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Bildquelle: pablonis, Lizenz

Internet Archive: Autoren zeigen sich solidarisch in offenem Brief

Hunderte von Autoren unterzeichneten einen offenen Brief, in dem sie sich gegen die Klage großer Verlage vs. Internet Archive aussprachen.

Mehr als 300 Autoren, darunter „Coraline“-Autor Neil Gaiman, Naomi Klein und Cory Doctorow, haben sich mit der Interessengruppe Fight for the Future zusammengeschlossen. In einem offenen Brief vom Donnerstag forderten sie Verlage und Verbände der Buchindustrie auf, „die Bemühungen einzustellen, die traditionellen Rechte von Bibliotheken, Bücher zu besitzen und zu bewahren, zu untergraben, Bibliotheken mit Klagen einzuschüchtern und Bibliothekare zu verleumden“. Zudem forderten sie die Verlage auf, ihre Richtlinien zu aktualisieren, damit Bibliotheken Kopien von E-Books kaufen können. Der Brief bezieht sich konkret auf eine Klage von vier Verlagen, Hachette Book Group, Harper Collins, John Wiley & Sons und Penguin Random House, die gegen die Open Library von Internet Archive (IA) eingereicht wurde. Darüber berichtete u.a. Reuters.

Fight for the Future erscheint als Brief-Initiator

Initiator des offenen Briefes ist die Gruppe Fight for the Future, die sich für digitale Rechte einsetzt. In dem Brief heißt es ferner, die Autoren seien „entmutigt über die jüngsten Angriffe gegen Bibliotheken, die in unserem Namen erfolgen“. Die Autoren appellierten an die Verlage, die Klage gegen Internet Archive zu beenden. Diese würde darauf abzielen, „Bibliotheken einzuschüchtern und ihre Rolle in der Gesellschaft zu schmälern“.

Des Weiteren drängen sie darauf, das Recht der Bibliotheken zu verankern, „Bücher dauerhaft zu besitzen und zu bewahren“. Kopien sollen zu „angemessenen Bedingungen zu kaufen sein, unabhängig vom Format“. Derzeit müssen Bibliotheken zahlen, um E-Books von Verlagen zu mieten, nicht zu besitzen. Die Preise, so der Brief, „werden oft mit Erpressung verglichen“. Und das, obwohl E-Books oft billiger in der Herstellung als gedruckte Bücher und leichter zugänglich sind. 

Die Unterzeichner treten dafür ein:

„Wir fordern alle, die daran beteiligt sind, Bücher in die Hände der Leser zu bringen, auf, im Interesse aller Autoren zu handeln. Einschließlich der lange an den Rand gedrängten, mittleren und aufstrebenden Autoren, für die sich Bibliothekare jahrzehntelang eingesetzt haben“.

Die Autoren kritisierten auch eine „Verleumdungskampagne“, die Bibliotheksbefürworter als „Sprachrohr von Big Tech“ darstellt. Zu den Unterzeichnern gehören ferner die Schauspielerin und Aktivistin Alyssa Milano, der Rockgitarrist Tom Morello, der Musiker und Dichter Saul Williams und die Schriftstellerin und Regisseurin Lilly Wachowski.

Besorgt über die landesweite Einschränkung der Rechte von Bibliotheken, heißt es in dem Brief:

„Wir befürchten eine Zukunft, in der Bibliotheken auf eine Art Netflix oder Spotify für Bücher reduziert werden, von denen Verlage auf Dauer exorbitante Lizenzgebühren verlangen, während nicht rechenschaftspflichtige Anbieter die Verbreitung von Desinformationen erzwingen und Hass auf Profit.“

Fungiert Open Library von Internet Archive als richtige Bibliothek?

Die Open Library von Internet Archive funktioniert beim Ausleihen von digitalen Kopien von Büchern anders als traditionelle Bibliotheken. Im Gegensatz zu diesen erwerben sie keine E-Books über Verlage. Die Organisation betreibt stattdessen die Open Library. Das Internet Archive digitalisiert die Versionen der physischen Bücher, die es besitzt, und schafft so eine Ressource für normale Leser und Akademiker sowie für sehbehinderte und legasthene Leser. Das Archiv nutzt bezüglich des Verleihs die Praxis des Controlled Digital Lending (CDL).

CDL ermöglicht es Bibliotheken, eine digitale Kopie einer physischen Ressource gleichzusetzen. Das heißt konkret, digitale Kopien können auf die gleiche Weise verliehen werden, wie die physische Ressource. Hierbei muss die Bibliothek ein gleiches Verhältnis von „Besitz zu Ausleihe“ aufrechterhalten. Folglich kann sie somit nicht mehr Exemplare ausleihen, als sie rechtmäßig besitzt. Dementsprechend ist die Verbreitungsmethode des Internet Archive die kontrollierte digitale Ausleihe, bei der jeweils nur ein Exemplar eines E-Books für eine bestimmte Frist ausgeliehen wird. Jedes über CDL verliehene Buch wurde dabei gekauft und bezahlt. Autoren und Verleger erhielten somit schon die volle Entschädigung für diese Bücher. Nutzer können auf die E-Books über einen Account bei Internet Archive zugreifen.

Ein besonderes Anliegen von Internet Archive ist die Langzeitarchivierung digitaler Daten in frei zugänglicher Form. Es versteht sich als Aktivist für ein offenes und freies Internet. Zudem geht es darum, gemeinfreie Werke dauerhaft zu erhalten und zu verbreiten.

Die Verlage, die das Internet Archive verklagen, argumentieren hingegen, dass der Prozess das Urheberrecht verletzt. Schließlich würde eine neue digitale Kopie des Buches erstellt.

Verlagsklage richtete sich gegen die National Emergency Library von Internet Archive sowie das CDL-Verleihprinzip

Die Verlage Hachette Book Group, HarperCollins Publishers, John Wiley & Sons Inc und Penguin Random House verklagten das in San Francisco ansässige Internet Archive im Juni 2020 beim US-Bundesbezirksgericht in Manhattan wegen der kostenlosen Online-Ausleihe von digital gescannten Kopien ihrer gedruckten Bücher während der COVID-19-Pandemie im Rahmen der nationalen Notfallbibliothek. Sie nannten das Programm einen Vorwand für massenhafte Urheberrechtsverletzungen.

Die Klage spricht sich jedoch nicht nur gegen das Format der National Emergency Library aus. In diesem konnten E-Books uneingeschränkt ausgeliehen werden. Man beanstandet außerdem, dass der langjährige Ansatz von Internet Archive bei der Ausleihe von Büchern „darauf abzielt, das sorgfältig kalibrierte Ökosystem zu zerstören, das Bücher ermöglicht„. Damit beanstanden die Verlage zudem das CDL-Verleihprinzip an sich.

Gemäß den Klägern hätte das Controlled Digital Lending-Konzept von Internet Archive keine Rechtsgrundlage. Für sie ist das Kopieren ihrer Bücher ohne Erlaubnis illegal. Währenddessen bezieht sich IA darauf, dass sie nur solche Kopien von Büchern verleihen, die sie auch physisch besitzen. Zudem behalten sie ein Eins-zu-Eins-Verhältnis von „Besitz zu Leihe“ bei. Somit würde die Ausleihe unter die Fair Use Policy fallen.

Terrence Hart, General Counsel der Association of American Publishers, die alle in der Klage genannten Verlage vertritt, gab The Hill eine Erklärung ab. In dieser kritisierte er den von Fight for the Future ins Leben gerufenen offenen Brief. Er bezeichnete die Open Library eher eine „Piratenseite“ als eine Bibliothek.

„Dass Autoren und Verlage Bibliotheken unterstützen, steht außer Frage und steht im Verletzungsverfahren gegen das Internet Archive, das keine Bibliothek ist, ganz sicher nicht zur Debatte. Wenn ein Autor das Kopieren von gedruckten Büchern in E-Books zulässt, ist dies eine Entscheidung, die er in Bezug auf seine eigenen Werke treffen kann. Das Internetarchiv nimmt Autoren diese Wahl. Bei dieser Klage geht es darum, Systemdiebstahl zu stoppen. Internet Archives ist eine Piratenseite. Sie verhält sich nicht so wie seriöse Bibliotheken, wenn es darum geht, für die von ihnen geführten E-Books zu bezahlen und Autoren und Verleger zu unterstützen.“

Die Association of American Publishers argumentiert, dass die angebliche Verletzung des Urheberrechts durch das Internetarchiv die Gewinne schmälert, die Autoren aus dem Verkauf von E-Books erzielen würden.

Pro und Kontra der Lizenzvereinbarungen

Hart zeigt auf, dass das Ausleihen von E-Books weniger „Abnutzungserscheinungen“ als herkömmliche Bücher mit sich bringen. Diese würden schließlich nicht physisch zwischen den Kunden zirkulieren.

„Verlage haben E-Books lizenziert, damit Bibliotheken sie analog zu physischen Büchern ausleihen können. Diese Weise funktioniert für Bibliotheken und für Leser gleichzeitig. Die Lizenzierung ist entscheidend, um sicherzustellen, dass Verlage eine Kapitalrendite erzielen, ihren Autoren Lizenzgebühren zahlen und auch in Zukunft neue Bücher unterstützen und erstellen können“.

Wie The Hill feststellt, stünde im Mittelpunkt des Problems „die Art und Weise, wie Verlage Kopien von Büchern an Bibliotheken verkaufen. Oder besser gesagt, dass sie sie nicht an die Bibliotheken verkaufen“.

Verlage haben Lizenzvereinbarungen mit Bibliotheken. Diese ermöglichen es ihnen, Bücher zu bestimmten Bedingungen auszuleihen. E-Book-Exemplare können dabei an die Ausleihe entweder für einen exakten Zeitraum oder für eine bestimmte Anzahl von Ausleihen gebunden werden. Nachdem diese Zeit oder Anzahl der Auflagen erreicht ist, müssen die Bibliotheken die Lizenzvereinbarungen erneut abschließen.

Bibliothekare führen an, dass der Prozess den Erwerb von E-Books für Benutzer teurer macht als herkömmliche Bücher. Diese erwerben sie zu einem Standardpreis und können sie so lange in Umlauf bringen, wie das Buch hält. Michael Blackwell, Direktor der St. Mary’s County Library in Maryland und Organisator der Gruppe Reader’s First wies gegenüber The Hill darauf hin:

„Im Allgemeinen wird ein hochwertiges Hardcover sicherlich länger halten und sogar einige hochwertige Taschenbücher als es die Lizenz erlaubt. Sie bekommen also zu einem viel geringeren Preis viel mehr für Ihr Geld“.

Blackwell führte an, er habe physische Exemplare von Büchern gesehen, die über 100 Mal im Regal stehen und vier oder fünf Jahre lang ständig zirkulieren würden. Auch wenn man ein Buch nicht mehr ausleihen kann, könne man es immer noch verkaufen.

Autoren fordern Einstellung der Lizensierung und machen Recht auf Zugang zu E-Books geltend

Die Autoren, die den Brief unterzeichneten, forderten die Verlage dringend auf, diese Methode der Lizenzierung von E-Books an Bibliotheken einzustellen. Stattdessen sollen Verleger:

„das Recht der Bibliotheken verankern, Bücher dauerhaft zu besitzen und zu bewahren und diese dauerhaften Kopien unabhängig vom Format zu angemessenen Bedingungen erwerben. Es ist an der Zeit, einen Weg nach vorne zu finden, der sowohl für Bibliotheken als auch für Autoren fair ist – einschließlich eines dauerhaften Modells für den digitalen Besitz, das auf den Kosten für die Pflege einer Druckausgabe basiert.“

Der offene Brief könnte den Internet Archive-Fall teilweise untermauern, indem er eine alternative Perspektive zu der von The Author’s Guild, Amerikas älteste und größte Berufsorganisation für Schriftsteller, bietet. Diese hatte einen Schriftsatz zur Unterstützung der Verlage eingereicht. Sie argumentieren, dass die Open Library Autoren schadet. In einer von der Authors Guild herausgegebenen Erklärung, die von 17 anderen Schriftsteller- und Urheberorganisationen, darunter die britische Society of Authors, unterstützt wird, heißt es:

„Die Klage gegen Open Library hat nichts mit den traditionellen Rechten von Bibliotheken zu tun, Bücher zu besitzen und zu bewahren. Es geht um den Versuch von Open Library, die faire Nutzung bis zum Äußersten auszudehnen, so dass jede Website, die sich selbst als Bibliothek bezeichnet, Bücher einscannen und öffentlich zugänglich machen könnte – eine Praxis, die von E-Book-Piraten und nicht von Bibliotheken ausgeübt wird.“

Neue Aspekte des zweijährigen Rechtsfalls – Verlage vs. Internet Archive

In einer neuen Wende bezüglich der Klage, haben erst Anfang Juli diesen Jahresmitgliedsunternehmen der Association of American Publishers (AAP) an ein Bundesgericht in Manhattan einen Antrag auf ein summarisches Urteil in der Urheberrechtsverletzungsklage gegen Internet Archive gestellt. Ebenso Anfang Juli reichte die Electronic Frontier Foundation (EFF) einen 45-seitigen Schriftsatz zur Unterstützung ihres Antrags auf ein summarisches Urteil im Namen von Internet Archive (IA) ein. Darin fordern sie das Bundesgericht in New York City auf, die Klage der Verlage abzuweisen. Sie führten das Argument an, es handele sich um einen Versuch, die Bibliotheksausleihe zu kriminalisieren. Ein summarisches Urteil ist eine Möglichkeit für eine Partei, einen Fall ohne Gerichtsverfahren zu gewinnen.

Ausgang des Rechtsfalles für alle Bibliotheken maßgebend

Wie The Hill resümiert, so könnte

„der Ausgang des Falles über die Frage hinausgehen, ob die Open Library weitergeführt werden kann. Das Ergebnis könnte die Funktionsweise von Bibliotheken in der Zukunft beeinflussen, wenn mehr Institutionen in der Lage sind, diese Form des kontrollierten digitalen Verleihs zu übernehmen“.

Robert Brauneis, Professor für geistiges Eigentum an der George Washington University Law School, präzisiert:

„Wenn zu Gunsten des Internet Archive entschieden würde, dass einige oder alle Aktivitäten des Internet Archive als faire Nutzung gelten, wäre das eine enorme Verschiebung des derzeitigen Gleichgewichts zwischen den Urheberrechtsinhabern auf der einen Seite und den Nutzern und Vertreibern auf der anderen Seite.“

Über

Antonia ist bereits seit Januar 2016 Autorin bei der Tarnkappe. Eingestiegen ist sie zunächst mit Buch-Rezensionen. Inzwischen schreibt sie bevorzugt über juristische Themen, wie P2P-Fälle, sie greift aber auch andere Netzthemen, wie Cybercrime, auf. Ihre Interessen beziehen sich hauptsächlich auf Literatur.