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Bildquelle: Alin Andersen, Lizenz

Kann man einen ISP für die Copyright-Verletzungen seiner Kunden haftbar machen?

Der Oberste Gerichtshof verhandelt, ob die US-Plattenlabels den ISP Cox wegen der Copyright-Verletzungen ihrer Kunden zur Kasse bitten dürfen

Die oberste juristische Instanz der USA verhandelt momentan eine wichtige Fragestellung. Es geht darum, ob man stellvertretend einen Internet-Anbieter (ISP) mit Schadenersatzansprüchen überziehen darf, nur weil er sich weigert, seine Kunden aufgrund ihrer Copyright-Verletzungen vom Internet zu trennen. Kläger sind Sony Music Entertainment Inc. und andere Plattenlabels im Rechtsstreit mit Cox Communications.

Urheberrechtsverletzer sind keine „unschuldigen Großmütter

Die Musiklabels behaupten, dass Cox Communications durch die Bereitstellung von Breitband-Internetzugängen für seine 6 Millionen Kunden wissentlich Urheberrechtsverletzungen ermöglicht. Cox machte geltend, sie seien nicht für das Fehlverhalten von ein paar wenigen Kunden haftbar zu machen. Zumindest nicht solange sie das rechtswidrige Verhalten nicht unterstützt, gefördert, begünstigt oder davon profitiert haben. Doch die Anwälte von Sony Music haben sowieso nicht sonderlich zimperlich argumentiert. Vor Gericht sagten sie, Urheberrechtsverletzer seien keine „unschuldigen Großmütter„.

Im Jahr 2019 sprach ein Gericht in erster Instanz den Musiklabels 1 Milliarde US-Dollar für sekundäre Haftung zu, da ihre Kunden mehr als 10.000 Musikurheberrechte verletzt hatten. Ein US-Berufungsgericht hob die Schadensersatzforderung auf, bestätigte jedoch die Feststellung der Urheberrechtsverletzung. Daraufhin legte Cox beim Obersten Gerichtshof Berufung ein, was uns zum jetzigen Stand des Verfahrens bringt.

COX Logo

Cox Communications zitierte Präzedenzfall

Entscheidend für die Klage war, dass Cox Communications den Zugang bzw. die Konten der Nutzer nicht gekündigt hat, als man dem Unternehmen die Piraterie meldete. Der Anwalt von Cox argumentierte, dass man sie nicht haftbar machen kann. Cox sei der Anbieter einer grundlegenden Kommunikationsinfrastruktur, die Millionen private Haushalte und Firmen nutzen. Die Ansprüche wollten die Labels geltend machen, nur weil man einzelne Rechtsverletzer nicht aus dem Internet ausschließen wollte. Der Jurist glaubt, keine jemals entwickelte Vorstellung von Delikts- oder Urheberrecht könne die Theorie der Plattenlabels stützen.

Auch die Betreibergesellschaft von Twitter hätte man in einem anderen Verfahren nicht zu einer ähnlichen Verpflichtung verurteilen können. Man hatte Twitter versucht dazu zu zwingen, einige ihrer Kunden rauszuwerfen, weil sie damals den Microblogging-Dienst für illegale Zwecke missbraucht haben. Die zwei Richter hielten allerdings im Urteil fest, diese Anordnung sei nicht praktikabel. Dies könne man nicht fordern, weil nur ein Kunde von Tausenden eine Rechtsverletzung begangen hatte.

copyright-verletzungen

Urheberrecht: Können die Plattenlabels Cox haftbar machen?

Der Anwalt von Sony Music sieht Cox neben den Filesharern auch als haftbare Partei an. Die Rechtsprechung würde vorsehen, dass nicht nur die Beteiligten selbst haftbar gemacht werden können, sondern auch Dritte. Indem man sich geweigert hat, den Kunden das Internet abzudrehen, habe sich der ISP mitschuldig gemacht. Mit der Weigerung habe Cox den Online-Piraten wesentliche Hilfe geleistet. Und dies obwohl sie es besser wussten. Als Beweis führte der Jurist die Äußerung eines Cox-Mitarbeiters an, der wohl „Fuck the DMCA“ gesagt haben soll. Der Angestellte war offenkundig wenig erfreut über den rechtlichen Umgang mit den Copyright-Verletzungen seiner Kunden.

DMCA-Alarm, Copyright-Verletzungen

Warum das Urteil so wichtig ist

Wenn der Oberste Gerichtshof bestätigen sollte, dass das Versäumnis eines Internetdienstanbieters, auf Urheberrechtsverletzungen zu reagieren, eine vorsätzliche Tat darstellt, dann wird dies Auswirkungen auf viele künftige Rechtsstreitigkeiten innerhalb der USA haben. Das Urteil betrifft Streaming-Dienste, Cloud-Speicheranbieter und Plattformen für künstliche Intelligenz. Derartige Unternehmen hosten oder verarbeiten oft große Mengen an Nutzerinhalten. Bei derart großen Haftungsrisiken würden viele Unternehmen ihre betrieblichen Richtlinien zum eigenen Schutz ändern müssen, um sich abzusichern. Der Ausgang des Rechtsstreits dürfte somit große Teile der IT-Branche betreffen. Zumindest betrifft es alle Firmen, die sich mit Copyright-Verletzungen oder mit anderen Straftaten ihrer Nutzer herumschlagen müssen.

Parallelen zum Sony Betamax-Fall – Universal wollte Privatpersonen damals alles verbieten!

In gewisser Weise erinnert dieser Fall an den berühmten „Sony Betamax-Fall“ aus den 1980er Jahren. Damals argumentierten die Universal Studios, dass die Aufzeichnung ihrer Filme auf einem Videorekorder von Sony durch eine Einzelperson eine Urheberrechtsverletzung darstellte. Dies sei nicht von der Fair Use-Regelung gedeckt. Sony gewann den Prozess. Das Urteil machte damit den Weg frei für Milliarden von privaten Musik- und Video-Aufzeichnungen in den USA, die in den Jahren danach entstanden sind. Die Kopien der Original-Werke wären anderenfalls illegal. Und obwohl das Betamax-Format VHS technisch gesehen eindeutig überlegen war, hat es sich nicht durchgesetzt. Nicht nur die Gerichte regeln, der Markt tut dies ebenfalls.

Richterhammer, Filesharing

Auch vom kommenden Urteil wird viel abhängen. Jede Weigerung von Tech-Konzernen den Forderungen von Rechteinhabern nachzukommen, sollte es um Copyright-Verletzungen ihrer Kunden gehen, wäre aufgrund der zu erwartenden Schadenersatzforderungen mit einem hohen finanziellen Risiko verbunden. Das würde wohl kaum jemand freiwillig eingehen wollen, egal wie absurd die Forderungen sein mögen. Es bleibt spannend. Wir bleiben für euch am Ball.

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Früher brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert. In seiner Freizeit geht er am liebsten mit seinem Hund spazieren.