Die Leser der E-Books werden von den Buchpiraten unter der Fülle des kostenlosen Angebots begraben. Ob das gut ausgehen kann?
Die Urlaubszeit hat mir eine neue Erkenntnis gebracht. Von drei Readern besaßen zwei einen ‚Wenn-du-willst-kannst-du haben‘-Vorrat von mehreren zehntausend E-Books. Der dritte Urlaubsreader nahm das Angebot an und wurde in der Folge über einen landesüblichen Stick versorgt. Der Urlaub schließt fürsorglich die letzten Lücken der Direktversorung. Ein Kommentar von Spiegelbest.
Buchpiraten sind Sammler und Jäger
Es ist uns Buchpiraten gelungen, in der Breite aufzukaufen, was lesenswert ist. Es ist uns gelungen – so will es mir scheinen – jeden Reader bis zum Hals in unsere uferlose Sammlung einzutauchen. Vielleicht sind Regale mit leeren Buchrücken noch trostloser, möglich. Aber ich frage mich ehrlich, ob unsere riesige ungelesene Bibliothek irgendetwas von einer ungelesenen IKEA-Buchwand unterscheidet.
Die Buchleute sind schuld: Sie haben den Eindruck erweckt, als seien E-Books geschützt, wertvoll und wieder einklagbar. So hatten die digitalen Leser das Gefühl, das Lesen bevorraten zu müssen. Nichts davon ist wahr. Ein paar Slogans gegen Ladendienstahl wurden auf uns Buchpiraten übertragen. Und dann kam es, wie es kommen musste. Das digitale Zeugs lag auf der Straße und musste nur auf die Sackkarre geladen werden. Die Buchleute haben nicht begriffen, bis jetzt nicht einmal bemerkt, was vor sich geht.
Wir hatten einen Gegner, der überhaupt kein Gegner war. Natürlich werden wir es auf dem nächsten Streckenabschnitt mit Amazon zu tun bekommen. Wir werden überlegen müssen, ob es so weitergehen kann. Bis heute aber haben wir gut aufgestellt gegen einen nicht vorhandenen Gegner um jedes E-book gekämpft. Nun stehen wir da mit einer Endlostapete von nicht gelesenen Titeln. Jeder für sich stellt wohl fest, dass er über Leseproben nicht mehr hinauskommt. Wir sollten feststellen, dass uns allen das Lesen abhanden kam.
Ich gehe jetzt nicht auf die Details ein, aber wir schaufeln jeden Tag – JEDEN Tag! – durchschnittlich 80 E-Books in die Landschaft. Keine Ahnung, wo die Titel alle herkommen. Will ich auch nicht wissen. Aber es ist und bleibt eine Tageswanne voller Bücher, die niemand mehr liest. Und diese Titel sind nicht irgendwelche Heuler. Ich schätze mal, dass wir alles befreien und einsacken, was irgend titelmäßig von Interesse ist. Wir lassen keinen Autor aus, der einen Namen hat. Und selten den Titel einer vorrückenden Reihe.
Entschleunigung & weniger Warez für mehr Lesegenuss
Es wurde immer gesagt, dass wir den Autoren durch die Befreiung einen materiellen Schaden entstehen lassen. Davon bin ich nicht mehr überzeugt. Der Schaden, der entsteht, ist ein völlig anderer. Wenn ihr mich fragt: Wir gewöhnen den Leuten das Zu-Ende-Lesen ab, indem wir Wanne für Wanne, Tag für Tag über ihnen ausschütten. Am Ende haben wir ihnen komplett das Lesen abgewöhnt. (Nebenbei: Nicht nur wir, auch Amazon bekämpft mit Gratis-, Billig- und Bündeltiteln das genussvolle, das versinkende Lesen.)
Leute, ich will ja niemandem was wegnehmen, will eigentlich nur sagen, dass uns etwas verloren geht. Stellt euch mal vor, wir würden uns vornehmen, in 2015 nur einen Titel zu befreien. Kollektive Knappheit, leidenschaftliche Vorauswahl. Die Tage der Verkündung rücken immer näher, wir lesen den Autor, seine restlichen Bücher und würden uns vorfreuen wie ein Schneekönig. Das Lesen hätte wieder eine winterliche Religiosität. Es gäbe Feiertage.
Wir Buchpiraten haben unser Anliegen unter zehntausenden von geklauten Titeln begraben.
Wer hätte gedacht, dass es ein solches Ende nimmt … ;)
Bildquelle Lars Sobiraj, thx!