Eilanträge aus Verfassungsbeschwerden gegen das neue Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung hat das Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen.
Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat am 15.07.2016 zwei weitere Eilanträge aus Verfassungsbeschwerden gegen das neue Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vom Dezember zurückgewiesen. Dass Provider künftig Nutzerdaten über mehrere Wochen hinweg anlasslos aufbewahren müssen, mache es derzeit noch nicht erforderlich, die gesetzlichen Vorgaben außer Kraft zu setzen, heißt es in den Beschlüssen vom 8. Juni und der „Folgenabwägung“ (Az.: 1 BvQ 42/15 und 1 BvR 229/16), die nun veröffentlicht wurden.
Die Kläger – unter anderem der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, Gerhard Lindner und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger – hatten beim Gericht beantragt, das Gesetz vorläufig, also bis zu seiner endgültigen Entscheidung des Gerichts, für unanwendbar zu erklären. Schon im Januar hatte Karlsruhe den Eilantrag eines einzelnen Bürgers gegen die Vorratsdatenspeicherung abgelehnt, die Entscheidung aber nicht weiter begründet.
Vorratsdatenspeicherung bleibt vorerst bestehen
Der Gesetzgeber habe den Abruf der gesammelten Verbindungs- und Standortdaten von „qualifizierten Voraussetzungen“ abhängig gemacht, die Grundrechtseingriffe „mit den Nachteilen für das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafverfolgung weniger gewichtig erscheinen lassen„, lautet hier die Begründung. Die öffentliche Sicherheit müsse also gegenüber den überschaubaren negativen Folgen für die Privatsphäre der Nutzer Vorrang haben. Den Verfassungshütern zufolge kann die umfassende Speicherung sensibler Daten bei Bürgern zwar zu einem „erheblichen Einschüchterungseffekt“ führen. Die Beeinträchtigungen ihrer Freiheit und Privatheit setze aber erst mit dem Datenabruf und nicht schon mit der Datenspeicherung ein. Demgegenüber habe das öffentliche Interesse an der Verfolgung schwerer Straftaten ein „derartiges Gewicht„, dass die Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung durch eine einstweilige Anordnung nicht geboten sei, heißt es in den Beschlüssen.
Die Rechtsanwälte Carl Christian Müller und Sören Rößner, die eine der beiden Klägergruppen in Karlsruhe vertreten, sprechen in einer ersten Reaktion von einem „schlechten Tag für die Kommunikationsfreiheiten“. Der entsprechende Beschluss lasse nicht erkennen, „dass das Bundesverfassungsgericht sich mit den von uns vorgetragenen Bedenken auseinandergesetzt hat“. FDP-Vize Wolfgang Kubicki bedauerte ebenfalls die Entscheidung, gab sich aber optimistisch für das Hauptverfahren. Die Kammer nehme die Beschwerde der Liberalen offenbar „sehr ernst“.
Das Ende 2015 in Kraft getretene Gesetz schreibt vor, dass Telekommunikationsunternehmen Telefon- und Internetverbindungsdaten ihrer Kunden zehn Wochen lang speichern. Danach müssen die ISPs sie wieder löschen. Diese speichern die Rufnummern der beteiligten Anschlüsse, Zeitpunkt und Dauer der Anrufe sowie IP-Adressen von Computern. E-Mails sind ausgenommen, ebenso die Inhalte der Kommunikation. Für Standortdaten, die bei Handygesprächen anfallen, ist eine verkürzte Speicherfrist von vier Wochen vorgesehen.
Fazit
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet nicht, dass das aktuelle Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung am Ende Bestand haben muss. Bei Eilentscheidungen prüft das Verfassungsgericht das Gesetz nicht inhaltlich darauf, ob es gegen das Grundgesetz verstößt. Es nimmt allein eine „Folgenabwägung“ vor. Das heißt, die Richter prüfen: Wie schlimm wäre es, wenn das Gesetz bis zu einem endgültigen Urteil erst mal weiter angewendet wird, sich am Ende aber doch als verfassungswidrig herausstellt.
Dazu sagten die Richter: Zwar wiegt der Eingriff in das Fernmeldegeheimnis der Bürger schwer. Allerdings erlaube der Gesetzgeber den Strafverfolgungsbehörden den Abruf der Daten nur beim Verdacht besonders schwerer Straftaten. Deshalb habe das staatliche Interesse an einer „effektiven Strafverfolgung“ hier bis zu einem endgültigen Urteil Vorrang.
Die finale Entscheidung in der Sache ist also noch nicht gefallen — eine inhaltliche Auseinandersetzung der Richter mit dem Gesetz und seinen Kritikpunkten steht noch aus. Auch ein zweiter Eilantrag kann theoretisch noch dazu führen, dass eine kurzfristige Stoppung der Vorratsdatenspeicherung durch das Gericht verordnet wird. Das hängt dann von der angeführten Begründung der Antragsteller ab — und von einer weiteren Folgenabwägung. Warten wir es also ab…
Tarnkappe.info