Den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages gibt es schon länger. Wir haben uns mit einem der 80 Mitarbeiter dieses Hauses unterhalten.
Den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages gibt es schon länger. Doch nur ein Bruchteil der Anliegen der Bürger landen tatsächlich im Bundestag. Wir haben uns mit einem der 80 Mitarbeiter dieses Hauses unterhalten. Worin liegt der Sinn der Institution, wenn die Politiker die meisten Petitionen einfach ignorieren? Oder ist das Ganze viel Lärm um nichts?
Wie effektiv arbeitet der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages?
Alles für die Tonne? Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages hat 2014 von den eingereichten 15.325 Anliegen lediglich 0,18% an die Bundesregierung weitergeleitet. Die Frage ist also: Sollte man das Ganze als einen Erfolg werten? Würde man Franziska Heine fragen, die die von der Stimmenzahl bislang erfolgreichste E-Petition mit 134.015 Mitzeichnern einreichte, sie würde den Sinn des Petitionsausschusses wahrscheinlich bestätigen. Im Fall des Gesetzes der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen konnte diese Petition zumindest für viel Medienecho sorgen. Man nannte sie auch Zensursula. Und dafür, dass das Zugangserschwerungsgesetz Ende 2011 wieder aufgehoben wurde. Dieses Interview haben wir erstmals im Mai 2013 bei gulli.com veröffentlicht.
Und sonst? Bis auf das Verbot von sogenannten „Kuhfängern“ an PKWs konnte uns der leitende Mitarbeiter kaum Beispiele aufzeigen, wo die Online-Initiative eines Bürgers zur Veränderung oder Einführung von Gesetzen geführt hätte. Böse Zungen gehen sogar so weit zu behaupten, die jährlich etwa 7.000 online eingereichten Petitionen verlaufen ähnlich fruchtlos wie die Arbeit der Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages. Erlaubt uns diese Schnittstelle zur Volksvertretung wirklich eine effektive Mitbestimmung? Oder soll sie dies simulieren, indem die Bürger dazu aufgerufen werden, sich in ihren Forumsbeiträgen auszutoben und Petitionen zu unterzeichnen? Welche Bedeutung hat der Petitionsausschuss unter dem Strich? Eine moderne und folgenreiche Erweiterung unserer Demokratie? Oder stellt er eher eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der dort 80 beschäftigten Mitarbeiter dar? Wer zunächst eine Einführung zum Thema lesen möchte. Unseren Leitartikel zum Thema Clicktivism kann man hier nachlesen.
Gespräch mit einem Mitarbeiter
Lars Sobiraj: Sie arbeiten im Deutschen Bundestag. Welche Tätigkeit üben Sie aus?
Ich bin im Ausschussdienst tätig, wo wir etwa 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind.
Die Bürger dürfen sich an das Parlament wenden…
Lars Sobiraj: Was ist eigentlich eine Petition?
Eine Petition oder Eingabe ist eine Bitte oder eine Beschwerde an eine zuständige Stelle oder den Deutschen Bundestag bzw. eines der Länderparlamente. Im Falle des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages behandelt der Ausschuss Petitionen, die den Zuständigkeitsbereich des Bundestages, insbesondere die Bundesgesetzgebung, betreffen. Ebenfalls fallen in den Zuständigkeitsbereich Anliegen, die die Bundesregierung betreffen sowie Bundesbehörden oder sonstige Einrichtungen, die öffentliche Aufgaben des Bundes wahrnehmen. In der Bundesrepublik Deutschland ist das Petitionsrecht im Grundgesetz verankert. Zu den unveränderlichen Grundrechten zählt seit 1949 das Petitionsrecht in Artikel 17: »Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.
Darüber hinaus ist der Petitionsausschuss einer der vier »Verfassungsausschüsse«. Das heißt, der Petitionsausschuss gehört seitdem zu den Gremien, die vom Grundgesetz ausdrücklich verlangt werden – Artikel 45 c schreibt vor: »Der Bundestag bestellt einen Petitionsausschuss, dem die Behandlung der nach Artikel 17 an den Bundestag gerichteten Bitten und Beschwerden obliegt. Die Befugnisse des Ausschusses zur Überprüfung von Beschwerden regelt ein Bundesgesetz.«
… die Politiker dürfen dies ignorieren
Lars Sobiraj: Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um eine Online-Petition einreichen zu dürfen?
Die Vorausetzungen für das Einreichen einer Online-Petition bzw. einer elektronischen Petition unterscheiden sich nicht von den Vorausetzungen für eine schriftliche Petition. Grundsätzlich kann sich jeder mit seinen Nöten oder Bitten zur Gesetzgebung an den Petitionsausschuss wenden. Man muss weder volljährig sein noch die Deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Wer eine Petition über das Internet einreichen möchte, muss aber dennoch seine Adresse angeben, da jeglicher relevanter Schriftverkehr aus Gründen der Identitätssicherung auf dem Postweg erfolgt.
Eine gewisse Sonderstellung nimmt die sogenannten „öffentliche Petition“ ein. Dies ist eine elektronisch eingereichte Petition, die auf Bitte des Petenten auf dem Internetportal des Petitionsausschusses veröffentlicht werden kann. Ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung haben alle registrierten Nutzer des Portals für vier Wochen die Möglichkeit, die Petition elektronisch mitzuzeichnen oder, mit anderen Worten, das Anliegen zu unterstützen. Der Petent muss also nicht erst mühsam auf Unterschriftensuche gehen. Innerhalb der besagten Frist können die registrierten Nutzer des Petitionsportals in eigenen Foren auch Diskussionsbeiträge erstellen und ihre Meinung zu den jeweiligen Themen darstellen – um so die politische Meinungsbildung aktiv mitzugestalten.
Natürlich gibt es einige Hürden, bevor aus einer elektronisch eingereichten Petition eine öffentliche bzw. veröffentlichte Petition wird: So muss das Anliegen von allgemeinem Interesse sein, die Petition darf sich also weder im Ganzen noch in Teilen auf Personen beziehen, zudem darf sich keine sachgleiche Petition in der parlamentarischen Prüfung befinden. Auch muss der Bundestag zuständig sein, es darf sich somit nicht um eine Bitte handeln, deren Erfüllung im Zuständigkeitsbereich der Länder liegt.
Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages als Korrekturmechanismus
Lars Sobiraj: Was kann man sich von einer Petition als Petent versprechen?
Petenten können sich mit der Bitte um Hilfe in höchstpersönlichen Notlagen an den Petitionsausschuss wenden, wie z.B. der Erteilung eines Visums oder der Finanzierung eines Rollstuhls – denn dies sind für den Einzelnen existenzielle Probleme, für deren Lösung sich der Petitionsausschuss mit ganzer Kraft einsetzt. Leider kommt es vor, dass Bürgerinnen und Bürger beispielswiese aufgrund von Behördenmissverständnissen in die „Mühlen der Bürokratie“ geraten und allein nicht mehr herauskommen. Auch hinter staatlichem Handeln stehen Menschen – und diese können nun mal Fehler machen.
Der Petitionsausschuss ist eine Art Korrekturmechanismus, der in Aktion tritt, wenn Bürger sich mit Bitten und Beschwerden an das Parlament wenden und auf Missstände hinweisen. Im Falle der „öffentlichen Petitionen“ sind Petitionen auch ein ideales Instrument, um aktiv die Politik in Deutschland mitzugestalten. Und auch das Parlament kann sich von den Petitionen etwas versprechen, denn sie zeigen auf, ob die Gesetze das beabsichtigte Ziel erreichen oder zu neuen Problemen führen und daher noch einmal kritisch überprüft werden sollten, oder ob der Bundestag in einem bestimmten Anliegen aktiv werden soll. Damit ist der Petitionsausschuss auch so etwas wie ein Seismograf, der die Stimmung der Bevölkerung aufzeichnet.
Lars Sobiraj: Wie viele Petitionen werden beim Deutschen Bundestag jährlich eingereicht?
2012 sind 15.724 Petitionen eingereicht worden, 6.748 davon sind online über das Formular des Petitionsportals eingegangen – wobei der Anteil an online eingereichten Eingaben jedes Jahr steigt. Der Durchschnitt der letzten Jahre lag bei etwa 18.000 Petitionen im Jahr. Seit wenigen Jahren ist ein leichter Rückgang in der Gesamtanzahl der Eingaben zu beobachten. Zum Ende einer Legislaturperiode ist ein leichter Rückgang der eingereichten Petitionen normal, doch auch die Möglichkeit, eine Petition online zu unterstützen, beeinflusst die Anzahl eingereichter Eingaben – da einige Bürgerinnen und Bürger ein Anliegen „nur“ unterstützen, statt zum gleichen Thema selber eine Petition einzureichen.
Idee kam ursprünglich aus Schottland
Lars Sobiraj: Warum bieten Sie die Möglichkeit von Petitionen auch über das Internet an? Wer hatte die Idee dazu?
2004 war eine Delegation des Petitionsausschusses zu Gast beim schottischen Parlament, wo bereits mit im Internet veröffentlichten Petitionen gearbeitet wurde. Diese neue und ergänzende Möglichkeit des Petitionsverfahren stieß bei den Mitgliedern unserer Delegation auf Begeisterung, sodass 2004 von SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ein Fraktionsantrag zur Einführung der öffentlichen Petition gestellt worden ist. Mit Erfolg, wie wir heute sehen.
Lars Sobiraj: Wann wurde diese Möglichkeit geschaffen? Wie viele Mitarbeiter sind hier mit diesem System beschäftigt?
Inspiriert durch das schottische Vorbild startete der Bundestag 2005 einen Modellversuch für eine deutsche Adaption eines Petitionsportales, das anfangs vom International Teledemocracy Centre an der Napier-Universität in Edinburgh zur Verfügung gestellt wurde. Seit dem 15. Oktober 2008 hat der Bundestag eine eigene Webseite für Online-Petitionen, deren Server ebenfalls in Deutschland steht.
Am 9. September 2012 hat der Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert das neue Petitionsportal offiziell gestartet. Aktuell sind vier Mitarbeiter des Ausschussdienstes mit der Betreuung des Systems beschäftigt. Dies betrifft jedoch nicht die technische Betreuung, denn diese wird von Mitarbeitern außerhalb des Ausschussdienstes gewährleistet.
Petitionsausschuss keine weitere Datenkrake!
Lars Sobiraj: Wie kann man als Bürger mitmachen, welche Daten muss man von sich preisgeben?
Die Hürden sind äußerst gering. Nötig ist nur die Angabe von Vor- und Zunamen sowie die Angabe der Adresse – und selbstverständlich eine gültige E-Mailadresse, die für die Registrierung beim System nötig ist.
Lars Sobiraj: Wie gehen Sie dabei mit dem Thema Datenschutz um?
Der Deutsche Bundestag nimmt den Schutz persönlicher Daten sehr ernst. Personenbezogene Daten werden nur erfasst, wenn diese Angaben dem Deutschen Bundestag im Rahmen der Nutzerregistrierung als Petent, Mitzeichner oder Diskussionsteilnehmer mitgeteilt werden. Eine Registrierung ist dabei nur möglich, wenn neue Nutzer bestätigen, dass sie die Datenschutzerklärung gelesen und zur Kenntnis genommen haben, und in die Verarbeitung und eventuelle Veröffentlichung personenbezogenener Daten gemäß der vorliegenden Datenschutzerklärung ausdrücklich einwilligen. Diejenigen, die das Diskussionsforum nutzen, erhalten keinerlei Zugriff auf die gespeicherten personenbezogenen Daten der anderen Nutzer, Petenten oder Mitzeichner. Deren Verwaltung obliegt allein dem Deutschen Bundestag und seinen technischen Dienstleistern.
Bürger dürfen Petitionen innerhalb der Mitzeichnungsfrist kommentieren
Lars Sobiraj: Gibt es eine Diskussionsmöglichkeit für die Leser beziehungsweise Teilnehmer?
Innerhalb der Mitzeichnungsfrist von vier Wochen können die registrierten Nutzer des Petitionsportals in eigenen Foren auch Diskussionsbeiträge erstellen und ihre Meinung zu den jeweiligen Themen darstellen – um so die politische Meinungsbildung aktiv mitzugestalten. Mit dem Start des neuen Systems am 9. September 2012 durch den Bundestagspräsidenten Prof. Dr. Norbert Lammert hat die Diskussionsmöglichkeit zudem einige Neuerungen erfahren: So hat es eine Umstellung der Forenlogik weg von einer flachen zu einer sogenannten Baumgliederung gegeben. Diese soll den Diskussionscharakter, also den Austausch von Meinungen, stärker betonen, da eine hierarchische Gliederung von Beiträgen einzelne Aspekte einer Diskussion besser darstellen kann. Dies zeigt sich vor allem daran, dass die Bezüge von Beiträgen und Antworten untereinander so visualisiert werden, dass sie intuitiv nachvollziehbar sind.
Lars Sobiraj: Prüfen Sie die Inhalte einer Petition, zum Beispiel deren Argumente? Wer tut das? Wenn ja, wie geschieht dies im Detail?
Jedes Anliegen wird vor einer Veröffentlichung entsprechend der Richtlinie für die Behandlung von öffentlichen Petitionen eingehend vom Ausschussdienst geprüft. Petitionen, die auf nicht realisierbare Wunschvorstellungen zielen, werden nicht veröffentlicht. Konkret bedeutet dies: Bei jeder veröffentlichten Petition wird sichergestellt, dass eine Umsetzung des Anliegens rechtlich machbar wäre. Auf eine politische Vorabbewertung wird dabei ganz bewusst verzichtet. Die Richtlinie gibt zudem vor, dass nur Petitionen veröffentlicht werden, die sich für eine sachliche Diskussion eignen.
In der parlamentarischen Prüfung einer Petition, die unabhängig von einer Veröffentlichung jede Eingabe durchläuft, wird das Anliegen im ersten Schritt vom Ausschussdienst geprüft. Dafür wir jede Petition abhängig vom Thema an das entsprechende Eingabereferat geleitet. Von dort werden das zuständige Bundesministerium oder die zuständige Aufsichtsbehörde des Bundes um Stellungnahme zu dem Anliegen des Petenten gebeten. Diese Stellungnahme prüft im nächsten Schritt der Ausschuss.
Wie effektiv arbeitet der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages?
Nicht selten kommt es vor, dass die Petition bereits nach der Stellungnahme erfolgreich abgeschlossen werden kann. Ist dies nicht der Fall, kommt es in aller Regel zum sogenannten Berichterstatterverfahren: Die Petitionsakte einschließlich einer begründeten Beschlussempfehlung wird dabei von mindestens zwei Abgeordneten, die der Regierungskoalition und der Opposition angehören, geprüft. Im Falle einer veröffentlichten Petition wird den Berichterstattern auch eine inhaltliche Auswertung des dazu gehörenden Diskussionsforums zugeleitet. Abschließend berät der Petitionsausschuss die Petition und verabschiedet eine Empfehlung, über die der Deutsche Bundestag dann beschließt. Wir informieren den Petent abschließend über das Ergebnis der Beratungen zu seiner Petition.
Lars Sobiraj: Haben Sie eine Petition auch schon mal abgelehnt?
Das Recht aus Artikel 17 Grundgesetz garantiert, dass alle eingereichten Petitionen mit der gleichen Sorgfalt vom Ausschuss parlamentarisch geprüft werden – ganz unabhängig davon, ob es sich um eine Einzelpetition oder eine veröffentlichte Petition mit einem oder tausenden von Unterstützern handelt. Auch Schreiben, in denen Menschen beispielsweise ihre allgemeinen Sorgen und Nöte mitteilten oder lediglich Anregungen für vermeintliche Verbesserungen geben – die also keine Petitionen im eigentlichen Sinne sind –, werden von den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes sorgfältig gelesen und beantwortet. Soweit es ihnen möglich ist, helfen sie den Einsendern mit einem Rat oder einem Hinweis oder leiten die Zuschriften an die zuständigen Stellen weiter. Nicht beantwortet werden lediglich Schreiben mit beleidigendem Inhalt.
Lars Sobiraj: Wie viele E-Petitionen gab es insgesamt bisher?
Wenn mit E-Petitionen die auf der Internetseite veröffentlichten Petitionen gemeint sind (denn auch Einzelpetitionen lassen sich online einreichen), so sind seit 2008 3.457 Petitionen auf der Internetseite des Petitionsausschusses veröffentlich worden. Zählt man die online eingereichten Einzelpetitionen hinzu, ergäbe sich eine weitaus höhere Zahl.
Resonanz abhängig von der Parteizugehörigkeit
Lars Sobiraj: Welche Petition hatte die meisten Unterschriften?
Die meisten Online-Unterstützer hatte die Petition „Internet – Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten vom 22.04.2009“ mit 134.014 Mitzeichnungen und über 11.000 Forumsbeiträgen. Die Petentin (Franziska Heine) wandte sich mit ihren Anliegen gegen das geplante Vorgehen, Internetseiten vom BKA indizieren und von den Providern sperren zu lassen, da sie darin eine Gefährdung des Grundrechtes auf Informationsfreiheit gegeben sah.
Unserem auf der Internetseite des Bundestages veröffentlichten Jahresbericht kann man unter „öffentliche Petition“ in der Statistik über die Tätigkeit des Petitionsausschusses aber entnehmen, dass auch offline-Mitzeichner eine wichtige Rolle spielen.
Lars Sobiraj: Wie ist die Resonanz in der deutschen Politik?
Die Bewertung der veröffentlichten Petitionen ist in der Politik je nach Parteizugehörigkeit unterschiedlich. Doch was wir vor allem verzeichnen, ist ein lebhaftes Interesse der Länder. So haben viele das System bereits nachgeahmt oder planen noch, ein Petitionsportal einzurichten.
Kuhfänger-Verbot als größter Erfolg?
Lars Sobiraj: Welche Petitionen von Ihnen hat sogar der Bundestag behandelt? Erfolgte daraufhin eine Gesetzesinitivative?
Über alle Petitionen berät der Petitionsausschuss. Daraufhin verabschiedet der Petitionsausschuss eine Empfehlung, über die der Deutsche Bundestag dann beschließt. Als Beispiel einer Petition, die zu einer Gesetzesänderung führte, ist die Eingabe eines Bürgers zu nennen, der sich mit der Bitte an den Bundestag wandte, die Ausstattung von Kraftfahrzeugen mit einer zusätzlichen Stoßstange – die sogenannten „Kuhfänger“ – zu verbieten, da diese bei Unfällen mit Fußgängern und insbesondere mit Kindern zu schweren bis tödlichen Verletzungen führten. Diese Frontschutzbügel sind daraufhin verboten worden.
Lars Sobiraj: Was war der bisher größte Erfolg einer Petition in Deutschland?
Hier verweise ich auf die Antwort auf die Frage, welche E-Petition die meisten Unterschriften hatte. Wobei sich schwer sagen lässt, was der bisher „größte“ Erfolg war. Viele Petitionen werden in Sinne der Petenten abgeschlossen. Und was hier als größerer Erfolg zu werten ist, liegt ganz im Auge des Betrachters.
Lars Sobiraj: Was war in Ihren Augen die bislang orginellste Petition, die eingereicht wurde?
„Originelle“ Petitionen gibt es viele. Dies betrifft insbesondere jene Eingaben, die von den Petenten eventuell nicht ganz ernst gemeint sein könnten. Jüngst erst hat sich eine Petentin an den Ausschuss gewandt und gefordert, man solle Nichtrauchern im Sommer verbieten. Oder man solle Außenplätze von Lokalen zu besetzen. Denn sie hätten lange und mit Erfolg dafür gekämpft, Raucher aus den Innenräumen zu vertreiben, sodass diese jetzt ein Recht auf die Außenplätze hätten.
Petitionsausschuss: Bürger erhalten neue Möglichkeiten der Beteiligung
Lars Sobiraj: Glauben Sie, dass E-Petitionen eines Tages einen hohen Stellenwert haben werden? Werden sie das politische Leben in Deutschland beeinflussen?
Bei den auf der Internetseite des Petitionsausschusses veröffentlichten Petitionen handelt es sich nicht um einen neuen Typus von Petition. Es ist unerheblich, ob jemand seine Petition schriftlich oder online einreicht. Denn jede Petition – ob veröffentlich oder nicht – werden wir parlamentarisch prüfen. Die veröffentlichte Petition ist also nicht mit der Idee eingeführt worden, ein neues demokratisches Instrument zu etablieren , um das politische Leben in Deutschland in neuer Art und Weise zu beeinflussen.
Das Petitionsrecht garantiert jedermann, sich mit seinen Nöten und Sorgen an das Parlament wenden zu können oder Bitten zur Gesetzgebung einzureichen. Das war schon lange vor dem Zeitalter des Internets so und wird auch so bleiben. Wir werden auch mit der (veröffentlichten) E-Petition nichts an den vorhandenen Strukturen ändern. Allerdings eröffnen insbesondere die veröffentlichten Petitionen den Bürgerinnen und Bürgern neue Möglichkeiten der Beteiligung. Eine Petition von öffentlichem Interesse mitzuzeichnen und mitzudiskutieren, erlaubt es den Bürgerinnen und Bürgern, sich über Wahlen hinaus zu beteiligen und sich gemeinsam für ein Anliegen stark zu machen.
Dieses Instrument der im Internet veröffentlichten Petitionen kann womöglich helfen, das Problem einer mittlerweile weit verbreiteten Politikverdrossenheit zu bekämpfen. Und erlaubt es, sich aktiv an der Politik unseres Landes zu beteiligen. Unserer Erfahrung nach steigt der Stellenwert dieser Möglichkeit kontinuierlich an, und es ist unser Wunsch, den Bekanntheitsgrad des Ausschusses weiter zu steigern und noch mehr Menschen zu animieren, von ihrem guten Recht Gebrauch zu machen.
Unterscheidung verschiedenartiger Petitionen von unterschiedlichen Quellen
Lars Sobiraj: Wie steht der Deutsche Bundestag zu Petitionen, die er über Anbieter wie change.org, avaaz.org oder openpetition.de erhält?
Der Deutsche Bundestag begrüßt es natürlich, wenn Menschen sich zusammentun und sich gemeinsam für Verbesserungen einsetzen. Oder auch nur ein Zeichen mit ihrer Stimme setzen wollen. Zum Problem wird es nur, wenn private Petitionsportale versuchen, den Eindruck zu erwecken, die dort eingereichten Petitionen würden vom Deutschen Bundestag bearbeitet werden. Dies ist nicht der Fall, wie wir leider immer wieder diversen Bürgerinnen und Bürgern mitteilen müssen, die sich an uns wenden, weil sie eine Petition bei den besagten Portalen eingereicht haben und nun nach dem Stand der Bearbeitung fragen.
Häufig wenden sich auch Bürger an uns, die zwar wissen, dass sie eine Petition direkt beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages einreichen müssen. Doch bitten sie darum, ihre auf anderen Portalen gesammelten Online-Unterschriften für ihr Anliegen zu werten. Dies ist jedoch nicht möglich. Da es eine klare Beschlussfassung des Ausschusses gibt, nach der elektronische Mitzeichnungen nur von registrierten Nutzern des ePetitions-Systems des Deutschen Bundestages anerkannt werden. Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages kann die in seinen Verfahrensgrundsätzen festgeschriebenen Standards für elektronische Mitzeichnungen nicht auf fremden Petitionsportalen überprüfen. Um dem darauf folgenden Frust entgegenzuwirken, haben wir uns in der Vergangenheit schon an einige dieser privaten Petitionsportale gewandt. Wir haben darum gebeten, man möge die dortigen Nutzer bitte darüber aufklären. Und nicht – wie es einige tun oder getan haben – bewusst den Eindruck erwecken, es gebe einen Zusammenhang zwischen privaten Petitionsseiten und dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages.
Lars Sobiraj: Welche Probleme in unserer Gesellschaft sind nicht durch Petitionen lösbar?
In erster Linie sind durch Petitionen keine Probleme zu lösen, in denen Missstände nicht auf staatliches Handeln zurückzuführen sind.
Anmerkung
Der Mitarbeiter vom Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages bat uns, seine Identität nicht preiszugeben.
Dies war der letzte Teil unserer Interview-Serie zum Thema Clicktivism. Neben unserem Leitartikel sind Interviews mit den Kampagnen-Netzwerken Avaaz, Change.org, openPetition und Campact verfügbar. An dieser Stelle möchte ich mich erneut bei Bernd Rohlfs bedanken. Er hat mich bei diesem Thema beharrlich vor sich her getrieben. Ohne ihn wäre diese Interview-Reihe sowieso nicht zustande gekommen. Die Interviews haben wir erstmals in den ersten Monaten des Jahres 2013 beim IT-Portal gulli.com veröffentlicht. Bis zum Aufkommen von Archive Today waren viele alte Schätzchen im digitalen Nirwana verloren. Webcrawlern wird es nämlich von gulli.com untersagt, deren Seiten zu indizieren. Die Macher von archive.ph stören sich aber glücklicheweise nicht daran.