifizierungsmerkmal. Wird er gegenüber dem Telefon präsentiert, um an gespeicherte Daten zu gelangen, wird letztlich ein Gerät über die Identität des Nutzers getäuscht”, lässt er in einem Beitrag zu dem Thema verlauten.
Wenn die Polizei das Handy eines Tatverdächtigen entsperren darf, ergeben sich daraus zwangsläufig noch weitere Fragestellungen:
● Dürfte die Polizei Textnachrichten vom entsperrten Smartphone senden und sich als Besitzer ausgeben, um Informationen von weiteren Beteiligten zu erhalten?
Ulrich Greveler
● Dürfte die auf Dokumenten sichergestellte Unterschrift des Beschuldigten genutzt werden, um Informationen bei weiteren Stellen anzufordern, z. B. Unternehmen oder Banken, wenn diese nicht zur Kooperation verpflichtet sind?
● Eine Nachbildung der Stimme des Beschuldigten könnte ebenfalls verwendet werden, um Angerufene zu täuschen und weitere belastende Angaben zu erhalten. Selbst ein Deep Fake-Videotelefonat vom entsperrten Handy wäre möglich, um Kommunikationspartner erfolgreich zu täuschen, die anstatt ihrem Bekannten tatsächlich mit der Polizei sprechen und dabei sich oder diesen belasten.
Greveler ist jedoch überzeugt: “Nein, so geht es in einem Rechtsstaat nicht!” Die Polizei dürfe sich auf keinen Fall als verdächtige Person ausgeben, um im Rahmen einer Ermittlung belastendes Material zu gewinnen.