Basierend auf der EU-Urheberrechtslinie erklärt der BGH das Sekunden-Sampling für legal. Allerdings mit einer Einschränkung: nur bis 2002.
Wahrung des Urheberrechts vs. Kunstfreiheit
Pelham erwartet von dem Urteil, dass es gestattet sei, kurze Sequenzen in seinen Song übernehmen zu dürfen, denn: „Hip-Hop ist ohne Sampling nicht möglich. Es gibt keine Kunst im luftleeren Raum, es geht immer um die Auseinandersetzung mit anderer Kunst. […] Wenn ich grundsätzlich nicht samplen darf, kann es meine Kunstform nicht geben. Wenn ich die Tonträger ab 1989 anschauen: Unter zehn Tonträgern haben neun einen Sample.“21-jähriger Rechtsstreit: Sampling Fall durchläuft alle Instanzen
Seit 1998 ging der Fall, angefangen beim Landgericht Hamburg, gefolgt vom Oberlandesgericht, bereits durch alle Instanzen, bis zum EuGH. 2008 fällte der BGH das erste Urteil. Das Oberlandesgericht richtete sich danach noch ein zweites Mal an den BGH. Eine Wende trat im Mai 2016 ein. Das Bundesverfassungsgericht entschied, entgegen der bisherigen Auffassungen, zugunsten von Pelham. Ein Durchbruch für die Kunstfreiheit bahnte sich an.Keine Verbotsmacht für Produzenten
Demnach dürften Produzenten keine „Verbotsmacht“ innehaben, um Neuschöpfungen zu verhindern. „Der Einsatz von Samples ist eines der stilprägenden Elemente des Hip Hop“, urteilten die Verfassungsrichter. Der Original-Zugriff diene der „ästhetischen Reformulierung des kollektiven Gedächtnisses kultureller Gemeinschaften“. Sie sahen einen Interessenkonflik für gegeben: „Danach steht hier ein geringfügiger Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht ohne erhebliche wirtschaftliche Nachteile einer erheblichen Beeinträchtigung der künstlerischen Betätigungs- und Entfaltungsfreiheit gegenüber.“ Das Urteil sahen die Richter als urheberrechtskonform. Schließlich führe das Sampling nicht zu wirtschaftlichen Verlusten. Die Rhythmussequenz sei im Originalstück ja immerhin weiter vorhanden. Zudem wäre es gegeben, dass der Gesetzgeber eine Vergütungspflicht für die Tonschnipsel-Verwendung fremder Stücke einführe.Metall auf Metall
Schon zum dritten Mal beschäftigte sich der BGH danach infolge mit der Sachlage. Er zweifelte das Urteil des Verfassungsgerichtes an, weil eine bestehende EU-Richtlinie zum Urheberrecht davon abweicht. 2017 legte der BGH dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) deshalb zwecks Klärung mehrere Fragen vor. Der EuGH entschied, dass Sampling ohne Einwilligung des Urhebers grundsätzlich gegen das Urheberrecht verstoßen könnte. Eine Zustimmung des Urhebers (gegen Lizenzzahlung) wäre demnach Vorraussetzung für die Verwendung. Unter Erfüllung zweier Bedingungen stünde einer Übernahme von Audiofragmenten eines Tonträgers mit der Kunstfreiheit aber in Einklang. Erstens muss die verwendete Tonsequenz verändert werden und zweitens darf der Durchschnittshörer die Sequenz nicht wiedererkennen. Erst dann wäre keine Zustimmung des Urhebers notwendig.Das Jahr 2002 leitete mit der EU-Urheberrechtslinie eine Wende in der Rechtssprechung ein
Bis 2002 gestattete es die Rechtslage für Hip-Hop-Produzenten in Deutschland noch, uneingeschränkt auf fremde Tonspuren für eigene Songs zurückzugreifen. Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes besagt: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Die Kunstfreiheit deckte hier das Sampling ab. Mit der 2002 eingeführten EU-Urheberrichtslinie werden die Maßstäbe für das Verwenden fremder Tonschnipsel wesentlich enger ausgelegt. Hier „ist die Vervielfältigung eines – auch nur sehr kurzen – Audiofragments eines Tonträgers durch einen Nutzer grundsätzlich als eine teilweise Vervielfältigung im Sinne des Artikel 2 Buchstabe c der Richtlinie 2001/29/EG anzusehen“. Stein des Anstoßes. Treffender Kommentar bei YT: Wer davon ist Moses Pelham?BGH Sampling-Entscheidung basiert auf EU-Urheberrechtslinie
Das spiegelt sich auch in der gestrigen Entscheidung des BGH wider, der sich nun das vierte Mal mit dem Fall beschäftigte. Das Kopieren kurzer Song-Sequenzen ist gemäß dem Urteil nur noch in engen Grenzen gestattet. Die Karlsruher Richter erkannten nunmehr an, dass das Sampling durch Pelham gemäß Paragraf 24 des Urheberrechtsgesetzes urheberrechtlich legal war. Allerdings mit einer Einschränkung: nur in der Zeit vor dem 22.12.2002, denn nach diesem Datum gelten die Bestimmungen der EU-Urheberrechtslinie 2001/29/EG. Folglich hätte Pelham den Song mit besagter Rhythmussequenz von Kraftwerk ab 2002 nicht mehr produzieren dürfen, so Presserichterin Dietlind Weinland.„Für die Zeit nach 2002 gilt eine neue Rechtslage. Unter Berücksichtigung dieser Rechtslage hat der Bundesgerichtshof entschieden: Die Sequenz durfte nicht verwendet werden. Denn es handelt sich um eine Sequenz, die nicht verändert wurde, und die auch ohne Weiteres wiedererkennbar war. Das sind ganz entscheidende Kriterien.“Letztlich verwies der BGH den Fall noch einmal an die Vorinstanz, das Oberlandesgericht Hamburg, zurück. Zu klären wären hier noch einige Detailfragen, wie die Prüfung, ob Pelham nach dem 22.12.2002 das Sample „richtlinienkonform“ benutzt habe. Änderungen am Ergebnis sind jedoch keine zu erwarten. Netzpolitik.org resümierte hier treffend:
„Im Ergebnis gibt es mit dieser Entscheidung des BGH zwar keinen Sieger, aber dafür viele Verliererinnen und Verlierer:
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Kraftwerk hat verloren, was die Nutzung bis 2002 betrifft und darf nun auf Entschädigung für die Nutzung in der Zeit danach hoffen.
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Pelham hat verloren, was die Nutzung seit 2002 und in der Zukunft betrifft.
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Die größten Verlierer:innen sind all jene, die sich mehr Freiheit für Sampling- und Remixkultur wünschen: der BGH bleibt bei einer überaus restriktiven Auslegung des Zitatrechts und dokumentiert welche Einschränkungen für kreative Freiheit, die mit der 2001 beschlossenen EU-Urheberrechtsrichtlinie verbunden sind.“