Bundesgerichtshof Karlsruhe
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Bildquelle: Endzeiter

Schneeballsystem: BGH entlastet Opfer von Beweispflicht

Der BGH stärkt die Rechte von Anlegern bei Anlagebetrug mittels Schneeballsystem, indem es Opfer dieser Masche von der Beweispflicht befreit.

Schneebllsystem-Opfern fehlen häufig wichtige Einblicke, um einmal abgeschlossene Verträge, die auf diesen Geschäftsmodellen beruhen, vollends zu durchschauen. Zum Einklagen ihrer Rechte sei dies nun allerdings auch gar nicht mehr nötig. Wem ein Schaden durch das Anlegen von Geld bei einem Schneeballsystem entsteht, braucht in einem Gerichtsverfahren keine diesbezüglichen Beweise mehr vorzulegen. Allein das Vortragen von Umständen, die auf das Betreiben eines Schneeballsystems hindeuten, sind hierfür ausreichend, entschied der BGH.

In einer am Freitag veröffentlichten Leitsatzentscheidung der Karlsruher Richter heißt es, dass es bereits ausreichend für den Geschädigten sei, Umstände vorzutragen, die ein Schneeballsystem-Betreiben „als naheliegend erscheinen lassen“. Demgemäß trifft dann die Gegenpartei, im Rahmen des § 138 Abs. 2 ZPO, die Beweispflicht in Form einer sekundären Darlegungslast. Erst, wenn diese als erbracht gilt, ist es erneut an dem Kläger, Beweise für seine Behauptung vorzubringen (Az.: III ZR 7/20 vom 4. Februar 2021).

Schneeball-Geschäftsmodelle erfüllen eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung

Als Schneeballsystem erweisen sich Geschäftsmodelle, die zum Funktionieren eine ständig wachsende Anzahl an Teilnehmern benötigen. Sobald also bei einem Anlagemodell die zugesicherte Rendite aus den Einlagen immer neuer Anleger bedient werden, sind auch die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gegeben. Es müssen somit kontinuierlich neue Anleger für das Weiterlaufen des Konzepts angeworben werden. Das Maß an benötigten Neuanwerbungen übersteigt jedoch die Mittel, die sich aus den bestehenden Marktverhältnissen gewinnen lassen, um ein Vielfaches und ist somit unmöglich zu erfüllen. Im Urteil heißt es dazu:

„In Fällen sogenannter Schneeballsysteme ist die Absicht des Täters, Anleger zu schädigen, so greifbar, dass der Sittenverstoß unmittelbar aus dem Gegenstand der Anlage selbst abgeleitet werden kann.“

Schneeballsystem
So funktioniert das Schneeballsystem. Bildquelle Iamnee, thx!

 

Anlagemodell „Cashselect“ entpuppte sich als Schneeballsystem

In dem Fall sah das als „Cashselect“ bezeichnete Anlagemodell vor, dass Anleger ihre bisher abgeschlossenen Versicherungen, Bausparverträge u.a. Kapitalanlagen kündigen. Die Rückkaufswerte sollten sie dann einer S.AG zur Verfügung stellen. Diese sagte zu, die Beträge gewinnbringend in Unternehmen aus der Branche erneuerbarer Energien zu investieren. Je nach Preismodell sollten später Auszahlungen der S.AG an Kunden mit erheblicher Verzinsung erfolgen. Der Beklagte war Alleinaktionär, alleiniges Mitglied des Verwaltungsrats und Hauptentscheidungsträger der in der Schweiz ansässigen und in Deutschland tätigen S. AG.

Gemäß Paragraf 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs wäre er zum Schadenersatz verpflichtet, sobald er „einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt“. Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder einer Gesellschaft haften laut BGH-Rechtsprechung auf Schadenersatz, wenn ihr Geschäftsmodell von vornherein auf Täuschung und Schädigung der Kunden basiert. Insofern greift dieser Paragraph auch bei einem Schneeballsystem.

Das Modell „Cashselect“ nutzte indessen der Kläger, ein Mann aus Bayern, für seine Lebensversicherung. Doch die Schweizer Finanzmarktaufsicht untersagte der S.AG den weiteren Vertrieb. Eine in Deutschland neu gegründete Gesellschaft, die die Verträge infolge übernahm, ging insolvent. Das Landgericht München I verurteilte den Beklagten zwar 2018 zu mehreren Jahren Gefängnis. Der Bayer sah jedoch kein Geld. Er scheiterte zudem mit seiner Forderung nach Erstattung von mehr als 60.000 Euro sowohl vor dem Landgericht Schweinfurt, als auch vor dem Oberlandesgericht (OLG) Bamberg.

OLG muss erneut verhandeln: Kläger von Beweispflicht befreit

Die Karlsruher Richter entschieden aktuell, dass das OLG neu verhandeln muss. Nach der Meinung der Richter hat der Beklagte schlüssig dargelegt, dass das Geschäftsmodell des Beklagten von vornherein auf Täuschung und Schädigung der Kunden ausgelegt gewesen sei. Man könne deshalb von einem Sittenverstoß ausgehen. Nun ist es dann nicht mehr die Sache des Klägers, noch weitere Anhaltspunkte vorzubringen.

Vielmehr müsse der Beklagte mittels qualifizierter Gegendarstellung die Anschuldigungen widerlegen, da solche Argumente allein seiner Kenntnissphäre zuzuordnen wären. Allerdings genügt hierbei ein pauschales Bestreiten, im fraglichen Zeitraum ein Schneeballsystem betrieben zu haben, nicht den Anforderungen seiner zu erbringenden sekundären Darlegungslast.

Tarnkappe.info

 

Über

Antonia ist bereits seit Januar 2016 Autorin bei der Tarnkappe. Eingestiegen ist sie zunächst mit Buch-Rezensionen. Inzwischen schreibt sie bevorzugt über juristische Themen, wie P2P-Fälle, sie greift aber auch andere Netzthemen, wie Cybercrime, auf. Ihre Interessen beziehen sich hauptsächlich auf Literatur.