Netzpolitischer Jahresrückblick, Berlin, Netzpolitik, Online-Wahlen
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Netzpolitik: Bilanz der Legislaturperiode – über VDS, Trojaner, BND & NSA

Die Große Koalition hat in den letzten vier Jahren wichtige Entscheidungen zur Netzpolitik getroffen. Diese sollen hier aufgelistet und eingeordnet werden.

Die Große Koalition hat in den letzten vier Jahren eine Reihe von wegweisenden Entscheidungen zum Thema Netzpolitik getroffen. In den meisten Fällen folgte sie dabei dem Trend der letzten Jahre, Freiheiten einzuschränken und die Möglichkeiten der Behörden zum Eingreifen zu erweitern. Neben der Überwachung war vor allem die Bekämpfung unerwünschter Inhalte wie Hasspostings und Fake News ein großes Thema. Auch hierbei entschied sich die Regierung letztlich für eine relativ autoritäre Vorgehensweise. Einen Erfolg feierten Netzaktivistinnen und -aktivisten dagegen mit der erst teilweisen, dann kompletten Abschaffung der Störerhaftung.

Die lange Debatte um die Vorratsdatenspeicherung

Netzpolitik Tarnkappe Magazin, NetzpolitikAuch nachdem sie 2010 aus verfassungsrechtlichen Gründen ausgesetzt wurde, war die Vorratsdatenspeicherung ein netzpolitisches Dauerbrenner-Thema. Die von 2009 bis 2013 regierende schwarz-gelbe Koalition konnte sich nicht auf eine neue, verfassungsmäßige Umsetzung einigen. Zu groß war der Widerstand der alten FDP-Garde gegen die umstrittene Sicherheitsmaßnahme. Doch die 2013 gewählte Große Koalition griff das Thema sofort wieder auf und suchte verstärkt nach einem verfassungsmäßigen und innerhalb der Regierung konsensfähigen Umsetzung.

Innerhalb der SPD kam es aufgrund dieses Themas zu einigen Reibereien, weil prominente Politiker, vor allem Bundesinnenminister Heiko Maas, ihre Positionen zu diesem Thema radikal änderten. Verkündeten sie zunächst, die Vorratsdatenspeicherung entschieden abzulehnen, wurden sie angesichts politischen Drucks schnell zu ebenso entschiedenen Befürwortern einer Wiedereinführung. So wurde binnen kürzester Zeit eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Eine öffentliche Debatte wurde durch das schnelle Tempo – und die geschickte Ausnutzung ablenkender Faktoren – fast völlig vermieden.

Nötig ist die Vorratsdatenspeicherung angeblich vor allem zur Bekämpfung des Terrorismus. Kaum beschlossen, will man sie jedoch schon auf eine ganze Reihe harmloserer Delikte, unter anderem Einbruchdiebstahl, ausweiten. Damit setzt sich ein Muster fort, das in den letzten Jahren häufig zu beobachten war.

Ob es jedoch tatsächlich zu einer flächendeckenden Einführung der Vorratsdatenspeicherung kommt, ist fraglich. Die NGO Digitalcourage hat Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz eingereicht. Zudem ist die Vorratsdatenspeicherung auch auf EU-Ebene mehr als umstritten, seit der EuGH zu dem Schluss kam, dass eine anlasslose Speicherung, wie sie die Vorratsdatenspeicherung zweifellos darstellt, gegen die EU-Grundrechtscharta verstößt. Somit ist davon auszugehen, dass die Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung auch die im September neu zu wählende Bundesregierung noch beschäftigen wird.

Neues von den Behörden-Trojanern

Die Nutzung von Staatstrojanern wurde in der nun ablaufenden Legislaturperiode massiv voran getrieben. Dabei ließ sich die Bundesregierung von technischen und juristischen Bedenken keineswegs abhalten. Immer mehr Menschen nutzen bei ihrer Kommunikation per Internet digitale Selbstverteidigungsmaßnahmen, insbesondere Verschlüsselung. Das liegt einerseits an einem (unter anderem durch die Snowden-Enthüllungen begründeten) steigenden Bewusstsein für IT-Sicherheit und Datenschutz in der Bevölkerung begründet. Andererseits stellen aktuell immer mehr populäre Messenger auf eine standardmäßige oder zumindest einfach nutzbare Verschlüsselung um.

Die Bundesregierung ist der Ansicht, dass diese Tendenz hin zu mehr Verschlüsselung die Kriminalitätsbekämpfung erschwert. Deswegen forcieren sie die Nutzung des Staatstrojaners für die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung. Dabei wird die behördliche Überwachungs-Software auf dem Zielgerät installiert und anschließend dazu benutzt, digitale Kommunikation mitzulesen, bevor sie für die Übertragung verschlüsselt wird. Kürzlich wurde die Nutzung des Staatstrojaners sogar auch für Alltagskriminalität freigegeben. Nachdem bisherige, von Drittanbietern gekaufte Software sich als technisch unzureichend und juristisch nicht tragbar erwies, wurde das BKA verpflichtet, eine eigene Überwachungs-Software zu entwickeln. Diese soll nach einigen Schwierigkeiten und Verzögerungen laut eigener Aussage des BKA noch vor Jahresende fertig werden. Es ist somit davon auszugehen, dass die Nutzung von Staatstrojanern nach dem Willen der Bundesregierung nicht eingeschränkt, sondern im Gegenteil noch ausgebaut werden soll. Darauf weisen die Bemühungen der letzten Jahre deutlich hin. Gute Netzpolitik sieht freilich anders aus.

Wenig Greifbares vom NSA-Untersuchungsausschuss

Bildquelle EFF, thx! (CC BY 2.0)

Eines der großen netzpolitischen Themen dieser Legislaturperiode war der NSA-Untersuchungsausschuss. Dieser wurde ins Leben gerufen, um die von Edward Snowden aufgedeckten Überwachungsprogramme der NSA und insbesondere die Beteiligung deutscher Behörden an diesen kritisch zu durchleuchten.

Im Laufe seiner Arbeit deckte der Ausschuss viele relevante und schockierende Details der staatlichen Überwachung auf. Dazu zählen zum Beispiel Einzelheiten über die Geheimdienst-Überwachung am Netzknotenpunkt De-Cix in Frankfurt am Main sowie Informationen über die Überwachung von Journalisten durch den BND.

Allerdings fand von Anfang an ein erheblicher Teil der Ausschuss-Arbeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das ging so weit, dass ein Teil der Protokolle schließlich seinen Weg zu WikiLeaks fand und dort veröffentlicht wurde. Auch sonst legt man dem Ausschuss vielfach Steine in den Weg. So lässt sich abschließend sagen: die Ergebnisse des NSA-Untersuchungsausschusses sind zweifellos ebenso interessant wie bedeutsam. Erschöpfend indes sind sie auf keinen Fall. Es lässt sich nur spekulieren, welche weiteren Geheimdienst-Skandale bislang unaufgeklärt geblieben sind.

Das BND-Gesetz

Eng verbunden mit der Diskussion über die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses ist die über das BND-Gesetz. Auch dieses Gesetz zählt zu den wichtigsten – und für Datenschützerinnen und Datenschützern besorgniserregendsten – Entwicklungen in der Netzpolitik im Laufe der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode. Das BND-Gesetz soll nach Angaben der Bundesregierung dafür sorgen, dass man die Geheimdienste besser demokratisch kontrollieren kann.  In der Praxis ist aber eher das Gegenteil der Fall. Der BND erhält bedenkliche Zusatzbefugnisse. Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten weicht man hingegen weiter auf.

Besonders bedenklich ist eine Klausel, die kurzerhand definiert, dass alle Netzwerke, die (auch) ausländische Datenpakete transportieren, dem Ausland zuzuordnen sind. Damit darf der BND als Auslandsgeheimdienst Internet-Datenverkehr überwachen, selbst wenn sich die Netzwerk-Infrastruktur auf deutschem Boden befindet. Die vom NSA-Untersuchungsausschuss aufgedeckte Überwachung am De-Cix, bislang in einer rechtlichen Grauzone angesiedelt, wird dadurch legalisiert. Ein Gutachten des Chaos Computer Club kam zu dem Schluss, dass diese Praxis ungerechtfertigt ist. Es ist anzunehmen, dass dieses Gesetz noch Gegenstand politischer Diskussionen wie auch gerichtlicher Auseinandersetzungen sein wird.

Die Abschaffung der Störerhaftung

Die Störerhaftung war jahrelang vielen Aktivistinnen und Aktivisten im Bereich der Netzpolitik ein Dorn im Auge. Sie besagte, dass im Falle eines Gesetzesverstoßes nicht nur der oder die eigentlich Schuldige, sondern auch die für die Netzwerk-Infrastruktur verantwortliche Person mit zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Diese Konstruktion führte dazu, dass es in Deutschland eine wesentlich schlechtere Versorgung mit offenen WLANs gab als in den meisten anderen EU-Ländern. Aus Sorge vor juristischen Konsequenzen trauten sich viele Deutsche nicht, offenes WLAN zur Verfügung zu stellen.

In dieser Hinsicht hat man in der vergangenen Legislaturperiode einen Durchbruch erzielt. Nach jahrelangen Kämpfen wurde die Störerhaftung erst mit Einschränkungen, kurz darauf komplett abgeschafft. Somit ist der Weg frei für eine flächendeckende WLAN-Versorgung. Einer der Auslöser war eine Entscheidung des EuGH im September 2016, die zu dem Schluss kam, dass zumindest geschäftliche WLAN-Betreiber nicht für Gesetzesverstöße ihrer Kundinnen und Kunden verantwortlich gemacht werden können.

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – autoritär gegen Hate Speech und Fake News

Heiko M., NetzpolitikSchon längst ist das Internet auch ein Ort von politischen Auseinandersetzungen und Propaganda. Auf themenbezogenen Seiten, aber auch auf Social-Media-Plattformen stehen entsprechende Fragestellungen häufig im Vordergrund. Leider handelt es sich dabei keineswegs immer um sachliche und respektvolle Diskussionen. Häufig mischen sich Beleidigungen und Hetze oder aber Lügen, Manipulation und Propaganda in den Dialog. Hate Speech, also hasserfüllte und diskriminierende Angriffe, die sich häufig gegen Minderheiten richten, sind online ein großes Problem. Ebenso problematisch sind Fake News, also propagandistische, manipulative Nachrichten, die sich als sachliche Berichterstattung tarnen.

Um dieser Problematik Herr zu werden, verabschiedete die Bundesregierung kürzlich das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Dieses verpflichtet Plattform-Betreiber, Hate Speech und Fake News innerhalb einer definierten Frist zu löschen. Kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach, drohen empfindliche Geldbußen.

Eine derart autoritäre Herangehensweise birgt allerdings einige Probleme. Insbesondere droht eine Überregulation – Infrastruktur-Betreiber, die ein Bußgeld fürchten, löschen Postings auf Verdacht. So drohen viele kontroverse, aber rechtmäßige Postings der Löschung zum Opfer zu fallen. Eine demokratische Diskussion wird dadurch erschwert. Schon George Orwell schrieb 1945 im Nachwort zu seinem Roman „Animal Farm: A Fairy Story“ folgendes: „Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.“ Genau dieses Recht wird durch wohlmeinende, aber schlecht durchdachte und unnötig restriktive Gesetze wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz eingeschränkt – zu Lasten der Demokratie und der Freiheit.

Unter anderem deswegen zieht das Netzwerkdurchsetzungsgesetz derzeit viel Kritik auf sich. Es ist davon auszugehen, dass diese Diskussion andauern wird.

Fazit der Netzpolitik: Wenig Licht, viel Schatten!

In den letzten vier Jahren hat sich vieles getan in der deutschen Netzpolitik. Trotz des Erfolgs bei der Störerhaftung hat sich aber aus aktivistischer Sicht vieles eher zum Schlechteren verändert. Eine Umkehrung dieses Trends ist angesichts aktueller Wahl-Prognosen und der Aussagen einflussreicher Politikerinnen und Politiker eher unwahrscheinlich. Das Thema Netzpolitik, so viel lässt sich wohl auch ohne Blick in die Kristallkugel sagen, wird auf absehbare Zeit ein kontroverses und heiß umkämpftes bleiben.

Bildquelle Beitragsbild:Felix Mittermeier, thx!

P.S.: Diese Zusammenfassung von Annika Kremer war Teil des aktuellen Tarnkappe Magazins mit dem Schwerpunkt Bundestagswahlen.

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