Patrick Breyer wird den Tarnkappenlesern Fragen beantworten zum aktuellen EuGH-Urteil, also zur rechtlichen Seite der Speicherung von IP-Adressen
Wir planen ein baldiges Interview mit Patrick Breyer. Der schleswig-holsteinische Piraten-Abgeordnete wollte mit seiner Klage gegen die Bundesregierung erreichen, dass man es den Bundesministerien untersagt, die IP-Adressen von Besuchern über längere Zeit zu speichern. Auf diese Weise könnten sie ein Profil über ihre Besucher erstellen. Grundsätzlich ging es ihm um eine allgemeine Rückeroberung des Internets als freien Informations- und Kommunikationsraum ohne Überwachung. Wir bitten alle Leserinnen und Leser um ihre Teilnahme. Bringt bitte Fragen zu diesem Interview ein. Wir hoffen auf eine rege Beteiligung. Einsendeschluss ist der 30. November 2016.
Bitte Fragen an Patrick Breyer einreichen
Wir haben am 20.10.2016 über ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) berichtet, dass gleich zwei Fragen beantworten sollte, nämlich:
Sind dynamische IP-Adressen von Internetnutzern personenbezogene Daten? Und: Dürfen die Webseitenbetreiber sie nach der Nutzung der Seite dauerhaft speichern?
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 19.10.2016 in einem Urteil verkündet, dass dynamische IP-Adressen personenbezogene Daten sein können und dem Datenschutzrecht unterliegen. Zum anderen erklärte er aber einen Teil des deutschen Telemediengesetzes für ungültig, nach dem diese und andere personenbezogene Daten außer zu Abrechnungszwecken nur nach Einwilligung der Nutzer gespeichert werden dürften.
Anlass des EuGH-Urteils war eine Klage des schleswig-holsteinischen Piraten-Abgeordneten Patrick Breyer. Der Jurist und Datenschutz-Aktivist wehrte sich gegen die Speicherung von dynamischen IP-Adressen beim Besuch von Bundes-Websites, etwa der Homepage des Bundesjustizministeriums. Breyer hatte seine Klage bereits im Jahr 2007 in der untersten Instanz eingereicht. Seitdem zog sich die Sache bis zum BGH. Er wollte durchsetzen, dass es den Bundesministerien untersagt wird, die IP-Adressen von Besuchern über längere Zeit zu speichern, da auf diese Weise ein Profil über ihn erstellt werden könnte. Mehr als acht Jahre dauert der Weg des Piraten-Politikers durch die Instanzen schon.
Nun hat sich Patrick Breyer bei uns persönlich bedankt für die Veröffentlichung dieses Beitrages. Zudem hat er sich auf unsere Anfrage hin, dazu bereit erklärt, auch einige Fragen in Form eines Interviews zu beantworten.
Patrick Breyer gab uns außerdem zu dem Thema noch einige konkretere Informationen, die wir mit seiner Erlaubnis hier veröffentlichen dürfen:
EuGH erlaubt Surfprotokollierung oder Datenspeicherung? Irrtum!
Dankenswerterweise berichtet tarnkappe.info über das EuGH-Urteil zur Aufzeichnung des Surfverhaltens anhand von IP-Adressen. Die Überschrift zu dem Artikel ist allerdings irreführend. Die dpa titelt treffender: „EuGH-Urteil: Speicherung von IP-Adressen könnte rechtmäßig sein“.
Auch in anderen Reaktionen und Berichten zu dem Urteil bin ich immer wieder auf drei irrtümliche Schlussfolgerungen gestoßen, vor denen ich warnen möchte. Aus dem inzwischen vollständig vorliegenden Urteil ergibt sich:
1. Der Gerichtshof hat keineswegs entschieden, dass man unser Surfverhalten im Internet oder unsere IP-Adressen zur Abwehr von Angriffen, zur “Missbrauchsbekämpfung” oder zur “Störungsbeseitigung” verdachtslos auf Vorrat speichern darf.
In Abs. 60 des Urteils heißt es nur in der Möglichkeitsform, Anbieter von Internetportale “*könnten* … ein berechtigtes Interesse daran haben, die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der von ihnen allgemein zugänglich gemachten Websites über ihre konkrete Nutzung hinaus zu gewährleisten.” Ob das tatsächlich der Fall ist und deswegen die Internetnutzung aller Bürger auf Vorrat gespeichert werden darf, werden die deutschen Gerichte entscheiden. Ich werde dafür kämpfen, dass rechtstreue Internetnutzer nicht aufgezeichnet werden und anonym surfen dürfen.
Anlasslose Speicherung muss man beenden
Allenfalls eine zielgerichtete Speicherung der Quelle eines Angriffs wäre akzeptabel. Nicht aber die dauerhafte und flächendeckende Aufzeichnung des Surfverhaltens völlig ungefährlicher Nutzer. Auch bei einer Speicherdauer von beispielsweise sieben Tagen wäre es inakzeptabel, das Surfverhalten der gesamten Bevölkerung – also von Nutzern, die mit Angriffen nicht das Entfernteste zu tun haben – flächendeckend aufzuzeichnen und sie dadurch Fehler- und Missbrauchsrisiken auszusetzen.
Ein Gerichtsgutachten und die Praxis vieler Internetportale (z.B. Bundesdatenschutzbeauftragter, Bundesjustizministerium) belegen, dass Internetangebote auch ohne totale Aufzeichnung des Nutzerverhaltens sicher betrieben werden können. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden[2], dass Internetnutzer vor einer Aufzeichnung ihres Nutzungsverhaltens geschützt sind.
2. Der Gerichtshof hat das deutsche Telemediengesetz nicht für ungültig erklärt. Das Telemediengesetz darf nur nicht mehr so ausgelegt werden, dass es eine Datenverarbeitung zur Gewährleistung der generellen Funktionsfähigkeit eines Dienstes von vornherein ausschließt. Ob und inwieweit eine Surfprotokollierung zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist, wurde vom EuGH nicht entschieden und wird der Bundesgerichtshof zu entscheiden haben. Das Telemediengesetz bestimmt nach wie vor (§ 15 TMG).
“Der Diensteanbieter darf personenbezogene Daten eines Nutzers nur erheben und verwenden, soweit dies erforderlich ist, um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen (Nutzungsdaten).“
Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung betont, darf die Internetnutzung nicht inhaltlich festgehalten und damit rekonstruierbar bleiben. Als Generation Internet haben wir das Recht, uns im Netz ebenso unbeobachtet und unbefangen informieren zu können, wie es unsere Eltern aus Zeitung, Radio oder Büchern konnten. Unser Leben wird immer digitaler, aber es darf damit nicht immer gläserner werden.
P.S.: Mittlerweile haben wir das Interview mit Patrick Breyer veröffentlicht.
Tarnkappe.info
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