Tarnen, täuschen, melden: Die KI imitiert ein Opfer, um Täter zu entlarven.
Tarnen, täuschen, melden: Die KI imitiert ein Opfer, um Täter zu entlarven.
Bildquelle: ChatGPT

Cybercrime 2.0 vs. ScamChatBot: AI-Arnie sagt Online-Betrügern den Kampf an

Cybercrime 2.0 trifft auf ScamChatBot AI-Arnie: Mit cleverer KI wollen Forscher Online-Betrügern den Geldhahn abdrehen.

Cybercrime 2.0 ist mehr als nur digitaler Taschendiebstahl – es ist ein globaler Wirtschaftsfaktor mit krimineller Energie. Phishing, Fake-Shops, KI-generierte Deepfakes: Die Methoden werden raffinierter, die Täter professionell, gut organisiert und meist schneller als die Ermittler. Doch jetzt kommt Gegenwehr mit dem ScamChatBot. Forscher aus Deutschland kontern mit einem System, das vorgibt, Opfer zu sein – aber in Wahrheit auf Täterjagd geht: ScamChatBot „AI-Arnie“.

Lockvogel-KI gegen Milliardenbetrug

Cybercrime 2.0 ist ein florierendes Geschäft. Doch mit ScamChatBot bekommen die Täter nun ein digitales Gegenüber, das ihnen auf Augenhöhe begegnet. Gemäß einem aktuellen Bericht der Tagesschau hat ein Team rund um das CISPA Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit den ScamChatBot entwickelt. Eine KI, die sich in betrügerische Chats einschaltet, vorgibt, naiv zu sein, und die Täter so zu Aussagen verleitet. Ziel ist es, Kontodaten, Wallet-Adressen und andere Hinweise zu erfassen und an Unternehmen wie PayPal oder Plattformen wie X, Warnplattformen für Kryptotrading und Chainabuse weiterzuleiten, damit diese gezielt einschreiten können – und Accounts sperren lassen.

Sobald ein Krimineller eine Zahlungsaufforderung stellt, greift das System ein und meldet die Daten automatisch an entsprechende Stellen wie PayPal. So sollen Opfer geschützt und betrügerische Konten deaktiviert werden, bevor es zu Transaktionen kommt. Thorsten Holz, IT-Sicherheitsforscher vom CISPA Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit, informierte:

Wir haben ein System gebaut, das automatisch mit Betrügern interagiert. […] Solche Systeme können frühzeitig Warnzeichen erkennen. Und vor allem: Sie können verhindern, dass überhaupt Geld fließt.

Das System ist so programmiert, dass es auf eigene Faust agiert – und zwar rund um die Uhr.

18.000 Chats, 500 Treffer – und ein Mega-Impact

Gemäß den Informationen von Tagesschau führte ScamChatBot in einem Zeitraum von nur vier Monaten über 18.000 Gespräche mit mutmaßlichen Online-Betrügern. In rund 500 Fällen konnten konkrete Zahlungsdaten gesammelt werden: darunter Wallets, PayPal-Konten, Scam-Links.

Laut den Forschern reagierte X prompt: 84 % der gemeldeten Profile wurden als betrügerisch eingestuft, 1,4 Millionen verknüpfte Accounts wurden sanktioniert oder gelöscht. Ein Schlag ins Herz vieler Betrugsnetzwerke – zumindest kurzfristig.

Cybercrime 2.0 vs. ScamChatBot – Die Masche: Naiv tun, gezielt ausfragen

Das Prinzip ist simpel, aber effektiv: Die KI gibt sich als unwissender Chatpartner aus, spielt Interesse an dubiosen Angeboten und Hilfestellungen vor. In fast allen Fällen kommt es nach spätestens sieben Nachrichten zur Nennung eines Zahlungsweges.

„Unsere KI kann diese Profile dann dokumentieren – samt Wallet-Adresse, PayPal-Konto oder Telegram-Kanal.“, verdeutlicht Projekt-Mitentwickler Bhupendra Acharya. Die KI zieht die Täter in Gespräche, verzögert angebliche Überweisungen – um weitere Details zu gewinnen. Im Hintergrund laufen Datenabgleiche mit Warnplattformen, während die KI bereits den nächsten Betrüger kontaktiert.

Das System nutzt verschiedene Identitäten. Sobald es auf betrügerische Profile, etwa auf X, stößt, startet es automatisch eine Konversation. Aktuell arbeiten die Forscher daran, das System so zu erweitern, dass es künftig auch Telefonate mit Betrügern führen kann.

Cybercrime 2.0 vs. ScamChatBot: AI-Arnie sagt Online-Betrügern den Kampf an
Cybercrime 2.0 vs. ScamChatBot: AI-Arnie sagt Online-Betrügern den Kampf an

Hinter den Kulissen: Scam-Fabriken und Zwangsarbeit

Der Milliardenmarkt Online-Betrug ist längst industrialisiert. Gemäß den Vereinten Nationen entstehen vor allem in Myanmar, Laos und Kambodscha regelrechte Scam-Fabriken – betrieben von Banden, geschützt durch korrupte Strukturen. Laut UN-Analyst Benedikt Hofmann werden dort bis zu 100.000 Menschen zur Online-Kriminalität gezwungen – oft unterstützt durch Tools wie ChatGPT.

Der jährliche Schaden liegt laut UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung in Südostasien bei rund 40 Milliarden US-Dollar – und wächst. Betrüger nutzen ebenfalls KI, um Sprachbarrieren zu überwinden, Texte automatisch zu generieren und zeitgleich Tausende Opfer anzuschreiben.

Deutschland: Cybercrime kommt auch hier an

Auch im aktuellen Bundeslagebild Cybercrime zeichnen sich düstere Trends ab:

  • Über 130.000 registrierte Fälle mit Tatort in Deutschland
  • Ca. 202.000 grenzüberschreitende Taten
  • Cybercrime-as-a-Service boomt: Betrugssoftware, Fake-Accounts und Deepfake-Stimmen sind käuflich

Besonders im Bereich Anlagebetrug steigen die Fallzahlen rapide, bestätigt Oberstaatsanwalt Nino Goldbeck gegenüber Tagesschau. Die Strafverfolgung ist oft schwierig – besonders, wenn Täter aus Staaten operieren, die keine Zusammenarbeit leisten.

Angriff der Bots: KI trifft auf ihren dunklen Zwilling

Laut den Entwicklern reagieren manche Betrüger in unter einer Sekunde – ein klares Zeichen für den Einsatz von Bots. Etwa ein Viertel aller beobachteten Accounts nutzt automatisierte Antworten, teils mit verblüffender Qualität. Das bedeutet: Cybercrime 2.0 ist längst ein KI-Wettrüsten.

Die nächste Welle an Betrugs-KI ist unterwegs“, warnt Thorsten Holz. ScamChatBot sei daher kein Allheilmittel, aber ein dringend nötiger Hebel, um Plattformen, Behörden und Zahlungsdienste frühzeitig zu alarmieren – bevor Opfer in die Falle tappen.

Fazit: Cybercrime 2.0 ist Realität – und AI-Arnie ist eine Antwort darauf

Die Ära des digitalen Betrugs hat sich professionalisiert. ScamChatBot „AI-Arnie“ ist ein cleverer, technischer Gegenschlag – aber eben nur ein Baustein im Kampf gegen ein komplexes Ökosystem aus Menschenhandel, KI-Missbrauch und international agierenden Tätern.

Die Forscher liefern ein Werkzeug mit Potenzial – doch wer Cybercrime 2.0 aufhalten will, braucht mehr: globale Kooperation, technische Aufklärung und Menschen, die hinschauen.

Über

Antonia ist bereits seit Januar 2016 Autorin bei der Tarnkappe. Eingestiegen ist sie zunächst mit Buch-Rezensionen. Inzwischen schreibt sie bevorzugt über juristische Themen, wie P2P-Fälle, sie greift aber auch andere Netzthemen, wie Cybercrime, auf. Ihre Interessen beziehen sich hauptsächlich auf Literatur.