Filesharing
Filesharing
Bildquelle: bluebay2014

Filesharing: Über 70-Jährige ohne PC soll Filesharing betrieben haben

Das LG Köln verurteilte die über 70-jährige Mutter eines Freifunkers ohne eigenen PC auch in zweiter Instanz wegen Filesharing.

Das Landgericht Köln (LG) bestätigte aktuell am 23.09.2021 (Az. 14 S 10/20) ein Urteil des Amtsgerichts Köln (AG). Somit sah es das Gericht „mittels gewagter richterlicher Tatbestandsergänzung des Telemediengesetzes“ als erwiesen an, dass eine über 70-jährige Frau Filesharing betrieben hätte. Folglich soll sie 2000 € Schadensersatz zahlen, berichtet Beata Hubrig, Rechtsanwältin und Freifunkerin aus Berlin, auf dem Blog Freifunk statt Angst.

Warner Bros. verklagt über 70-Jährige auf Schadenersatz wegen Urheberrechtsverletzung

Ursprünglich ging es in dem Verfahren um die illegale Zurverfügungstellung von urheberrechtlich geschützten Filmaufnahmen über eine Tauschbörse. Der Beklagten wurde durch eine beauftragte Firma unter Zuhilfenahme eines „Forensic-Systems“ nachgewiesen, dass über ihren Internetanschluss Filmmaterial zum Download auf einer Tauschbörse angeboten wurde, obwohl die Beklagte hierzu nicht berechtigt war. Allein die Klägerin, Warner Bros., hatte die uneingeschränkten Rechte an dem Film. Sich darauf berufend verschickte Warner Bros. eine Abmahnung und verlangt zudem einen Schadensersatz in Höhe von 2.000 €.

Gericht fordert in Filesharing-Fällen Erfüllung einer sekundären Darlegungslast

Die Klägerin, also Warner Bros., trägt eine Darlegungs- und Beweislast. Daher muss sie auch nachweisen, dass die Beklagte für die behauptete Urheberrechtsverletzung verantwortlich ist. Allerdings spricht eine tatsächliche Vermutung für die Täterschaft des Anspruchsinhabers, wenn keine andere Person den für die Urheberrechtsverletzung infrage kommenden Internetanschluss benutzen konnte.

Diese Vermutung wird dann widerlegt, wenn der Internetanschluss zum Verletzungszeitpunkt auch von anderen Personen benutzt werden konnte. In diesen Fällen trifft den Anschlussinhaber allgemein eine sekundäre Darlegungslast. Die AnschlussinhaberIn muss folglich hierfür darlegen, wer konkret alles auf ihren Internetanschluss Zugriff hat. Das schließt ein, dass sie vor Gericht ausführen muss, wer Filesharing-Programme bedienen kann bzw. wer von den Personen für die Tat aufgrund der bisherigen Erfahrungen infrage kommen könnte. Sie muss die Vermutung ihrer eigenen Täterschaft ausräumen, indem sie weitere dafür infrage kommende Personen benennt.

Beklagte hat weder Computer noch Filesharing-Software

Vor Gericht gab die alte Frau an, weder Computerkenntnisse zu haben, noch einen eigenen Computer zu besitzen. Ahnung davon zu haben, wie überhaupt Filesharing via Tauschbörse funktioniert, verneinte sie ebenso. Ihr Sohn hat allerdings in seinem Haus einen Freifunk-Knoten eingerichtet. Sie sei als Anschlussinhaberin ausgewiesen und damit Vertragspartnerin des Providers. Somit ist sie Diensteanbieterin, indem sie Dritten den Zugang zum Internet gewährt.

Erfüllung der sekundären Darlegungslast zwingende Voraussetzung für Freispruch

In dem Fall konnte jedenfalls die Beklagte niemanden anderes konkret benennen, der für die Urheberrechtsverletzung sonst noch verantwortlich sein könnte. Sie erfüllte die sekundäre Darlegungslast nicht. Somit unterstellt ihr infolge das Gericht, dass sie selbst beide Urheberrechtsverletzungen an dem Rechner ihres Sohnes oder den ihres Ehemannes hätte vornehmen können. Auch die Bekundungen der Frau, aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters keine PC-Kenntnisse zu haben, ignorierte das Gericht. Stattdessen wurde ihr vorgeworfen, sie „habe fahrlässig Filesharing betrieben. Diese Ansicht begründen die erkennenden Richter mit langjähriger Erfahrung in Filesharing-Fällen“.

Beklagte als Opfer der Rechtssprechung?

Im Endergebnis hat die Frau nun 2000 € Schadensersatz zu zahlen. Auch in dem Fall geht das Gericht automatisch davon aus, dass die Beklagte für die Rechtsverletzungen verantwortlich ist und dafür aufkommen muss.

Als Fazit führt Beata Hubrig aus:

„Vor deutschen Gerichten ist mittlerweile die Verteidigung von AnschlussinhaberInnen gegen den Vorwurf, mittels Filesharing eine Urheberrechtsverletzung begangen zu haben solange aussichtslos, bis die AnschlussinhaberIn die TäterIn ermittelt und deren Namen und ladungsfähige Adresse den RechteverwerterInnen mitteilt. […]

Diese fehlerhafte Gesetzesanwendung untergräbt das gesetzgeberische Versprechen, AnschlussinhaberInnen könnten und sollten problemlos ihre Anschlüsse teilen: Die Haftungsgefahr aufgrund Handlungen Dritter war ja spätestens mit der Novellierung des Telemediengesetz im Herbst 2017 abgeschafft. Dort hatte der Gesetzgeber der gesellschaftlichen Notwendigkeit Ausdruck verliehen, Internet-Anschlüsse zu teilen. […]

BürgerInnen, die ihren Anschluss mit Dritten teilen, wie die bundesweit von der Politik unterstützen FreifunkerInnen, sind darauf angewiesen, ihre Daten selber mittels privater Einrichtung wie z. B. VPN durch das Ausland ins Internet zu senden, um sich vor unberechtigten Ansprüchen einiger RechteverwerterInnen zu schützen.

Die zarte Pflanze der Digitalisierung wird mit dieser Rechtsprechung zertrampelt.“

Tarnkappe.info

Über

Antonia ist bereits seit Januar 2016 Autorin bei der Tarnkappe. Eingestiegen ist sie zunächst mit Buch-Rezensionen. Inzwischen schreibt sie bevorzugt über juristische Themen, wie P2P-Fälle, sie greift aber auch andere Netzthemen, wie Cybercrime, auf. Ihre Interessen beziehen sich hauptsächlich auf Literatur.