Clicktivism
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Clicktivism: vier Anbieter von Online-Petitionen unter der Lupe (Repost)

Clicktivism. Fast täglich werden wir aufgefordert, eine Online-Petition zu signieren. Wer steckt dahinter? Und was passiert mit den Daten?

Thema Clicktivism: Ständig wird man in sozialen Netzwerken zur Unterschrift von Online-Petitionen aufgefordert. Die Anbieter wollen im Gegenzug so einige Daten von uns haben. Sie sind zu den perfekten Daten-Sammelmaschinen mit einem durch und durch sozialen Anstrich geworden. Doch was wollen sie eigentlich? Nach welchen Kriterien sucht man aus, welche Kampagnen auf der Startseite gepusht werden? Wer zieht im Hintergrund die Fäden? Und was geschieht eigentlich mit den ganzen Spenden? Diese und mehr Fragen haben wir vier Anbietern gestellt. Die Begriffe Clicktivism und E-Partizipation sind derzeit in aller Munde. openPetition, Change.org, Avaaz, der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages und viele andere mehr ringen hierzulande um die Beteiligung der Bürger. Was aber steckt dahinter? Die meisten Online-Petitionen haben keine rechtliche Wirkung und leider wirken manche Anbieter aufgrund ihrer Intransparenz unseriös.

Slacktivism ist der Aktivismus, der nur scheinbar stattfindet

Der englischsprachige Begriff slack steht für Flaute, Stillstand. Das Internet macht es möglich, denn beim sogenannten Slacktivism werden sogar die Faulen aktiv. Allerdings bedarf es dazu nur eines Mausklicks. Mehr als einer Gruppe beinzutreten, etwas zu unterschreiben, zu liken oder zu teilen, ist dafür nicht nötig. So eine Online-Beteiligung ist ein wenig wie ein Hamburger, der schnell verzehrt und noch schneller verdaut und vergessen ist. Außerdem kann man mit Hilfe einer Online-Petition sehr leicht sein schlechtes Gewissen befriedigen. War man wieder einmal zu faul, aus Protest auf die Straße zu gehen, dann kann man alternativ online seinen Unwillen unter Beweis stellen.

Clicktivism = Fastfood gegen unser schlechtes Gewissen

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Ganz wichtig: Spenden sammeln! Screenshot von Avaaz.
Die Anbieter für Online-Petitionen machen es einem leicht. Das Kampagnen-Netzwerk Avaaz verspricht auf seiner Webseite, man könne in 14 Sprachen die ganze Welt mit einer Unterschrift in Aktion setzen. Über 21 Millionen Menschen haben 2013 dafür den Machern ihre E-Mail-Adresse übergeben. Manche fragen sich jetzt: „Avaaz? Wer oder was ist das überhaupt?“ Wir finden zwar eine Übersicht über sieben Millionen US-Dollar, die man im Jahr 2011 mit zumeist privaten Zuwendungen einnahm. Der Weg zum Spenden ist auf der Webseite dementsprechend breit gepflastert. Doch ein Impressum mit vollständiger Anschrift? Fehlanzeige. Wer steckt eigentlich hinter Avaaz, wer hat es gegründet? Wer ist der Ansprechpartner für Öffentlichkeitsarbeit oder der Pressesprecher? Die Webseite trägt leider nicht zur Klärung dieser Fragen bei. Mehr als eine US-amerikanische Telefonnummer und anonyme E-Mail-Adresse ist für das deutschsprachige Publikum nicht auffindbar. Transparenz sieht sicher anders aus. Und wie funktionieren Online-Petitionen? Wie geht Clicktivism? Ganz einfach. Jeder Besucher wird dazu eingeladen, eine eigene Kampagne im Web zu starten. Das Problem ist aber, dass man ohne die Unterstützung der Betreiber des jeweiligen Petitions-Portals kaum über die Stimmen des eigenen Bekannten- und Freundeskreises hinauskommt. Auch wenn Mitbestimmung und Einmischung großgeschrieben werden: Ob die Rechte chinesischer Arbeiter gestärkt oder die Jagd auf den Tiger von Eschnapur verboten werden soll, bestimmen nicht die Nutzer. Das tun Andere. Aber wer? Und warum?

Slacktivism vs. Activism

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Faul, fauler, Slacktivism.
Alleine 120 Millionen Beteiligungen an den Avaaz-Aktionen gab es bisher weltweit. Doch wer entscheidet, zu welchem Zeitpunkt welcher Anteil des Adresspools der gesammelten E-Mails angeschrieben werden? Zu den vier größten Anbietern für Online-Petitionen zählen der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages, openPetition, Change.org und Avaaz. Bei den Recherchen traten wichtige Fragen auf, die wir von den Betreibern hoffentlich beantwortet bekommen. Mit welcher Motivation wurden die Netzwerke eingerichtet? Wer hat in die technische Infrastruktur Geld investiert, um das Netzwerk ans Laufen zu bekommen? Wichtig ist auch: Nach welchen Kriterien suchen die Macher die Kampagnen aus, die man auf der jeweiligen Startseite bewirbt? Sollte man den leidenschaftlichen Sammlern von Kontaktadressen wirklich die eigenen Daten übermitteln?

Eine Online-Petition, der zahnlose Tiger?

Was wollen wir verändern, fragt uns die Webseite von Change.org. Kann man das denn überhaupt per Mausklick? Mit Ausnahme des Portals des Bundestages können und dürfen die Politiker die meisten Online-Kampagnen getrost ignorieren. Ist eine Online-Petition ohne rechtliche Handhabe nicht so etwas wie ein zahnloser Tiger? Fraglich ist auch: Welche Probleme lassen sich lösen, indem man einen politischen Entscheidungsträger, ein Parlament oder ein Unternehmen zum Ansprechpartner wählt? Kann man so globale Probleme lösen? Vor allem solche, die wir durch unsere Lebensgewohnheiten selbst verursacht haben? Wir haben bei vier Veranstaltern von Online-Kampagnen nachgefragt. Mit Avaaz als Gesprächspartner geht schon bald der erste Teil unserer Interview-Serie online. Unsere Interviews sollen unter anderem klären, ob man die Welt tatsächlich mit einem Mausklick ändern kann. Derweil wächst bei manchen Menschen die Kritik an derartigen Portalen. Bringt Clicktivism überhaupt etwas unter dem Strich? Von den anfallenden Daten einmal abgesehen.
Video: Wie geht Mitbestimmung? Reicht es aus, ab und zu wählen zu gehen?
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Clicktivism vs. echte Aktionen.
P.S.: Diese Interview-Serie wurde im März 2013 auf gulli.com veröffentlicht. Leider sind die Beiträge dort nicht mehr verfügbar. Zwar hat der ursprüngliche Bochumer Betreiber das Portal zu einem Spottpreis zurück erworben, das war’s dann aber auch.

Wie kam es zur Artikel-Serie über Clicktivism?

Bernd Rohlfs rief mich eines Tages an und meinte, man müsse doch endlich mal etwas über diese ganzen Kampagnen-Netzwerke machen, die schon damals immer häufiger bei Facebook & Co. aufgetaucht sind. Er habe vorab recherchiert und musste feststellen, dass bei einigen Anbietern die Informationen über die Betreiber mehr als dürftig waren. Das sind sie bis heute. Wir haben z.B. dem Pressesprecher von Avaaz ewig hinterher telefoniert, bis wir ihn endlich persönlich sprechen durften.  Doch auch er war offenbar nur ein Werkzeug in den Händen von Leuten, die nirgends namentlich auftauchen wollen. Die wirklich interessanten Fragen wollte oder durfte er uns nicht beantworten. Anfragen an die Zentrale, wie er uns geraten hat, wurden per E-Mail nie beantwortet. Damit war auch nicht zu rechnen. Wer will schon für etwas mehr Transparenz sorgen, der im Vorfeld alles für seine Anonymität getan hat!?? Aber keine Antwort ist auch eine. Unsere Gesprächsreihe musste von langer Hand vorbereitet werden. Sie sollte ein wenig aufrütteln. Sie ist gedacht für alle Mitmenschen, die quasi wöchentlich ohne jede Prüfung Unbekannten ihre Daten anvertrauen. Und warum? Weil sie glauben, sie würden damit etwas Gutes tun. Weil das Gute nur einen Mausklick entfert ist. Und weil es herrlich das Gewissen beruhigt. Beitragsbild Oscar Ivan Esquivel Arteaga, thx! (unsplash licence) Tarnkappe.info
Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Früher brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert. In seiner Freizeit geht er am liebsten mit seinem Hund spazieren.