Ich frage mich, ob das Netz nicht - was die Themen anbelangt - im Abseits steht. Das Netz ist gnadenlos, seine Trolle nicht minder.
Es geht um Stimmungen im Netz. Oder sagen wir besser: Gefühle. Denn auch das Netz hat Gefühle … oder keine (wo welche sein sollten). Stellen wir uns vor, das Netz – unser persönliches Netz – wäre ein Mensch. Hirn, Herz, Magensäfte und das alles! Was für einen Menschen hätten wir vor uns?
Das Netz ist gnadenlos
Jeder hätte – versteht sich – einen anderen Menschen vor sich. Akzeptiert …
… aber wenn ich mir meinen Menschen vorstelle, dann sehe einen Endvierziger, nicht dumm, aber von gesetztem Wesen. Technikertyp, unaufgeregt. Die großen Fragen sind gestellt. Ausgelagert oder schlichtweg vergessen. Jeden Tag fährt er in eine große Behörde. Dort übersieht er, was die Menschen mit ihrer Arbeit und wieder mit den Menschen verbindet. Es gab eine Zeit, da hat er sich eingemischt – Teil einer Abteilung und Teil einer Neuerungsbestrebung. Nun denkt er von innnen und von oben.
Seine Tochter fragt ihn neuerdings. Ob er ein Mitgefühl habe, eine Beteiligung. Ob in seinem Wesen Platz sei für eine Empörung. Wie er zu Kriegen stehe? Wie er zu Armut stehe, zu Hunger und zu Tod? Wenn ihm jede Strecke technisch überwindbar sei, wie könne es dann sein, dass er diese Entfernung nicht überwinden wolle? In manchem Vorgarten sei mehr Platz für Mitgefühl als in seinem Rechenzentrum.
Sie habe ihn oft von seiner Jugend reden hören. Sie frage sich, ob das Alter ihm nicht einen Streich spiele. Ihr scheine nicht, dass es diese Jugend einmal gegeben habe. Dieses Gerede von der Ungesetzlichkeit, vom Tausch – alles für alle, von einem digitalen Bürgertum ohne Grenzen. Von Inhalten, die frei seien. Nun stelle die Jugend der Welt die Fragen. Offline! Und digital! Seine Antwort aber seien visuelle Effekte. Runde Buttons werden zu eckigen Buttons. Wir wagen den Metallic Look! Aus Wahrheit wurde Licht. Aus Licht wurde Design. Und Design sei Leugnung!
Trolle sind nicht minder gnadenlos
Er sei doch so stolz auf seine Verknüpfungen. Wie könne es da sein, dass er zu allen Dingen keine Meinung habe? Es entstehe eine Unterkunft für Asylanten vor seiner Haustür. Die Nachbarn lägen im Streit miteinander. Sei er kein Nachbar? Ein ebenso großer wie alter Dichter habe gefordert, dass jeder Bürger einen Flüchtling aufnehmen solle. Er habe das Thema in die Wohnzimmer getragen. Ein Mann, der raues Papier mit einer Feder bekratzte!
Die Frage sei doch, was er, der Vater, mit sich anstelle. Welchen Wert er sich beimesse. Seine Intelligenz, sein Wissen, seine Erfahrung gebe er für einen auskömmlichen Ruhestand in Anzahlung. Er tausche ein Leben gegen ein bloßes Nachleben. Und gebe es zwischenzeitlich in Verwahrung. Für ihn sei die Welt zur Scheibe geworden. Eigentlich zum Teller. Und dieser Teller passe ihr nicht zu einer Welt, die eine Welt auf der Flucht geworden sei.
So fragt sie neuerdings, seine Tochter. Das sei sicherlich nicht so gemeint, wie es gesprochen sei, denkt er. Es wird wohl ein Hinweis sein, dass er sich Mühe zu geben habe in diesen hochchristlichen Einkaufstagen.
Einen solchen Menschen sehe ich, wenn ich dem Netz ein menschliches Gesicht gebe. Und ich weiß nicht, ob er mir sympathisch ist ;)
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Tarnkappe.info