Der Prozess um Chemical Revolution geht vor dem Landgericht Gießen nach mehrfachen krankheitsbedingten Verzögerungen in die zweite Runde.
Sollte eigentlich der Prozessauftakt bereits Mitte Januar starten, so konnte wegen dreimaliger krankheitsbedingter Verschiebungen die Anklage erst am Montag verlesen werden. Zudem war es geplant, alle Komplexe gemeinsam zu verhandeln. Das ließ sich jedoch wegen den coronabedingt, eingeschränkten Platzkapazitäten gleichfalls nicht realisieren. So hatte die 9. Große Strafkammer das aktuelle Chemical Revolution-Verfahren im Sommer 2020 abgetrennt. Darüber berichtete der Gießener Anzeiger.
Sebastian Zwiebel, Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt, erklärte, dass sich die insgesamt fünf Angeklagten wegen bandenmäßigem Handeltreibens von Betäubungsmitteln im Clearweb und Darknet in nicht geringfügiger Menge in 311 Fällen verantworten müssen. Als Mitglieder einer Bande wären sie zwischen April 2018 und Februar 2019 für den illegalen Online-Shop Chemical Revolution aktiv tätig gewesen.
Chemical Revolution war größter deutschsprachiger Drogen-Onlinehandel
Im Sommer 2019 nahm das BKA den ehemals deutschlandweit populärsten und größten Drogen-Onlineshop Chemical Revolution vom Netz. Gleichzeitig verhaftete die Polizei elf Tatverdächtige. Zwischen 2017 und 2019 sollen die Angeklagten eine Million Euro in Bitcoin erzielt haben. Bereits im August letzten Jahres hat das Landgericht Gießen nach einem einjährigen Prozess sieben angeklagte Mitbetreiber zu hohen Haftstrafen verurteilt. Die Strafen bewegten sich zwischen zwei Jahren und acht Monaten sowie neun Jahren und zwei Monaten.
Vor dem Landgericht Gießen steht dieses Mal infolge ein 38 Jahre alter Niederländer. Er befindet sich derzeit in U-Haft. Zudem sind vier weitere Angeklagte involviert, deren U-Haftbefehle außer Vollzug gesetzt sind. Diese sollen als Handlanger für den Niederländer mitgewirkt haben.
Nach Einstellung aller Aktivitäten erfolgte ein Neustart
Zunächst hätte Chemical Revolution nach der Festnahme eines Angeklagten in Ortenberg, einer Stadt in Hessen, Region Wetterau, sämtliche Aktivitäten eingestellt, so verlautete die Anklageschrift. Danach jedoch startete der Online-Drogen-Shop in abweichender Besetzung offenbar erneut. Genau diese Wiederholung ist Gegenstand der aktuellen Verhandlungsrunde.
Generalstaatsanwältin Lisa Zimmermann wies darauf hin, dass Hintermänner von Chemical Revolution spätestens ab April 2018 einen Neuanfang unternahmen. Über einen Account der Darknet-Plattform Wall Street Market führten sie den Verkauf von Drogen, Arzneimitteln und neuen psychoaktiven Stoffen dann durch. Dafür beschafften die Betreiber die Drogen in den Niederlanden. Dann nahmen sie den Weg nach Hamburg. Hier lagerte man die Ware, portionierte sie und verschickte sie in geringen Mengen an die Kunden.
Chemical Revolution: Geschäftsfeld mit arbeitsteiligem Zusammenwirken
Laut Staatsanwaltschaft hat der Niederländer 16.000 Euro für die Reaktivierung der Drogen-Geschäfte aufgewandt. Sein Stellvertreter war ein 32-jähriger Hamburger mit türkischen Wurzeln. Dieser hatte ein Mitsprachrecht bei Internetauftritten und organisierte Bestellungen. Ferner beauftragte er einen 27-Jährigen mit der Betreuung der Käufer. Demgemäß hat er den Paketmarken-Einkauf und den Waren-Versand durchgeführt. Ihm zur Seite standen ein Mitangeklagter sowie drei weitere Männer. Ein 36-Jähriger überließ ein Zimmer in seiner Wohnung und zwei Garagen dem Geschäftsbetrieb zwecks Lagerung.
Bis Dezember 2018 hätten die Männer einen Umsatz von rund 160 000 Euro erzielt, an dem sie anteilig beteiligt waren. Ihren bisher nicht identifizierten Abnehmern sollen sie unter anderem 3800 Gramm Cannabis, 588 Ecstasy-Pillen, 360 Gramm Amphetamin, sowie 260 Gramm Kokain verkauft haben.
Verdeckte Ermittler traten als Kaufinteressenten auf
Nachdem Chemical Revolution den Online-Verkauf eingestellt hatte, soll zu diesem Zeitpunkt noch „eine nicht unerhebliche Menge“ an Betäubungsmitteln, darunter knapp sechs Kilo Cannabis sowie 6000 Ecstasy-Tabletten, eingelagert gewesen sein. Die Betreiber waren daran interessiert, einen Käufer für Restdrogen-Bestände zu finden. Zunächst kontaktierten sie einen Polen, einen Bekannten, der den Shop einst mit aufbaute. Jedoch arbeitete der 29-Jährige bereits zu dem Zeitpunkt mit den Behörden zusammen.
Insofern waren die vermittelten Kunden verdeckte Ermittler. Ein Rewe-Parkplatz in Hamburg soll schließlich als Übergabeort für über zwölf Kilogramm verschiedenster Rauschmittel dienen. Beim Treffen hörten die Fahnder mit. Kurz vor der Übergabe fällt das vereinbarte Codewort: „Alles in Ordnung, tutto paletti.“ Unmittelbar danach erfolgte der Zugriff. Die Ermittler nahmen den mutmaßlichen Drogenlieferanten von Chemical Revolution im Februar vergangenen Jahres fest. Kurz darauf werden fast alle Mitglieder von Chemical Revolution überführt.
In diesem Prozess sind bisher noch weitere acht Termine bis Ende April angesetzt. Das Urteil wird folglich in einigen Monaten erwartet.