Vertreter von Ungarn, die die Ratspräsidentschaft inne haben, bringen die umstrittene Chatkontrolle zurück auf die Tagesordnung der EU.
Der Nachrichtendienst Contexte berichtete gestern hinter einer Paywall Neuigkeiten zum Thema Chatkontrolle. Ungarn will heute eine geringfügig geänderte Version der Chatkontrolle auf die Tagesordnung der Europäischen Union setzen. Eigentlich hatte man die Abstimmung ja schon vor Wochen vertagt. Das Online-Magazin Politico leakte die Detailänderung des Gesetzentwurfes. Demnach soll die fehleranfällige Suche nach unbekanntem Material nur noch freiwillig vollzogen werden. Zumindest diese Pflicht würde wegfallen.
Anbieter müssten Hintertüren für Verschlüsselung einrichten
Man plant aber weiterhin die automatisierte Durchsuchung und gegebenenfalls Ausleitung privater Kommunikation, darunter auch Ende-zu-Ende-verschlüsselte Chats. Und zwar solche, die zuvor klassifizierte verdächtige Fotos oder Videos enthalten sollen.
Lehnt ein Nutzer diese „Upload-Moderation“ im Rahmen der Chatkontrolle ab, könnte er keinerlei Bilder, Videos oder URLs mehr senden oder empfangen. Die Betreiber der Messenger Signal und Threema haben angekündigt, dass sie ihre Dienste in dem Fall innerhalb der EU einstellen. Wer sich weigert, die Hintertüren für die Behörden einzubauen, muss zudem mit drakonischen Strafen rechnen. Signal und Threema wollen die vorgeschlagene automatisierte Massenüberwachung, also das so genannte „Client-Side Scanning“, keinesfalls umsetzen.
Messenger wären bei Einführung der Chatkontrolle nicht länger nutzbar
Der Jurist und ehemalige Europaabgeordnete der Piratenpartei, Patrick Breyer, ruft zu Protest auf.
„Im Juni gab es unter massivem öffentlichen Druck noch eine hauchdünne Sperrminorität zur Rettung des Digitalen Briefgeheimnisses. Aber kaum bemerkte Blitzaktionen, zwischenzeitliche Regierungswechsel und Minimalzugeständnisse können das schnell ändern. Falls die Chatkontrolle kommt, werden wir gängige sichere Messenger ganz einfach nicht mehr nutzen können. Das bedeutet, wir verlieren den Kontakt zu unseren Freunden und Kollegen in der ganzen Welt“, warnt Breyer.
„Wollen wir wirklich, dass Europa weltweit führend beim Abhören unserer Smartphones und der flächendeckenden Überwachung der Chats von Millionen gesetzestreuer Bürger wird?
Das Europäische Parlament ist überzeugt, dass diese orwellsche Chatkontrolle das dringliche Anliegen eines besseren Kinder- und Opferschutzes verrät, weil sie unweigerlich vor Gericht scheitern wird. Es fordert deshalb einen wirklich wirksamen Kinderschutz durch sicherere Apps, proaktive Säuberung des Internets und eine Pflicht zur Löschung illegaler Inhalte – nichts davon ist in dem dem neuesten Orban-Vorstoß vorgesehen, zu dem sich die Regierungen morgen positionieren sollen. Jetzt liegt es an uns ihn zu stoppen!“
Die Änderungen sind nichts weiter als Augenwischerei
Die Chatkontrolle auf vermeintlich „bekannte“ illegale Inhalte beschränken zu wollen, bezeichnet Breyer als Augenwischerei. „Egal mit welchem Ziel – auch die Post darf nicht einfach jeden Brief verdachtslos öffnen und durchschnüffeln.
Gerade die von US-Konzernen schon heute freiwillig praktizierte Durchleuchtung nach vermeintlich bekannten Inhalten führt zur Ausleitung tausender völlig legaler privater Chats, zur Überlastung der Strafverfolger und zur massenhaften Kriminalisierung Minderjähriger. Massenüberwachung ohne jeden Anlass zerstört das digitale Briefgeheimnis und sichere Verschlüsselung, auf die wir alle und auch unsere Kinder dringend angewiesen sind.“
Weitere Informationen und Hintergründe zum Thema Chatkontrolle kann man hier einsehen.