Verlage vs. Internet Archive
Verlage vs. Internet Archive
Bildquelle: HayDmitriy, Lizenz

Internet Archive: Termin für mündliche Anhörung steht

Im Urheberrechtsstreit um Internet Archive hat ein Bundesrichter den Termin für die mündliche Anhörung anberaumt. Geklagt hatten vier Verlage

Publishers Weekly, das internationale Nachrichtenmagazin für Buchverlage und Buchhandel, informiert über den aktuellen Stand des Urheberrechtsstreits um das Internet Archive (IA). Ein Bundesrichter wird nun die mündlichen Argumente für ein summarisches Urteil in diesem viel beachteten Rechtsfall anhören.

Richter John G. Koeltl hat in einem eingereichten Schriftsatz den 20. März, um 13.00 Uhr, für die Anhörung der Argumente beider Parteien festgesetzt. Diese wird jedoch nicht in einem Gerichtssaal in Manhattan stattfinden, sondern „over the phone“. Die Anordnung beendet mit der konkreten Terminfestsetzung ein monatelanges Warten.

Die Parteien reichten zunächst am 7. Juli 2022 ihre ersten gegensätzlichen Anträge auf ein Urteil im Schnellverfahren ein. Jede Seite bat das Gericht dabei, den Fall vor dem Prozess zu ihren Gunsten zu entscheiden.

Am 7. Oktober 2022 erbrachten beide Seiten noch Schriftsätze für ein summarisches Urteil. Ein summarisches Urteil umfasst die Möglichkeit für eine Partei, einen Fall auch ohne Gerichtsverfahren zu gewinnen.

Die Verlage Hachette Book Group, HarperCollins Publishers, John Wiley & Sons Inc und Penguin Random House verklagten das in San Francisco ansässige Internet Archive bereits im Juni 2020 beim US-Bundesbezirksgericht in Manhattan.

Verlagsklage richtete sich gegen die National Emergency Library von Internet Archive sowie das CDL-Verleihprinzip

In der Klage wandten sich die Verleger gegen die kostenlose Online-Verleihung von digitalisierten Kopien gedruckter Bücher während der COVID-19-Pandemie im Rahmen der nationalen Notfallbibliothek. Sie bezeichneten das Programm als Vorwand für massive Urheberrechtsverletzungen. In der Zwischenzeit konnten die Leser ohne Einschränkungen E-Books ausleihen.

ebook piracy

Zudem beanstandeten die Verlage, dass der langjährige Ansatz des Internet Archive bei der Ausleihe von Büchern „darauf abzielt, das sorgfältig kalibrierte Ökosystem zu zerstören, das Bücher ermöglicht“. Damit fechten die Verlage das CDL-Verleihprinzip an sich an.

CDL ermöglicht es Bibliotheken, eine digitale Kopie einer physischen Ressource gleichzusetzen. Das heißt konkret, digitale Kopien können auf die gleiche Weise verliehen werden, wie die physische Ressource.

Jedes über CDL verliehene Buch wurde dabei gekauft und bezahlt. Autoren und Verleger erhielten somit schon die volle Entschädigung für diese Bücher. Nutzer können auf die E-Books über einen Account beim Internet Archive zugreifen.

Besteht eine Gefahr für das CDL-Programm?

Gemäß den Klägern hätte das Controlled Digital Lending-Konzept von Internet Archive keine Rechtsgrundlage. Für sie ist das Kopieren ihrer Bücher ohne Erlaubnis illegal.

In der Zwischenzeit verweist IA darauf, dass man nur Kopien von Büchern verleiht, die sie auch physisch besitzen. Außerdem halten sie ein Verhältnis von „Besitz zu Verleih“ von eins zu eins ein. Daher würde der Verleih unter die Fair Use Policy fallen.

Verlage meinen hingegen, das umstrittene Programm des Internet Archive zum Einscannen und Ausleihen von Büchern, die als „kontrollierte digitale Ausleihe“ bekannt ist, sei eine massive Piraterieaktion einer Organisation, die sich als gemeinnützige Bibliothek ausgibt.

Dementsprechend argumentierten die Anwälte der klagenden Verlage zuletzt, dass die „unbestrittenen Fakten und das geltende Recht“ zu der „unausweichlichen Schlussfolgerung“ führten, dass das Scannen und Ausleihen von Bibliotheksbüchern durch das Internet Archive eine Urheberrechtsverletzung im großen Stil darstelle.

Der Verleger-Schriftsatz bezeichnet das Internet Archive demnach als „kommerziellen“ Akteur und CDL als „zynische Markenstrategie, die darauf abzielt, Urheberrechtsverletzungen im industriellen Maßstab neu zu verpacken“, die mit einem „florierenden“ Markt für E-Books mit lizenziertem Zugang konkurrieren. Ferner heißt es in dem Schriftsatz:

„Da der Zweck des Urheberrechts darin besteht, Anreize für die Schaffung neuer Werke zu schaffen, haben Autoren und Verleger – und nicht Internet Archive – das ausschließliche Recht, ihre Bücher in allen Formaten zu veröffentlichen und sie über ausgewählte Kanäle zu vertreiben.“

Internet Archive setzt auf Fair Use-Doktrin

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Für Internet Archive ist die Langzeitarchivierung digitaler Daten in frei zugänglicher Form ein besonderes Anliegen. Es versteht sich dabei als Aktivist für ein offenes und freies Internet. Zudem geht es darum, gemeinfreie Werke dauerhaft zu erhalten und zu verbreiten. Gründer des Internet Archive, Brewster Kahle, Leiter und Gründer von IA, verdeutlicht:

“Das entspricht der grundlegenden Praxis von Bibliotheken. Wir kaufen Bücher, wir bewahren Bücher auf und wir leihen Bücher aus. Und wir unterstützen die Verlagsbranche und die Autoren durch diesen Prozess”.

Gemeinsam mit der kalifornischen Anwaltskanzlei Durie Tangri übernahm die Electronic Frontier Foundation (EFF) die Verteidigung von Internet Archive.

In ihrem abschließenden Schriftsatz entgegnen die Anwälte des Internet Archive, dass das „kontrollierte“ Einscannen und Ausleihen von Bibliotheksbüchern durch die Fair Use-Doktrin geschützt sei und dass die Beweise keinen Schaden für den Markt der Verlage zeigen würden.

„Bibliotheken, die entscheiden, wie sie den Bedarf ihrer Kunden an digitalem Zugang zu Büchern decken können, haben nicht die Wahl zwischen der Zahlung von Lizenzgebühren für E-Books oder dem kostenlosen Bezug von Büchern. In beiden Fällen zahlen die Bibliotheken an die Verlage.

Vielmehr geht es in diesem Fall darum, ob „die Auswahl der Bücher, die von Bibliotheken digital zur Verfügung gestellt werden, von den Bibliothekaren ausgewählt wird“ oder von den „einseitigen und nicht überprüfbaren“ Lizenzierungsentscheidungen der Verlage bestimmt wird. […]

Dieses Gericht soll entscheiden, ob das Urheberrecht den Verlegern die Befugnis gibt, zu diktieren, welche Bücher in der Sammlung einer Bibliothek digital ausgeliehen werden können und welche nicht.“

Fight for the future
Screenshot von fightforthefuture.org

Autoren fordern Einstellung der Lizensierung und machen Recht auf Zugang zu E-Books geltend

Der umstrittene Urheberrechtsfall hat ein breites Spektrum von Interessenvertretern auf den Plan gerufen. Erst im Oktober letzten Jahres haben sich mehr als 300 Autoren, darunter „Coraline“-Autor Neil Gaiman, Naomi Klein und Cory Doctorow, mit der Interessengruppe Fight for the Future zusammengeschlossen.

In einem offenen Brief forderten sie gemeinsam Verlage und Verbände der Buchindustrie auf, “die Bemühungen einzustellen, die traditionellen Rechte von Bibliotheken, Bücher zu besitzen und zu bewahren, zu untergraben, Bibliotheken mit Klagen einzuschüchtern und Bibliothekare zu verleumden”.

Außerdem werden die Verlage aufgefordert, ihre Richtlinien zu aktualisieren, damit Bibliotheken Kopien von E-Books erwerben können. Besorgt über die Einschränkung der Rechte der Bibliotheken auf nationaler Ebene, heißt es in dem Brief:

„Wir befürchten eine Zukunft, in der Bibliotheken auf eine Art Netflix oder Spotify für Bücher reduziert werden, von denen Verlage auf Dauer exorbitante Lizenzgebühren verlangen, während nicht rechenschaftspflichtige Anbieter die Verbreitung von Desinformationen erzwingen und Hass auf Profit.”

Der offene Brief könnte den Internet Archive-Fall teilweise untermauern, indem er eine alternative Perspektive zu der von The Author’s Guild, Amerikas älteste und größte Berufsorganisation für Schriftsteller, bietet.

Diese hatte einen Schriftsatz zur Unterstützung der Verlage eingereicht. Sie argumentierten, dass die Open Library Autoren schadet. In einer von der Authors Guild herausgegebenen Erklärung, die von 17 anderen Schriftsteller- und Urheberorganisationen, darunter die britische Society of Authors, unterstützt wird, heißt es:

“Die Klage gegen Open Library hat nichts mit den traditionellen Rechten von Bibliotheken zu tun, Bücher zu besitzen und zu bewahren. Es geht um den Versuch von Open Library, die faire Nutzung bis zum Äußersten auszudehnen, so dass jede Website, die sich selbst als Bibliothek bezeichnet, Bücher einscannen und öffentlich zugänglich machen könnte – eine Praxis, die von E-Book-Piraten und nicht von Bibliotheken ausgeübt wird.”

Ausgang des Rechtsfalles für alle Bibliotheken maßgebend

The Hill stellte damals sehr treffend fest, dass:

“der Ausgang des Falles über die Frage hinausgeht, ob die Open Library weitergeführt werden kann. Das Ergebnis könnte die Funktionsweise von Bibliotheken in der Zukunft beeinflussen, wenn mehr Institutionen in der Lage sind, diese Form des kontrollierten digitalen Verleihs zu übernehmen”.

Robert Brauneis, Professor für geistiges Eigentum an der George Washington University Law School, präzisierte den Fall.

“Wenn zu Gunsten des Internet Archive entschieden würde, dass einige oder alle Aktivitäten des Internet Archive als faire Nutzung gelten, wäre das eine enorme Verschiebung des derzeitigen Gleichgewichts zwischen den Urheberrechtsinhabern auf der einen Seite und den Nutzern und Vertreibern auf der anderen Seite.”

Über

Antonia ist bereits seit Januar 2016 Autorin bei der Tarnkappe. Eingestiegen ist sie zunächst mit Buch-Rezensionen. Inzwischen schreibt sie bevorzugt über juristische Themen, wie P2P-Fälle, sie greift aber auch andere Netzthemen, wie Cybercrime, auf. Ihre Interessen beziehen sich hauptsächlich auf Literatur.